WEBPORTAL: MÄNNLICHKEITEN
    Start/Rollen/Opfer/Kafka
   
 

Zitieren sie diesen Text bitte folgendermaßen:

Hienert, Daniela:

Betrachtung eines Textes von Franz Kafka: Brief an den Vater. In: Webportal für die Geschichte der Männlichkeiten des Instituts für Geschichte der Universität Wien,

http://www.univie.ac.at/igl.geschichte/maennergeschichte/rollen/opfer_01.htm


 

Franz Kafka: Brief an den Vater

 

Als Beispiel für meine Arbeit habe ich Franz Kafkas "Brief an den Vater" gewählt. In diesem Werk erzählt der Autor in Form eines Briefes über sein Leben, welches hauptsächlich durch Auseinandersetzungen mit dem Vater gekennzeichnet ist. Interessant ist vielleicht, dass Franz Kafka diesen Brief 1919, im Alter von 36 Jahren verfasst hat, doch der Brief wurde dem Adressat niemals übergeben. Dieser Brief soll zum Ausdruck bringen, was alles schiefgelaufen ist, da die beiden nicht miteinander reden können. Der Sohn, Franz Kafka, bringt eine große Anzahl an Beispielen und das macht diesen Brief sehr interessant und lebendig.

Einführung
Der Brief behandelt die Thematik des Verhältnisses zwischen dem dominanten Vater und seinem Sohn. Diese beiden stehen sich gegenüber - der Sohn glaubt, dass ihm der Vater die Schuld daran gibt, wie alles gekommen ist, doch der Vater vertritt die selbe Meinung. Eine Aussprache ist also daher nicht sehr wahrscheinlich bzw. möglich.

Familiensituation
Vater Hermann Kafka
Mutter Julie Kafka, geb. Löwy
Franz Kafka, der einzige Sohn
Ottla (Otilie) Kafka, die jüngste der drei Schwestern Franz Kafkas
Elli Kafka (Schwester)
Valli Kafka (Schwester)

Der Vater
Der Vater, Hermann Kafka, wurde 1852 als Sohn eines Fleischhauers in Südböhmen geboren. Als viertältestes von sechs Kindern muss er schon in früher Kindheit zum Lebensunterhalt der Familie beitragen.
Nach einiger Zeit bei der Armee heiratet er Julie Löwy und eröffnet ein Kurzwaren- und Gebrauchsartikel-Geschäft, das er später zu einer Großhandlung erweitert. Sein oberstes Ziel ist stets das Erlangen und Erhalten einer sicheren sozialen Stellung, Reichtum und Status.
Alle Mitglieder der Familie ordnen sich dem Lebensstil und den Prinzipien Hermann Kafkas unter. Lediglich Franz und Otilie passen nicht in die Form, die der Vater vorgibt.

