Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 13: Brief von Arthur Sch. an seine Schwester in Wien, 14. August 1914, Buenos Aires

Arthur Sch. aus Buenos Aires am 14 08 1914Arthur Sch. (geb. um 1885) war in einer wohlhabenden Fabrikant/innen-Familie in Wien aufgewachsen. Seit 1907 lebte er in Buenos Aires, wo er u.a. als Sekretär bei einer deutschen Firma arbeitete. In dem folgenden Brief an die ältere Schwester Emmy Wehle (geb. 1873) in Wien beschreibt er die aktuelle Stimmung und Situation von Exilant/innen in Südamerika.

Bs. Aires, 14. August 1914
Liebe Emmy!
Erst heute beantworte Dir Dein letztes Schreiben, doch hatte ich gehofft, Dir persönlich dasselbe zu beantworten. Nach der Kriegserklärung ist an alle Reservisten hier die Aufforderung ergangen sich sofort beim Consulat zu melden und dann nach Österreich zu fahren. – Ich sollte am 5ten August von hier mit einem italienischen Schiffe abreisen und war auch bereits an Bord als von der österreichischen Gesandtschaft die Ordre kam dass wir nicht abfahren dürfen, weil England den Krieg erklärt hatte. – So ist es mir also nicht möglich gewesen hinüber zu fahren. – Sag Emmy, musste Deszö [ein gemeinsamer Bruder] einrücken? Und Dein Schwiegersohn? – Du kannst nicht glauben wie nahe es mir gegangen ist, dass ich nicht abfahren durfte. – Hier bekommt man ja nicht eine einzige richtige Nachricht und wenn man auch aus den Widersprüchen in den Zeitungen ersehen kann dass die Deutschen und Österreicher keine schlechten Erfolge haben so kann man doch nicht sich derselben mit freuen. – Die einzigen Telegramme die hier herkommen sind über London und Paris und sind dieselben so zu Gunsten der Triple Entente dass man beinahe verzweifeln könnte. – Ein Unglück kommt ja selten allein. – Durch den Krieg ist die geschäftliche Lage hier so schlecht geworden dass der ganze Handel nahezu unterbunden ist. – In unserer Firma allein wurden für den ersten Moment 45 Angestellte entlassen. Ich kann noch von Glück reden dass ich nicht entlassen wurde aber dafür wurde mir mein Gehalt auf die Hälfte also 125,- Pesos beschnitten. – Unsere Erbschaft [nach einer in Frankreich lebenden Verwandten] wird ja auch jetzt ins Wasser gefallen sein?? Nicht? Ich habe die Absicht wenn es während des Krieges nicht möglich ist nach demselben hinüber zu kommen, denn dann müssen die Aussichten drüben ja gut sein. Glaubst Du nicht dass man dann tüchtige, praktische Menschen suchen wird. – Ich würde Dir sehr dankbar sein wenn Du mit Lajos [älterer gemeinsamer Bruder und „Familienoberhaupt“] über diesen Punkt sprechen würdest, bitte Dich aber zu betonen, dass ich absolut nicht damit rechne von ihm angestellt zu werden, sondern nur seine Ansicht darüber hören möchte. Denn erstens sind es ja doch schon 7. Jahre dass ich von drüben weg bin, und zweitens kann man sich ja hier kein Bild machen wie es jetzt drüben steht. – Ich weiss nicht wann Du diesen Brief erhalten wirst oder wann ich unter den jetzigen Umständen von Dir eine Antwort erhalten kann aber bitte Dich trotz allem mir ausführlich zu schreiben. – Um Dir ein Bild von den hiesigen Zeitungen zu geben, will ich Dir nur einen Fall schildern. – Kurz nach der Kriegserklärung an Serbien wurden hier in den Zeitungen Telegramme veröffentlicht dass unser Kaiser ermordet wurde und der Unsinn gieng sogar soweit dass der Name des Mörders und seine Fotografie veröffentlicht wurden. – Na liebe Emmy, ich glaube ich habe Dir jetzt genug vorgeschmiert und hoffend dass es Euch allen gut geht, verbliebe ich mit vielen Grüßen Dein alter Arthur

Sammlung Frauennachlässe, NL 21 I
Weiterer Eintrag aus dem Nachlass der Familie Weber-Wehle am 5. September 2017

Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert.

  • Zum umfangreichen Korrespondenzbestand von Emilie Wehle siehe online auch die  Zusammenstellung von Li Gerhalter „Migrationsbriefe“ für die Website des Immigrant History Research Center Archives (Link).

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 13, Brief von Arthur Sch., 14. August 1914, SFN NL 21, unter: https://salon21.univie.ac.at/?p=16589