ITINERA

Lateinisches Unterrichtswerk für Latein als 3. Fremdsprache

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Übersetzungen der Lektionstexte

Schau - dort ist ein kleines Haus; da ist ein steiniger Acker, dort (ist) ein fruchtbarer Garten. Der Acker umgibt das kleine Haus und den fruchtbaren Garten.
Hier leben der Bauer Simylus und die Bäurin Megilla. Hier arbeiten sie, hier führen sie ein (oder: ihr) hartes Leben.
Das Haus ist klein, aber nicht armselig. Außer Megilla und Simylus bewohnen es vier Kinder (zwei Söhne: Gaius und Tertius, und zwei Töchter: Secunda und Paula) und ein Sklave, Afer.
Weder das Haus freilich noch den Garten noch den Acker besitzen Simylus und Megilla wirklich: Sie sind Pächter.
Nahe bei dem Haus liegt ein kleiner Stall. Dort bewahrt Simylus das Getreide auf; des weiteren befinden sich einige bäuerliche Gerätschaften darin. Zwei Molosser, starke Hunde, bewachen die Gebäude und schrecken Wölfe und andere wilde Tiere, auch Diebe ab und vertreiben sie.

Es ist Morgen. Simylus, Megilla, die Kinder und der Sklave - das ist die gesamte Familia - nehmen ihre Arbeit auf: Simylus und Afer spannen die Ochsen ein und führen sie aufs Feld. Gaius begibt sich in die Werkstätte. Megilla facht das Feuer vom Vortag an. Die Schwestern mischen inzwischen Wasser, Mehl und Salz; dann teilen sie den Teig in kleine Scheiben und legen sie in den Ofen. So bereiten sie Brot zu.
Auch Tertius verlässt das Haus: Er geht zur Schule - wie die Eltern (zumindest) glauben. Doch in Wahrheit begibt er sich heute nicht zu seinem Lehrer, sondern läuft zur Staatsstraße. Tierbändiger nämlich führen exotische Tiere zur Tierhetze: Kamele, Löwen, auch Elephanten und Panther.
Viele Menschen sind da und beobachten den Zug. Unter ihnen ist ein bestimmter junger Mann auffällig. Er ist fremd / ein Fremder und hat einen Esel mit sich. Und so erblickt Tertius nicht nur die Bestien, sondern auch den jungen Mann.

Der Fremde spricht die Umstenhenden an:
"Ihr Bürger - hört mich! Ich bin hungrig und müde. Ich suche etwas zu essen und eine Unterkunft oder wenigstens ein Dach (über dem Kopf)!"
Sogleich antwortet ein Mann: "Ein Dach über dem Kopf suchst du? Und eine ordentliche Jause wünschst du? Sicher auch einen ausgezeichneten Wein? Komm in mein schönes Wirtshaus! Es ist ganz nahe hier! Hör zu: Ich habe heute auf der Speisekarte ..."
Da treten von allen Seiten die Leute heran, sie rufen und lachen:
"Einen ausgezeichneten Wein, sagst du? Essig ist er!"
"Ich kenne deinen Wein! Du bist ein Dieb, ein Giftmischer!"
"Verschwinde von hier und verunstalte einen anderen Platz!"
"Schaut: Er sagt nicht muh und nicht mäh!"
"Na was ist? Was schaust du so verdutzt wie der Bock in den Kichererbsen?"
Während sie ihn so verspotten, tritt Tertius an den jungen Mann heran: "Ich weiß eine Bleibe, glaube ich - komm mit mir!"