Zusammenfassung des Buches mit den wichtigen Punkten

ERZIEHUNGSMASSNAHMEN


Auffallend ist die Furcht des Autors vor seinem Vater, die sicherlich auch mit dessen Erziehungsmaßnahmen zusammenhängt.
Ein Beispiel, welches der Autor gibt, möchte ich auch hier anführen. Er schreibt, dass er einmal in der Nacht immer wieder um Wasser gebettelt habe. Daraufhin nahm ihn der Vater aus dem Bett und trug ihn vor die Pawlatsche (1). Dort musste der Bub eine Zeitlang stehen. Der Autor beschreibt sein Gefühl, das er nach diesem Erlebnis hatte : " ...daß (sic!) der riesige Mann, mein Vater, die letzte Instanz, fast ohne Grund kommen und mich in der Nacht aus dem Bett auf die Pawlatsche tragen konnte und daß (sic!) ich also ein solches Nichts für ihn war. "(2)
Ein weiteres Erziehungsmittel des Vaters gegenüber den Sohn ist die Ironie, wenn zum Beispiel der Vater zum Sohn sagt: "Das ist dir wohl schon zuviel? Dazu hast du natürlich keine Zeit?"(3) und diese Äußerungen werden von einem bösen Gesicht und einem bösen Lachen begleitet. Diese Ironie, die der Vater wirkungsvoll anwendet, entspricht der Überlegenheit des Vaters gegenüber seinem Sohn.
Dieser Aspekt der Überlegenheit begleitet den Leser in verschiedenen Situationen durch das ganze Werk. Wenn Vater und Sohn beispielsweise zum Schwimmen gehen, empfindet der Sohn den kräftigen und großen Körper des Vaters als
Einschüchterung und sogar Bedrohung, weil er schmal und mager aus der Umkleidekabine tritt. Natürlich, so schreibt Kafka, meint es der Vater nicht böse. Er möchte ihm nur das Schwimmen beibringen, doch durch diese offenkundige Überlegenheit fühlt sich der Sohn in der Rolle des "Nichts" noch viel mehr bestätigt.
Ein anderes Beispiel für diese Überlegenheit manifestiert sich auch darin, dass nur die Meinung des Vaters die einzig Wahre sei. Alles andere ist für ihn "meschugge" und nicht akzeptierbar. Dies zieht sich bis in den Freundes- und Bekanntenkreis seines Sohnes, für den der Vater nur Verachtung und Ironie übrig hat. Bezeichnend ist in diesem Falle, dass der Vater die Freunde nicht kennt und gleich von vornherein ablehnt und verurteilt.
Ein wichtiges Beispiel für die Herrschaft des Vaters über die ganze Familie ist auch das Benehmen bei Tisch und das Essen selbst. So bezeichnet der Vater die Köchin als "Vieh", welches das Essen verdirbt und daraus ein "Fressen" macht.
Die Kinder wurden angehalten, nicht zu sprechen. Außerdem mussten sie schnell essen, weil auch der Vater ein schneller Esser war. Bei Tisch durfte man sich nur mit Essen beschäftigen, doch der Vater brach diese Regel und schnitt sich sogar die Nägel am Esstisch.
Für den Sohn teilt sich in seinen jungen Jahren die Welt in drei Teile: erstens die Welt, in der er quasi als Sklave lebt, unter den Gesetzen seines tyrannischen Vaters, welche nur für ihn erfunden wurden;
Zweitens gibt es die Welt, in der sein Vater lebt, die aber von der des Sohnes weit entfernt ist. Darin beschäftigt sich der Vater mit der Regierung der Familie und des Geschäftes. Drittens schließlich erfährt der Leser von einer dritten Welt, das ist die, in der alle anderen Menschen leben. Diese Leute seien frei von Befehlen und Gehorchen.
