Rezension Perspektivenwechsel: Geschlechterverhältnisse im Austrofaschismus

Im 2016 erschienen Sammelband „Perspektivenwechsel: Geschlechterverhältnisse im Austrofaschismus“ zeigen Veronika Duma, Linda Erker, Veronika Helfert und Hanna Lichtenberger die zentrale Bedeutung von Geschlecht als Bestandteil autoritärer, faschistischer Regime auf.

Die Herausgeberinnen Duma, Erker, Helfert und Lichtenberger, die seit vielen Jahren um eine Intensivierung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem historischen Feld der Geschlechterverhältnisse im Austrofaschismus bemüht sind, präsentieren im ÖZG-Band auf vielfältige Weise, wie geschlechtergeschichtliche Untersuchungen zu einem besseren Verständnis des autoritären „Ständestaates“ in Österreich 1933/34-1938 und zur Konstituierung von Geschlechternormen beitragen. Ausgehend von einem durch die Herausgeberinnen 2014 organisierten Workshop, legen Duma, Erker, Helfert und Lichtenberger mit jenem Sammelband die passende wissenschaftliche Publikation nach. Diese stellt den nächsten Schritt dar, um jene Leerstelle zu füllen, welche die thematische Verknüpfung von Austrofaschismus und Geschlecht nach wie vor birgt.

Im Austrofaschismus fand eine autoritäre Neuorganisation des Staates statt, in der Machtverhältnisse neu durchgemischt wurden. Geschlecht wurde reorganisiert und konstituierte als soziale Kategorie den ideologischen und strukturellen Aufbau des Herrschaftssystems. So zeigt der Sammelband einmal mehr die Bedeutung von Geschlecht als zentraler Bestandteil autoritärer, faschistischer Regime.

Das Themengebiet eröffnet eine mittlerweile breite Palette von Forschungsfeldern, wodurch die publizierten Beiträge interdisziplinär und methodisch vielfältig angelegt sind. Die acht Artikel gehen zeitlich über die periodisch eng gefasste Spanne des Austrofaschismus 1933/34-1938 ebenso wie räumlich über die nationale Ebene Österreichs hinaus. Im einem an die Beiträge zum Austrofaschismus anschließenden „Forum“, das aus drei Beiträgen zum Spanischen Bürger_innenkrieg besteht, bietet sich die Möglichkeit zum transnationalen Vergleich der Faschisierung in Europa. So reichen die Beiträge insgesamt von Widerstandsforschung und kritischer Militärgeschichte über Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Rechtsgeschichte und Forschung von Geschlechterdifferenz bis zur Kulturgeschichte des Sports.

Die Beiträge

Arbeitslosigkeit und Arbeitsmarktpolitik unter dem Blickwinkel der Kategorie Geschlecht werden in zwei Beiträgen näher untersucht. Irina Vana geht in „Arbeitslose Männer und verdienstlose Frauen?“ auf die Frage der Auswirkungen der austrofaschistischen Arbeitsmarktpolitik auf die „Normalisierung von Arbeitslosigkeit“ ein. Im Österreich der 1930er Jahre, insbesondere im Austrofaschismus, betrachtet Vana die Kategorie Geschlecht als zentral zur Konstituierung von Arbeitslosigkeit.

Legitimiert wurde, wie Vana aufzeigt, die strukturelle Benachteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt durch das vorherrschende bürgerliche, katholische Frauenbild, das Frauen im Haus, in Reproduktionsarbeit als Mutter und Ehefrau, ansiedelte. Die Schwächung ihrer sozialen wie ökonomischen Position, die sich durch Arbeit definierte, führte zu einer Verfestigung der Hierarchien zwischen den Geschlechtern im Austrofaschismus. Vana denkt auch die Kontinuitäten früherer Maßnahmen mit und offenbart die tiefgreifenden patriarchalen Strukturen, die schon seit Bestehen der Republik Frauenerwerbstätigkeit beeinflussten, was im Austrofaschismus schließlich verstärkte Ausformung fand.

Irene Bandhauer-Schöffmann analysiert, wie maßgeblich hierarchische Geschlechterkonzeptionen für den ideologischen Unterbau des katholischen Staates waren und das strukturelle Dach des Regimes bildeten. In „Hausfrauen und Mütter im Austrofaschismus“ untersucht sie die Frauenorganisationen der Vaterländischen Front sowie die Katholische Frauenorganisation und weitere legale bürgerlich-liberale Frauenvereine und benennt dabei ein Spannungsfeld zwischen biologistischem Differenzdenken, katholisch-theologischen Erklärungsansätzen und biologisch-reproduktiven Motiven, womit ein Wirken von kirchlichen und staatlichen Machtinteressen sichtbar wird.