Paula: "Hierhin und dorthin wandern, entfernteste Länder sehen, Städte kennenlernen und Menschen - das heißt leben! Ich muss, weil ich ein Mädchen bin, zu Hause bleiben, muss auf einen Gatten warten. Meine Aufgabe ist es, zu kochen, Wolle zu spinnen, den Garten zu pflegen, alles in allem: zu Hause zu sein. Du aber, Aristoxenus, kannst, da du ein Mann bist und Vermögen hast, ein abwechlungsreiches Leben führen."
Mutter: "Du schwatzt die ganze Zeit: Durch entfernteste Länder reisen, das bedeutet, sich in Gefahr zu begeben. Unser Haus ist unsere Burg! Zu Hause sind wir glücklich, zu Hause sicher - nicht draußen."
Gaius: "Ich bin anderer Meinung, Mutter. Ich beneide Aristoxenus sehr, denn er führt ein glückliches Leben. Ich bin schon ein Mann und fürchte keine Gefahren."
Aristoxenus lacht: "Wo Gefahr ist, da sind die wahren Männer - so wie Gaius."
Während er erzählt, tritt Simylus ein, sieht sie und ruft: "Sind wir den Leute, die nichts zu tun haben? Haben wir vielleicht Ferien? Seid ihr etwa pflichtvergessen? Bis tief in die Nacht hinein sitzt ihr hier und plaudert! Und ... was sehe ich: Auch das Öl verschwendet ihr! Schaut euch um: Es ist schon tiefe Nacht! Die Geister der Nacht gehen jetzt um. Betet (ihr) zuerst zu den Hausgöttern, dann begebt euch zur Ruhe!"

"Uahh - musst du wirklich vor Sonnenaufgang aufstehen?" - "Das ist meine Pflicht.", antwortet Gaius, "Ich stehe sogleich auf, wenn ich den Hahn krähen höre."
Aristoxenus lacht. "Also befiehlt ein kleiner Hahn einem großen Mann so wie du vor Sonnenaufgang aufzustehen! Es ist immerhin ein Wunder, dass du den Hahn (überhaupt) hörst! Ich glaube, dass ich nicht einmal ein Erdbeben fühlen würde, wenn es Nacht ist und ich schlafe."
Gaius: "Beim Herkules - Du führst wirklich ein glückliches Leben, Aristoxenus. Ich beneide dich (aber) nicht übermäßig: offenkundig ist es so, dass der eine Mensch ein glückliches, der andere ein unglückliches Leben führt. Ich bin ein armer Mensch, du bist ein vom Glück Begünstigter!"
Aristoxenus lacht nicht mehr: "Sicher ist, dass nichts sicher ist: So pflegt mein Lehrer zu sagen. Beim Jupiter! Unterbrich eine Zeitlang dein bescheidenes Leben, mein Freund! Komm mit mir, Gaius!"

Gaius nähert sich der Werkstätte. Vor der Mauer erblickt er viele Menschen.
Er begrüßt den Meister - dieser antwortet dem Sprecher nicht. Es ist offenkundig, dass ein Unglück den Arbeitern und dem Betrieb droht. Er hört Stimmen:
"So sind unsere Herren! Einer sagt zum anderen: Beschütze mich - dann beschütze ich dich! Um die Armen und Notleidenden kümmern sie sich nicht ..."
"... weil sie sich um das kleine Volk keinen Deut scheren ..."
"Ich habe eine Frau und fünf Kinder ...!"
"Was erwartet ihr, Bürger, warum seid ihr überrascht? Die Gemeinderäte sorgen nicht für das Volk, sondern für die Ritter - für ihre Freunde. Die haben Vermögen, wie ihr wisst ..."
"Die Reichen helfen den Reichen ... und alle Tage feiern sie Saturnalien - Löwen sind sie, reißende Wölfe! Um uns arme Leute kümmern sie sich keine Spur."
"Sie sind mir verhasst! Bei den Galliern oder bei den Germanen kaufen sie billig Glas - hier verkaufen sie es, so teuer sie wollen. Unsere Bürger ziehen fremde Waren vor, die unsrigen ignorieren sie!"
"Wenn das Glück ausbleibt, kommt niemand dir zu Hilfe ..."
Caius tritt zu seinem Meister: "Was ist denn nun? Warum arbeitet ihr nicht? Was schreit ihr?"
Der Meister antwortet ihm: "Der Betrieb ist pleite. Unser Herr verkauft die Sklaven, die übrigen entlässt er. Geh nach Hause, Gaius!"
Während Gaius langsam nach Hause geht, hört er noch eine Zeitlang Stimmen:
"Wie kann ich heute einen Bissen Brot finden?"
"Unsere Gemeinde wächst - nach hinten, wie ein Kälberschwanz ..."

