FWF-FORSCHUNGSPROJEKT P-20814

DEUTUNGSRAHMEN IN DER WAHRNEHMUNG POLITISCHER FERNSEHDISKUSSIONEN

Dr. Emo Gotsbachner
Inst. f. Politikwissenschaft, Universität Wien

Die öffentliche Wahrnehmung politischer Vorgänge ist insofern hoch heterogen, als sie davon abhängig ist, wie verschiedene Publikumskreise mit unterschiedlichem sozialen und politischen Hintergrund diese je für sich sinnvoll verarbeiten. Klassische Diskursanalysen beschränkten sich da meist allein auf die Untersuchung politischer Rhetorik, auf die politischen Deutungen und Problemdarstellungen, wie sie von politischen Akteuren über die Massenmedien verbreitet werden. Vernachlässigt wurde der Aspekt, dass diese Deutungen von unterschiedlichen Publikumsschichten sehr unterschiedlich verstanden werden, besonders dort, wo Medienkonsumierende sie als zu einer je anderen politischen Ausrichtung oder Gesellschaftsperspektive gehörig erkennen und bewerten. Das Frame-Project entwickelte nun eine komplexe Forschungsmethodik, welche diese Verstehensprozesse und Wirkungen politischer Diskurse quer über soziale und politische Milieus sehr genau nachvollziehbar macht.    

Mit der Untersuchung politischer Streitgespräche im Fernsehen wurde die wahrscheinlich einflussreichste Situation ins Blickfeld genommen, wie politische Deutungsangebote gegeneinander antreten. Wir analysierten dabei, wie jeweils bestimmte  Publikumsschichten diese Deutungsangebote verarbeiten. Aktuelle, aus den Abend-Nachrichten des österreichischen Rundfunks (ORF) aufgezeichnete Studio-Live-Diskussionen wurden kurz nach Ausstrahlung verschiedenen, möglichst ‘organischen’ Gruppen von Fernsehkonsumierenden mit jeweils unterschiedlichem sozialem und politischem Hintergrund vorgespielt, und in einem offenen Gruppeninterview abgefragt, wie sie diese verstanden haben und welche Haltung sie dazu einnehmen. Die davon hergestellten Audioaufzeichnungen wurden gesprächs- bzw. diskursanalytisch minutiös ausgewertet. Weitere Analyseschritte führten unter Zuhilfenahme qualitativer Software (Atlas-ti) zu den komplexeren Mustern, welche Publikumsgruppen die Deutungsrahmen, einzelnen Deutungen und Durchsetzungsstrategien der Streitgegner jeweils wie ratifizieren, aufnehmen oder umdeuten.

Wir können mittels der im Forschungprojekt entwickelten Analyseverfahren nicht nur sehr genau untersuchen, wie die Rezipierenden die widerstrebenden Deutungsangebote verarbeiten, oder der politischen Situation, um die es jeweils geht, überhaupt Sinn verleihen. Wir können darüber hinaus methodisch abgesicherte Aussagen darüber treffen, welches soziale und politische ‚Wissen’ die Rezipierenden zur Anwendung bringen, wie sie es situationsbezogen verwenden und an welchen Aspekten politischer Deutungsangebote sie ansetzen, um diese zu einem für sie konsistenten Bild sozialer und politischer Vorgänge zusammen zu fügen. Resonanzen von Deutungsangeboten mit vorgefasstem Wissen bestimmen die oft sehr antagonistische Aneignung politischer Diskurse und Deutungsrahmen. In umgekehrter Perspektive sind vor allem die Fälle interessant, wo politische Akteure Elemente ihrer Deutungsangebote über ihr (auf Parteipräferenz bezogen) ‚eigenes’ Klientel hinaus verankern können; weil dort, wo Diskurse sich verbreiten und dominant werden, setzen die Effekte jener diskursiv-ideologischen Deutungskämpfe an, welche einen gewichtigen Teil gesellschaftlich-politischer Dynamiken ausmachen.