Der „Neuaufbau des Staates“ sollte sich im Wiederaufbau der christlichen Familie, hierarchisch und arbeitsteilig, erschließen. Gleichzeitig zeigt Bandhauer-Schöffmann, wie damit neben Geschlecht und Religion die Kategorie Klasse in der Differenzenpolitik des Austrofaschismus als Machtinstrument nicht wegzudenken ist.

Der Aufsatz von Elisabeth Greif geht „normwidrigem Sexualverhalten in der austrofaschistischen Diktatur“ nach und betrachtet hierbei explizit die geschlechtsspezifische Komponente juristischer Verfolgung von Sexualstrafdelikten. Greif kommt zum Ergebnis, dass die verstärkte staatliche Kontrolle und die rechtlichen Veränderungen durch die „Neuordnung“ der austrofaschistischen Diktatur zu einer generell höheren Einflussnahme auf Sexualität durch die Strafbehörden führten.

Die Sexualdisziplinierung unterwarf verhältnismäßig mehr Frauen unter jene Sexualnormen. Greif deckt klare geschlechtsspezifische Unterschiede auf: „Normwidrige Sexualdelikte“ bezogen sich bei Frauen hauptsächlich auf Untreue, Ehebruch oder Abtreibung, Männer hingegen wurden vorrangig aufgrund von „widernatürlicher Unzucht“, also dem Ausleben von Homosexualität, strafrechtlich verfolgt. Greif zeigt deutlich, wie gesellschaftliche Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität die Strafgerichtspraxis beeinflussten, denn die Neugestaltung des austrofaschistischen Regimes konstituierte sich zu einem großen Teil über gesellschaftliche, geschlechtliche Normen.

Jene Normen drangen bis in den Frauensport. Diesen untersuchen Johanna Dorer und Matthias Marschik im Beitrag „Sportliche Avancen – Frauensport in Wien 1934-1938“. Die Ambivalenzen des Geschlechterbildes des Austrofaschismus werden in ihrer Diskursanalyse offensichtlich: Frauensport unterlag massiver staatlicher Unterwerfung, wurde marginalisiert und kontrolliert. So kam es zu einer klaren Ausdifferenzierung von für Frauen als angemessen erachteten Sportarten, die gymnastisches Bewegen ohne kompetitiven Charakter beinhalteten.

Trotzdem wurde Frauenfußball, der aus jenem Bild hinausfällt, durch den Staat instrumentalisiert, wenn es um öffentlichkeitswirksame Massenphänomene wie die Olympischen Spiele ging. So fand der international erfolgreiche Frauensport durch nationalistische und patriotische Propaganda eine Positivbesetzung und dementsprechende Vermarktung. Dorer und Marschik zeigen, wie sich Frauen trotz massiver staatlicher Zwänge, Maßnahmen und Hürden selbst organisierten, dabei Geschlechtergrenzen überschritten, Räume eroberten, Kleidervorschriften durchbrachen und Leistungsfähigkeit demonstrierten.

Der letzte reguläre Beitrag des Sammelbandes wirft Licht auf ein noch unzureichend beforschtes, Gebiet, das allerdings in großem Maße zur Konstituierung von Geschlechternormen und der androzentristischen Geschichtshoheit beiträgt: Die weibliche Militanz, hier anhand der Beteiligung von Frauen an den militärischen Auseinandersetzungen im Februar 1934. In „Die Zilli schießt. Frauen in den Februarkämpfen 1934“ rekonstruiert Florian Wenninger die Rolle von Frauen im Februar 1934, indem er eine breite Palette an widerständigen Aktivitäten im Zuge der Kämpfe des Schutzbundes gegen die Heimwehren und das staatliche Militär nachweist.

Frauen handelten eigeninitiativ und spontan, weil sie nicht als Teil militärischer Organisation gesehen und so formal nicht eingebunden wurden. Denn das ideologische Differenzdenken und die patriarchalen Vorurteile schrieben auch innerhalb der Sozialdemokratie Frauen Friedfertigkeit statt Gewalt zu.

Die Bedeutung der Verbindung von Geschlechternormen und Militanz über nationale Grenzen hinweg zeigt auch der internationale Blick, der im Sammelband im „Forum“, dem Abschnitt des Bandes über Frauen im Spanischen Bürger_innenkrieg, geboten wird. Die verschiedenen Formen von Widerstand von Frauen und dessen Marginalisierung werden im Beitrag von Vera Bianchi „Geschlechterverhältnisse im Spanischen Bürger*innenkrieg“ über die Milicianas (Milizionärinnen) offensichtlich.