Die Mutter, die Schwestern und Afer suchen Gewänder und die übrigen Dinge zusammen, die für jemanden, der eine Reise machen will, notwendig sind: einen Mantel, der Wind und Regen abhält, einen Hut, der vor der Sonne schützt; einen Geldbeutel, in den Gaius sein Geld gibt.
Tertius steckt heimlich ein Amulett in den Sack, das er besonders hoch schätzt: eine kleine Figur, die den Gott Merkur darstellt. Er murmelt, während er sie einpackt: "Das ist eine gute Hilfe gegen Gefahren! Wer eine Reise wagt, der braucht geweihte Amulette."
Als Aristoxenus das bemerkt, verspottet er den Buben: "Haha! Eine ausgezeichnete Hilfe! Nicht Silber, sondern Eisen brauchen wir! Ich sage dir: Amulette können gefährliche Menschen, die anderen schaden oder sie verletzen oder auch töten wollen, nicht täuschen."
Tertius aber antwortet ihm. "Wenn Gefahr herrscht, ist ein echter Freund ein rarer Vogel, wie man sagt. Merkur ist überall hilfreich!"

Simylus, der Hausvater, führt inzwischen ein Lamm zu dem kleinen Altar, der nahe beim Haus steht. Dort betet er zu den Penaten, denen er das Lamm zu opfern beabsichtigt.
Er betet: "Steht, ihr guten Götter und Göttinnen, meinem Sohn bei, der sich nun auf den Weg macht! Bleibt fern, ihr bösen Geister, bleibt fern, ihr bösen Schatten!"
Dann trägt die Mutter das Opfertier in die Küche und bereitet Aristoxenus und Gaius ein Abschiedsessen.

Bei Sonnenaufgang treten Aristoxenus und Gaius, deren Gepäck ein Esel trägt, ihre Reise an. Die Staatsstraße ist bereits voller Leute: Fußgeher und Reiter, Wagen und Karren bevölkern sie. Hier zieht eine Gruppe Bewaffneter, die der Kutsche eines vornehmen Mannes zum Schutz dient, vorbei; die Räder der Fuhrwerke machen ungeheuren Lärm. Hier bleibt ein Zeiserlwagen hängen, dessen Rad gebrochen ist, dort sehen sie auch (~überhaupt nur noch) die Überreste irgendeines Wagens...
Plötzlich hören die Freunde eine Schar schneller Reiter herangaloppieren. Während er Gaius zurückzerrt, ruft Aristoxenus: "Achtung, pass auf die rücksichtslosen Reiter auf! Schau dir diesen Verrückten an, der mitten in die Menschen(menge) hineinreitet! Komm, rette dich hierher!"

Aristoxenus: "Die Staatsstraße ist heute sehr belebt. Es ist kaum zu glauben: Was für eine Vielzahl von Wanderern zieht hier schon vor Sonnenaufgang vorbei, man sieht alle Arten von Wagen und Karren!"
Gaius: "Die Leute ziehen die öffentlichen Straßen den kleinen und engen Wegen vor, denn sie sind gut gepflastert, sind sicher, weil sie vielbegangen sind. Und es stehen den Reisenden Herbergen zur Verfügung."
Aristoxenus: "Was höre ich? Herbergen! Eher: Schlupfwinkel betrügerischer Wirte!"
Gaius: "Ich leugne ja nicht, dass die, die ich kenne, wirklich schlecht und schmutzig sind, und ich leugne auch nicht, dass manche Wirte geldgierig und nervtötend sind ... außergewöhnliche Speisen versprechen sie, doch außer ihren Preisen ist nichts außergewöhnlich ..."
Aristoxenus: "Sie gleichen manchen Aufsehern der Staatsstraßen, die für einen öffentlichen Weg Zoll einheben ..."