Eine Folge der ständigen Unzufriedenheit des Vaters mit seinem mißratenen und ganz und gar nicht "Kafkaschen Sohn" ist, dass der Sohn das Reden verlernte. Die ständige Drohung: "Keine Widerrede", noch dazu mit erhobener Hand, führte dazu, dass der Sohn nur widerwillig Antworten gab bzw. stotternd und stockend vor dem Vater reden konnte. Schließlich gab der Sohn das Reden ganz auf und schwieg.
Hier ist auch wieder ein höchst interessanter Hintergrund zu finden. Der Vater nämlich, ein "echter Kafka", ist unter anderem redegewandt, hat Selbstvertrauen und strotzt vor Gesundheit. Diese Redebegabung nutzt er bei der Erziehung seiner Kinder aus: er verwendet hauptsächlich rednerische Mittel. Als Beispiele führt der Autor nicht nur Schimpfen oder Drohen an, sondern auch Ironie, böses Lachen und schließlich Selbstbeklagung. Aufgrund all dieser Dinge verlor der Sohn schließlich das Vertrauen zu eigenem Tun: "Ich verlor das Vertrauen zu eigenem Tun. Ich war unbeständig, zweifelhaft."(4)
Je älter der Sohn wird, desto größer wird auch das Material, welches der Vater dem Sohn als Beweis seiner Wertlosigkeit entgegenhalten kann. Immer wieder taucht der Vorwurf des Vaters auf, dass der Sohn ein Leben "in Saus und Braus"(5) führen kann, aber nur deswegen, weil er, der Vater, hart arbeitet. So wird ihm ein Leben in Ruhe, Wärme und Fülle ermöglicht. Mit Aussagen und Sätzen wie diesen wird dem Sohn immer wieder eingetrichtert, wie gut er es eigentlich hat: "Schon mit sieben Jahren musste ich mit dem Karren durch die Dörfer fahren."(6)
Solche Erzählungen hätten unter anderen Verhältnissen ein ausgezeichnetes Erziehungsmittel sein können (...), sie hätten aufmuntern und kräftigen können.(7)
Doch in dieser Familie funktionierte das nicht.
Die Mutter hat in diesem "Spiel" die Rolle des "Treibers in der Jagd".(8) Sie war dem Vater bedingungslos verfallen und tat alles für ihn. Dennoch versuchte sie, die Kinder vor ihrem Mann zu schützen.
Schließlich führten alle diese Schwierigkeiten zwischen Vater und Sohn zu einer Flucht des Sohnes vor allem, was ihn an den Vater erinnert.
Zuerst floh er aus dem Geschäft, weil er auch die ungerechte Behandlung des Personals nicht mehr ertragen kann. Dieses wurde als "bezahlte Feinde" bezeichnet und ebenfalls mit Schimpfen und Tyrannei terrorisiert(9).
Auch hier stellt der Sohn die Überlegenheit des Vaters dar: als Geschäftsmann ist er allen anderen überlegen.
Mit dieser Flucht vor dem Vater kam es natürlich auch zu einer Flucht vor der Familie und der Mutter. Die Mutter hatte eine schwere Stellung in der Familie inne, einerseits liebte sie ihren Mann und half zu ihm, andererseits verstand sie auch die Ängste ihrer Kinder.
Seine Schwestern, Elli, Valli und Ottla, und deren Beziehung zum Vater werden auch genauer erläutert: Von diesen dreien konnte sich Valli noch am ehesten mit dem Vater arrangieren, da sie der Mutter sehr ähnlich war.
Ottla dagegen führte ebenso wie ihr Bruder einen lebenslangen Kampf gegen den übermächtigen Vater.
Elli schließlich war vom Wesen her so ähnlich wie ihr Bruder; er beschreibt sie als boshaft, gierig, geizig, faul, schwerfällig etc., doch sie verließ das Elternhaus, heiratete und bekam Kinder. Nach deren Geburt war sie ganz anders, plötzlich wurde sie ein fröhlicher und ganz anderer Mensch.
Aufgrund dieser Flucht ging auch sein Familiensinn verloren. Andere Beziehungen außerhalb der Familie litten unter der Situation, nicht selten musste er sich bei Freunden und Bekannten verstellen.

