Physikalischer Hintergrund

Teilchen und Welle

Quantenlogik

Es lohnt sich, darüber nachzudenken, woher eigentlich die Information kommt, daß eine der getesteten Bomben scharf ist. Sie kommt sicher nicht in einem naiven Sinn vom Ort der Zündvorrichtung, denn dort war nichts!!! Wäre ein Photon dort gewesen, dann wäre die Bombe ja explodiert. Das einzige, was dort "war", ist ein Wellenpaket der Wahrscheinlichkeitswelle. Um so ein Wellenpaket im Diagramm zu betrachten, müssen Sie nur den Button für die klassische Lichtwelle noch einmal anwählen.

Die Information kommt also von der puren Möglichkeit, daß das Photon den Zünder hätte treffen können (was es nicht getan hat). In der Quantenwelt werden physikalische Ereignisse (z.B. Detektorklicks) von puren Möglichkeiten beeinflußt. Die Begriffe Lokalität und Kausalität sind problematisch geworden, und die Art und Weise, wie eine gewisse Information in einem physikalischen System enthalten ist, nimmt neue Züge an.

Quantentheorie testen

Die als scharf entdeckten Bomben können übrigens noch für einen friedlichen Zweck genützt werden: sie testen die Quantentheorie. Denn man muß ja nur nachsehen, ob sie tatsächlich eine Zündvorrichtung haben. Explodiert so eine Bombe im Tageslicht, so sagt sie uns damit "ja, die quantentheoretische Voraussage hat in diesem Fall gestimmt". Derartige Experimente sind (nicht mit Bomben, aber ansonsten ähnlichen Charakters) tatsächlich durchgeführt worden, und bisher haben sie in jedem Fall die quantentheoretischen Voraussagen bestätigt. Damit gehört die Quantentheorie - ob sie jetzt der Alltagserfahrung widerspricht oder nicht - zu den erfolgreichsten physikalischen Theorien überhaupt.

Wir können also sagen: Allem Anschein nach ist die physikalische Welt eine "Quantenwelt". Damit haben wir noch nicht automatisch eine "Theorie für alles" (in unserem Einstiegsbeispiel haben wir etwa nur von der "Quantentheorie des Lichts" gesprochen), aber wir wissen ziemlich gut, daß wir die physikalischen Naturgesetze in einer anderen Sprache als der der klassischen Physik formulieren müssen. Der Einfluß von Möglichkeiten (die gar nicht eintreten) auf physikalische Vorgänge illustriert das recht gut.

Das Problem der Messung und die totale Quantenwelt

Keine Rose ohne Dornen. Wenn die ganze Welt eine Quantenwelt ist, was ist denn dann eigentlich eine Beobachtung? Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, daß die Strahlengänge beim Eintritt in die Detektoren einfach aufhören. Für solche "offenen Enden" lassen sich dann Wahrscheinlichkeiten angeben. Dahinter steht die Vorstellung, daß ein Detektor ein makroskopisches Objekt ist, das sich selbst klassisch verhält - er klickt oder er klickt nicht. Manchmal wird das so ausgrdrückt, daß eine Messung die Wechselwirkung zwischen einem Quantensytem (dem Photon) und einem klassischen System (dem Detektor) ist. Von einem Detektor nimmt man natürlich nicht an, daß er sich in einer Superposition zweier ganz verschiedenener Alternativen ("klicken" und "nicht klicken") befindet. Das ist ja seine Aufgabe: eine definitive Antwort auf eine "Frage an die Natur" zu geben.

Aber wenn wir annehmen, daß die Detektoren in Wahrheit auch Quantenobjekte sind (einfach weil die Quantentheorie "total" ist und es im strikten Sinn gar keine klassischen Objekte gibt), dann ist nicht einzusehen, warum Strahlengänge einfach aufhören sollen. Sie laufen vielmehr innerhalb der Detektoren weiter, und die Darstellung in unserem Diagramm ist nicht ganz richtig. Für welche Art von Ereignissen kann man aber dann Wahrscheinlichkeiten ins Spiel bringen? Was ist eine Messung? Wenn unsere klassische Erfahrungswelt nur eine Näherung ist, wieso ist die "Quantenlogik" dann für makroskopische Objekte so sehr unterdrückt, daß sie erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts mühsam entdeckt werden mußte?

In der physikalischen Literatur läuft diese Diskussion unter dem Namen "Schrödingers Katze". Die angesprochenen Themen gehören zu den heute noch diskutierten und umstrittenen Grundsatzfragen der Quantentheorie und unseres physikalischen Weltbilds überhaupt. Wie das Einstiegsbeispiel mit Bombe zeigt, muß man nicht mit großer Mathematik auffahren, um sie wahrzunehmen.
Einer der Ansätze ist die Vermutung, daß es die ständige Wechselwirkung eines makroskopischen Systems mit seiner Umgebung (etwa mit der allgegenwärtigen Wärmestrahlung) ist, die dem System (praktisch) klassische Eigenschaften gibt. Das läßt sich auch anhand unseres Versuchsaufbaus verdeutlichen: Wenn die Strahlengänge nicht gut gegen "von außen kommende" Photonen abgeschirmt ist (die ja dann wie Hindernisse wirken), wird die Interferometer-Anordnung nicht zu realisieren sein, und das System verhält sich weitgehend klassisch. Dieses Phänomen heißt Dekohärenz.

Die Sache mit der Bombe wurde übrigens erst 1983 (von Avshalom Elitzur und Lev Vaidmann) veröffentlicht. Das zeigt, daß auch die professionellen Physiker sehr lange Zeit brauchen, um sich an die Quantentheorie zu gewöhnen.

Literatur

Der Originalartikel über den Bombentest ist:

A. C. Elitzur und L. Vaidmann, Quantum-mechanical interaction-free measurements, Foundations of Physics 23, 987-997 (1993).