Gegen Abend nähern sie sich einem Wirtshaus. Vor seiner Tür steht eine Frau und lädt die, die vorübergehen, in das Gasthaus eines Wirtes namens Eumolpus ein. Sie ruft: "Geht nicht vorbei! Tretet ein, wir haben feine Speisen, hervorragende Weine, sehr gute Betten!" Die Freunde treten ein. Das Gasthaus ist voll von Menschen: Kaufleute, Soldaten, Bauern, Matrosen. Sie lachen, würfeln, trinken, singen - und treiben mit der ziemlich feschen Wirtin ihre Scherze. Aristoxenus: "Was meinst du? Manchmal glaube ich, dass der höchste aller Götter nicht Amor ist, wie der Dichter Ovid sagt, sondern Bacchus, der Erfinder des Weines! Bei allen Völkern trinken die Menschen - manche saufen sogar wie das Vieh." Gaius als Sohn eines Bauern korrigiert ihn: "Beleidige die Tiere nicht! Niemals trinken oder saufen sie wie die Menschen, welche du nennst, sondern sie trinken nur so viel Wasser, wie für sie ausreichend ist!" Aristoxenus: "Oh du Weiser! Verzeih mir - ich will weder mit dir streiten, noch die Tiere beleidigen. Doch wenn ich die betrunkenen Seeleute sehe, kommt mir eine unterhaltsame Geschichte über Bacchus in den Sinn ..." Gaius: "Ich mag Geschichten! Erzähl', bitte, wenn sie hübsch ist!"

Dionysos bzw. Bacchus, den ihr auf Latein Liber nennt, ist ein Sohn des Jupiter, des Göttervaters - wie zumindest die Dichter singen. Stell dir bitte vor, dass Bacchus noch ein Knabe ist, der auf einer Insel (Naxos heißt sie) auf der Erde sitzt und spielt, wie es die Kinder überall tun. Als er sich nach dem Spiel ein bisschen ausruht, fühlt er plötzlich, dass etwas seinen Körper (einfacher: ihn) berührt: Er schaut auf und sieht eine kleine Pflanze, die er, weil sie hübsch ist, pflückt. Wegen der Sonnenhitze aber bewahrt er sie im (Schädel)konochen irgendeines Vogels auf, den er nahe dem Weg (liegen) sieht. Er eilt nach Hause und trägt die Pflanze mit sich. Auf einmal aber wächst die Pflanze, also nimmt er den Knocken eines Löwen. Er marschiert weiter, und die Pflanze hört nicht auf zu wachsen. So nimmt er denn den riesigen (Schädel)knochen eines Esels. Zu Hause birgt er das Gewächs und die drei Knochen in der Erde. Dort wächst die Pflanze kräftig und trägt plötzlich süße Trauben. Die Kraft (~Auswirkungen) der Knochen aber siehst du bei denen, die Wein trinken - schau dir doch, bitte, die an, die du hier trinken siehst: Händler, Soldaten, Seeleute und andere. Die nicht viel trinken, singen vergnügt, wie die Vögel; die viel trinken, bilden sich ein, sie seien stark wie Löwen: also schreien sie, raufen auch ... und die allzuviel trinken, werden dumm wie Esel ... aber vielleicht meinst du, dass ich jetzt unseren braven Esel beleidige, der sicherlich müde im Stall steht und schläft ..." Gaius schaut sich, während er lacht, vorsichtig um: Doch die betrunkenen Matrosen ignorieren Aristoxenus.

Die Wirtin bietet den jungen Männern Kastanien an, rote Äpfel, Gurken, Käse, Brot und Wein. Als die Sonne untergeht, begeben sich die Freunde aufs Zimmer, und noch während sie schon einschlafen, hören sie die Stimme der Wirtin, die fröhlich singt: "Ah, pereat ..."

