Um Dirnen herum: Bahr und die Präpositionen

Gerade den neu erschienen Band mit dem Briefwechsel Wilhelm Bölsches mit den Autoren der Freien Bühne lesend, stoße ich auf ein kleines Präpositionsverwirrnis, das von Gerd-Hermann Susen richtig in den Anmerkungen kommentiert wird, das aber darüber hinaus Aufschluss über Bahrs Schreibpraxis gibt. Zuerst eine rekonstruierte Chronologie einer Stelle aus "Satanismus":
1. Bahrs Manuskript:
es wird von schwarzen Messen gemeldet, welche kirchenschänderische Mönche auf nackten Dirnen lesen.
2. Korrekturfahne:
welche kirchenschänderische Mönche bei nackten Dirnen lesen.
Bahr beschwert sich bei Bölsche (Briefwechsel mit den Autoren der Freien Bühne, 713 (6.2.1892, #313)) und gesteht Bölsche zu, im Falle von Bedenken betreffs der Zensur, er könne es so bringen:
3. Korrekturvorschlag
welche kirchenschänderische Mönche mit nackten Dirnen lesen.
Im Heft findet sich dann aber:
4. Druckfassung Freie Bühne
welche kirchenschänderische Mönche vor nackten Dirnen lesen.
Nun stellt sich die Frage, wie Bahr das in der Buchfassung löst. Wenig überraschend steht da:
5. Buchfassung, Studien zur Kritik der Moderne
welche kirchenschänderische Mönche vor nackten Dirnen lesen.
Susen stellt die Vermutung an, dass Bahr sich mit dem Eingriff Bölsches einverstanden erklärte. Vielleicht stimmt das, doch es wäre doch eigentlich ungewöhnlich, dass Bahr einer Stelle so viel Bedeutung zukommen lässt, eine Variante als Abschwächung zuzulassen, ohne später die Konsequenz zu haben, es weiterzuverfolgen. Wenn sich das einerseits als ein weiterer Beleg für die Theorie darbietet, dass Bahr seine Zeitschriften-Ausschnitte direkt als Druckvorlagen an den Buchverleger sandte, so steckt noch mehr dahinter. Denn es geht um die Frage, wie Bahrs Bücher zustande kamen. Nimmt man als Ausgangspunkt die Texte über die französische Literatur in den "Studien" so scheinen die Bücher so entstanden zu sein:
  1. Entwurf des Buches
  2. Verwertung einzelner Texte in Periodika
  3. Drucklegung des Buches
  4. Druckfahnenkorrektur
Doch dagegen spricht nun, dass die Präposition bei den "Dirnen" geändert worden wäre, wenn Bahr die Texte druckfrisch zusammenstellte. Auch die "Gute Schule" erschien nicht in der verstümmelten Fassung der Freien Bühne. Alternativ lässt sich Bahrs Praxis folgendermaßen erklären:
  1. Verfassen einzelner Texte für Periodika
  2. Konzeption durch Auswahl aus dem Erschienenen
  3. Drucklegung des Buches
Vermutlich wird sich eine Mischform als die richtige Erweisen, in der die ursprüngliche Konzeption dynamischer gedacht werden muss: Als für ein Buch konzipierte Texte, die sich durch die Erstdrucke in Periodikas entwickeln.