JUDENTUM


Ein großer Streitpunkt in der Vater-Sohn-Beziehung war auch die Religion. Sein Vater, ein nicht sehr gläubiger Jude, nahm ihn an hohen Feiertagen in die Synagoge mit. Er erhoffte sich dadurch, etwas von dem Sinn, den er als kleiner Junge erfuhren hatte, an seinen Sohn weitergeben zu können. Doch diese Annahme erwies sich als falsch, denn für den Sohn hatten sie natürlich nicht genau denselben sentimentalen Wert wie für den Vater - und genau deshalb gelang diese Annäherung zwischen den beiden hier auch nicht. Aber als sich der Sohn aus freiem Willen mit dem Judentum befasste, kam es zu Streitigkeiten, weil der Vater die Meinung vertrat, das einzig richtige Judentum sei jenes, welches er seinem Sohn in der Kinderzeit vermitteln wollte.

BERUFSWAHL


Bezüglich der Berufswahl gab der Vater seinem Sohn Freiheit. Er war nicht gut in der Schule, studierte schließlich (zuerst Chemie, dann Deutsch) Jus. Das gefiel ihm aber und er konnte dieses Studium auch abschließen.

EHE/HEIRAT


Der Sohn konnte sich keine Ehe vorstellen; für ihn gab es "keine Voraussicht hinsichtlich Möglichkeit und Bedeutung".(10) Das Thema kam auch gänzlich unerwartet über ihn, deswegen misslang wahrscheinlich auch der erste sowie auch der zweite Heiratsversuch. Der Vater stellte das Mißlingen der Heirat in eine Reihe mit all den anderen Mißerfolgen seines Sohnes. Als aber sein Sohn ein junges Mädchen aus Prag zu ehelichen gedachte, mißbilligt er diese Absicht mit den Worten: "Sie hat wahrscheinlich irgendeine ausgesuchte Bluse angezogen, wie das die Prager Jüdinnen verstehn, und daraufhin hast du dich entschlossen, sie zu heiraten. Und zwar möglichst rasch, in einer Woche, morgen, heute."(11) Hier wandte er auch wieder sein Mittel der Ironie an, um den Sohn gefügig zu machen - doch dieser Vorfall ereignete sich, als Franz Kafka, also der Sohn, bereits im Alter von 36 Jahren war!
Der Grundgedanke beider Heiratsversuche war, einen Hausstand zu gründen und selbstständig zu werden. Der Sohn fasste es als das Äußerste auf, das einem Menschen überhaupt passieren kann. Er vertrat die Meinung, dass es (das Heiraten) bloß mit vielen geschieht, und sie tun es nicht von sich aus.
Durch eine Heirat, so der Gedanke des Sohnes, wäre er in enge Beziehung mit dem Vater getreten. Eine gewisse Ebenbürtigkeit hätte sich eingestellt, weil ja beide Ehemänner gewesen wären.
Doch dazu hätte man alles Geschehene ungeschehen machen müssen.
Ehehindernisse sind für den Sohn erstens die Angst um die eigene Situation als Schriftsteller und auch eine allgemeine Einschätzung der Ehe als Gefahr.
Außerdem müsste er sich als Ehemann und Familienvater all jene Eigenschaften zulegen, die der Vater besitzt, doch er besitzt sie nicht. Diese wären aber zur Führung und Erhaltung der Familie sehr notwendig.

Abschließender Kommentar


Dieser Brief ist meiner Meinung nach reich an Gefühlen, die sich ein Leben lang aufgestaut haben. Natürlich ist in dem Brief hauptsächlich die Rede von der Furcht des Sohnes, dennoch hoffe ich, dass auch der Aspekt der Männlichkeit in dieser Arbeit nicht zu kurz gekommen ist.
Der "Brief an den Vater" ist wohl unumstritten dasjenige biographische Dokument, welches die Lebenssituation Franz Kafkas, seine Selbstwahrnehmung und die Beziehung zum Vater am deutlichsten und detailliertesten enthüllt. Er Einfluß des Vaters auf Kafkas Leben scheint ja enorm, genauso wie die Spiegelung der Beziehung zwischen Vater und Sohn in Kafkas Werk.

Literatur:

Kafka, Franz: Brief an den Vater. Nachwort von Wilhelm Emrich. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M., 1960

(1) Eine Pawlatsche ist ein langer Balkon, welcher in vielen älteren Prager Häusern an der Hausinnenseite verlief ; meist für mehrere Wohnungen gemeinsam

(2)Kafka, Franz: Brief an den Vater S. 10

(3)Kafka, Franz: Brief an den Vater S. 20

(4)Kafka, Franz: Brief an den Vater S. 19

(5)Kafka, Franz: Brief an den Vater S. 05

(6)Kafka, Franz: Brief an den Vater S. 25

(7)Kafka, Franz: Brief an den Vater S. 25

(8)Kafka, Franz: Brief an den Vater S. 24

(9)Kafka, Franz: Brief an den Vater S. 28

(10)Kafka, Franz: Brief an den Vater S. 48

(11)Kafka, Franz: Brief an den Vater S. 53