Dabei hebt sie den „proletarischen Feminismus“ der Mujeres Libres hervor, die sich vom geschlechtlichen Differenzdenken verabschiedeten und sich sowohl dem Einsatz für die Arbeiter_innenklasse als auch für ihr Geschlecht verschrieben, und damit die Kategorien Geschlecht und Klasse verschränkt dachten – außergewöhnlich für Frauenzusammenschlüsse jener Zeit.

Im Beitrag „Pressebüro und Zensur im Spanischen Bürger*innenkrieg“ fokussiert Renée Lugschitz Kriegskorrespondentinnen, die im spanischen Bürger_innenkrieg erstmals in signifikanter Zahl in Erscheinung traten. Ein Spannungsverhältnis sieht Lugschitz zwischen den Reporterinnen und ihrer Arbeitgeberin, der spanischen Regierung, die von ihnen propagandistische Beiträge verlangte, und der kritischen Berichterstattung, die aus den jeweiligen Heimatländern der Reporterinnen verlangt wurde. Sie selbst handelten wiederum als Aktivistinnen innerhalb des ideologisierten Konflikts zwischen Demokratie und Faschismus, in dem sie in ihren journalistischen Beiträgen klar für die Demokratie Partei ergriffen.

In welchem Austausch standen die faschistischen Frauenorganisationen Europas mit ihren internationalen Pendants? Toni Morant i Ariño untersucht diese Frage in „Politisch auf Reise. Die Frauen des Spanischen Faschismus und ihre grenzüberschreitenden Zusammenarbeit 1936-1945“. Es gab starke transnationale Verbindungen und Austausch zwischen der spanischen faschistischen Frauenorganisation und, vorrangig, Deutschland und Italien. Der Beitrag öffnet das Feld transnationaler Analysen von Faschismus- und Geschlechterforschung. Ariño fordert die Dezentralisierung der Faschismusforschung über nationale Grenzen hinweg, um die ideologische Verwobenheit eines breiten Wirkens gesamtheitlich analysieren zu können.

Fazit

Den Herausgeberinnen gelingt der Spagat zwischen einer schwerpunkthaften Fokussierung auf den Austrofaschismus und dem notwendigen Blick über den Tellerrand. Gezeigt wird, dass trotz massiver repressiver Geschlechternormen der vorhandene Handlungsspielraum von Frauen innerhalb des faschistischen Systems auch genutzt wurde, sei es im Widerstand oder herrschaftskonform. Der im letzten Aufsatz angeschnittene internationale Vergleich offenbart die Parallelen europäischer Faschismen und die überall zu findende enge Verschränkung mit Geschlechterkonzeptionen. Da mir jene Komponente viel Tragkraft zu besitzen scheint, würde sich ein verstärkter Blick auf internationale Verbindungen lohnen und es verdienen, im Sammelband mehr Aufmerksamkeit zu bekommen.

Andererseits ist in der Publikation ein klarer Fokus auf Arbeiter_innen zu erkennen. Die Rolle von bürgerlichen Frauen, von Frauen in der Vaterländischen Front oder in den Heimwehren und als illegale Nationalsozialistinnen bedarf, wie auch die Herausgeberinnen anmerken, weiterer Analysen, weshalb eine forcierte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem breiten Themenfeld nicht abreißen sollte. In Zeiten der aktuell erneut autoritärer werdenden Regime in Europa, des europaweiten Abbaus von Menschenrechten ebenso wie der Rücknahme frauenpolitischer Errungenschaften, ist eine historische Auseinandersetzung mit der Faschisierung ebenso wie mit Geschlechterverhältnissen besonders relevant.

Lena Köhler

Veronika Duma, Linda Erker, Veronika Helfert, Hanna Lichtenberger (Hg.): Perspektivenwechsel: Geschlechterverhältnisse im Austrofaschismus / Changing the Perspectives: Gender Relations in Austro-Fascism; Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 27/ 2016/3; Studienverlag 2016; ISBN: 978-3-7065-5552-4; 30,00 Euro; 184 Seiten.

Von |2019-03-01T18:41:38+01:0015. September 2017|BuchBesprechung|0 Kommentare

Lena Köhler schließt 2017 den MATILDA European Master for Women’s and Gender History ab, studierte dafür in Wien und Nottingham und beschäftigt sich in ihrer Masterarbeit mit der Konstruktion von Erinnerung und Geschlecht im Widerstand gegen den Austrofaschismus anhand der Selbstzeugnisse Maria Emharts. Sie ist derzeit Vorsitzende der ÖH Uni Wien.

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