Bahrs Feuilletonskorrespondenz

Bahrs Nachlass ist in vielerlei Hinsicht umfassend: Korrespondenz, Notizbücher, Zeitungsausschnitte ebenso wie Parte-Zettel, Totenmaske und Möbel. Umso mehr muss es verwundern, was fehlt: Im großen Rahmen sind keine Geschäftskorrespondenzen, keine Geldaufzeichnungen und Verträge erhalten. Zu welchem Zeitpunkt diese wegkamen, ist unklar. Wenn es etwa, was wahrscheinlich wäre, bei der Übersiedlung aus Schloß Arenberg in die Wohnung nach München passiert sein sollte, würde das nicht unmittelbar klären, warum es von den folgenden Jahren ebenfalls fehlt. -- Kurz, Aussagen über die Geschäftspraxis des Zeitungspublizisten Bahr sind schwierig. Das gibt folgender Information Bedeutung: Im späten 19. Jahrhundert hatten sich Feuilletonkorrespondenzen verbreitet, sozusagen "Zeitungen für Zeitungen", im Manuskript vervielfältigte Textsammlungen, aus denen sich, vorwiegend kleinere Redaktionen und Provinzblätter Nachrichten gegen Gebühr abdrucken konnten. Ein Text, bei dem ein Beitrag Bahrs über diese Schiene veröffentlicht wurde, ist "Für Italien" 1912:
Hermann Bahr: Für Italien. Kultur-Beiträge. Arbeiten erster Autoren für Tageszeitungen, Berlin, 3 (1912) #64, 2-4. (1.8.1912)
Nachdrucke lassen sich in der Straßburger Post, im Prager Tagblatt und (noch nicht verifiziert) in den Niederrheinischen Nachrichten belegen. Aus dem Fehlen der Texte im Nachlass ergibt sich zwei Schwierigkeiten:
  1. Die Nachdrucke erscheinen in Publikationsorganen ohne direkte Geschäftsbeziehung Bahrs und sie erscheinen nahezu willkürlich: Der Abdruck ist einzig und alleine auf das Gutdünken des Redakteurs zurückzuführen, ein Abdruck bedeutet nicht, dass Bahr auch in Folge Autor des Publikationsorgans ist.
  2. Nachdem die Texte meist nicht im Nachlass erhalten sind, gab es vermutlich auch keine Kommunikation Bahr-Publikationsorgan, sondern nur Korrespondenz-Publikationsorgan.
Besonders kürzere Texte waren, nicht zuletzt weil sie als Lückenfüller dienen konnten, geeignet, vielfach abgedruckt zu werden. Ein weiterer Text der über eine Feuilletonskorrespondenz gelaufen sein dürfte, erschien zuerst in Bahrs Kolumne "Tagebuch" (2. März [1921], Buchausgabe: Liebe der Lebenden, I, 88-90). Hinweis auf das Zwischenmedium geben die geringfügigen Änderungen (z. B. wird aus dem "Untersberg" ein "Salzburger Berg") und der dazugekommene Titel "Die Steuern und der Bürger", seltener als "Ich soll Steuern" zahlen, mit der der Text in Folge zum häufigst abgedruckten Text Bahrs wird. Es handelt sich um eine Glosse, der zu Folge es in einer Demokratie einem normal gescheiten Kopf möglich sein sollte, die Steuerformulare zu begreifen. Nachdrucke erschienen zwischen März und April 1921 in folgenden Zeitschriften (ebenfalls nicht alle verifiziert):
Das kleine Journal, Rostocker Zeitung, Nürnberger Zeitung, Leipziger Tageblatt, Neue Badische Landeszeitung, Dresdner Nachrichten, Hamburger Nachrichten, nicht nachgewiesene in Dresden und Bonn
Einsicht in das Verfahren erlaubt nun eine Stelle in einer Dissertation von 1922 und die dazugehörige Quelle, die mir Achim Heerde dankenswerter Weise zukommen ließ.
Da die Presse sich nicht dazu bequemte, ihr Korrespondenz-Material nach außen hin auf dem vorgeschlagenen Wege zu kennzeichnen, hat sich die Rechtsunsicherheit auf dem Gebiete bis heute erhalten. Es gibt eine Anzahl von Feuilleton-Korrespondenzen, die in ihrem Vorteil suchen, ja, selbst ihre Existenz darauf gründen. Beispielsweise verbreitete die Feuilleton-Korrespondenz "Berliner Redaktion" (Berlin […] Bernburgerstr.) im Jahre 1915 einen Aufruf von Hermann Bahr "Zur Verschwendung", der von der Rhein-Ruhr-Zeitung nachgedruckt wurde. Die Korrespondenz erhob deshalb ihre Honorarforderung.
Johannes Bergmann: Die Feuilleton-Korrespondenzen, Diss. Leipzig 1922, 142. Die Rhein-Ruhr-Zeitung, die auch sonst ohne Quelle abgedruckt hat ("weil es sich um reine Tatsachenberichte, die eine eigene Ausarbeitung nicht erkennen ließen") nimmt deswegen Kontakt mit Bahr auf. Seine Antwort ist im Zuge eines Berichts abgedruckt:
Besten Dank für Ihre Zeilen, ich freue mich sehr, daß Sie meinen Aufruf "Zur Verschwendung" nachgedruckt haben, nur es fällt mir nicht im Schlafe ein, dafür ein Honorar zu verlangen. Ich habe die "Berliner Redaktion" nicht ermächtigt dazu, schon deswegen nicht, weil ich von ihrer Existenz keine Ahnung haben.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Hermann Bahr
Zeitungs-Verlag, 15 (1915) #20, Sp. 428-429, hier: 428. (14.5.1915) Vgl. Biref der Rhein- und Ruhrzeitung im Nachlass Bahrs, AM A22404 Ba Bahr hatte also gar keine Ahnung, dass ein Text von ihm in die Maschine der Feuilletonkorrespondenz geraten war! Seine allgemeine Lösung des Problems war, dass er Abonnements bei Zeitungsausschnittsagenturen machte, die Erwähnungen von ihm, aber auch seine Texte sammelten. Notwendigerweise, wenn man die Größe und Diversifikation des Zeitungsmarkts zu Beginn des 19. Jahrhunderts bedenkt, blieb das Unterfangen unvollständig. Andererseits dürfte es auch als Hinweis dafür genommen werden, dass Bahr vorwiegend an Erstdrucken verdiente, dass spätere Abdrucke nicht notwendigerweise vergebührt wurden und er das zumindest nicht erwartete.