Die Sonne steht schon hoch am Himmel, als sie einen Meilenstein sehen, der vor einem Postengebäude steht. Sie lesen:
Von Paestum 10 Meilen (entfernt) Aristoxenus: "Beim Herkules! Zehn Meilen bis zur (eigtl.: von ... her) Colonia Paestum! Mir rinnt der Schweiß bis zu den Knöcheln hinunter!"
Gaius: "Jammere nicht! Wer flott marschiert, bewältigt eine Strecke von zehn Meilen in etwa drei Stunden."
Aristoxenus: "Schnell, sagst du? Schau dir die Sonne hoch am Himmel an ...!"
Während sie solcherart Worte wechseln, kommt ein Trupp Arbeiter mit seinem Kommandanten heran. Sie tragen Spaten bei sich und andere Werkzeuge, mit denen sie ein bestimmtes Stück der Straße reparieren sollen. Mit großer Sorgfalt begutachten sie das Fein- und das Grobkiesbett, planieren es mit Spaten und Äxten und fügen die passenden Steine mit großer Geschicklichkeit wieder zusammen.
Da spricht ein Mann, der zufällig vorbeigeht, die jungen Männer an: "Wie schlampig sie heutzutage die Straße befestigen! Ich bin ein Veteran, ich kenne mich aus im Straßenbauen und im Kriegführen! Uns Veteranen verdankt das Reich seine Straßen! Aber heute, unter der Regierung des Kaisers Hadrian, liegt alles am Boden, die Römer sind ohne Tüchtigkeit, ohne Tapferkeit. Rom ist müde wie ein nutzloser alter Mann ... Einstens ..."
Aristoxenus zieht Gaius beiseite: "Komm, komm! Was stört uns eine Strecke von zehn Meilen - im Vergleich zu solch martialischem Gerede ..."

In der Ferne sehen sie bereits Paestum und seine herrlichen, im Sonnenlicht glänzenden Tempel. Obwohl sie müde sind, eilen sie in die Stadt hinab, und bald versperrt ihnen eine Menge von Menschen, die von allen Seiten zusammenströmen und jubeln, den Weg: Sie feiern heute ein Fest der Göttin Isis.
Der großen Prozession gehen nach und nach Vorspiele voran, maskierte Männer: Einer, der ein großes Schwert schwingt, spielt einen kühnen Krieger; einen anderen machen seine Jagdspieße zum Jäger; ein weiterer zeigt sich als Frau im Seidengewand; andere verspotten hochstehende Personen mit Fasces und Purpur, und als letzter schreitet einer daher, der mit langem Bart und Paletot einen griechischen Philosophen darstellt. Es folgt ein Zug von Frauen.
Die Umstehenden applaudieren und lachen.
Nach diesen Vergnügungen streuen Frauen, leuchtend in ihren weißen Gewändern, bunte Blumen aus ihren "Gewandbäuschen" auf die Straße, andere besprühen die Gassen mit Duftessenzen. Weiters ertönen süße Harmonien, Hirtenpfeifen und Flöten mit lieblichen Melodien. Dann verkündet eine Stimme: "Gebt den Heiligtümern den Weg frei!", und Priester schreiten einher, die die Symbole der Göttin tragen: einer eine goldene Lampe, ein anderer den Altar der Göttin, wieder ein anderer einen vergoldeten Palmzweig, ein anderer einen goldenen Krug. Eine würdevolle Kuh zieht dahin: Abbild der Göttin, die alles Leben gebiert.
Keine Verzögerung: Ein glücklicher Priester / eine gl. Priesterin trägt an seiner / ihrer Brust das ehrwürdige Bild der höchsten Gottheit.
Dann verschwindet die Prozession langsam aus dem Blick.
Viele Menschen umstehen die hölzernen Tribünen; dort präsentieren Sklavenhändler ihre Ware: kräftige Männer, zarte Mädchen, Frauen, Knaben, die sie nicht bloß in Paestum, sondern auch in Puteoli oder Rom zu verkaufen pflegen. "Ihr Bürger, hört!", schreit der Sklavenhändler mit heiserer Stimme, "Beim Herkules, Sklaven, die nicht in Italien geboren sind, sind rar! Die ihr (hier) seht, stammen aus Afrika! Betrachtet meine hervorragende Ware! Sie kommen aus Alexandria oder aus Karthago oder Thaenae! Vielleicht fragt ihr: ‚Du Schuft von einem Sklavenhändler, wie gibt's das, dass du eine so seltene Ware hierher bringst?' Ich sage euch: Manche Äthioperkönige schicken die Bewohner ihrer Reiche nach Alexandria, Karthago oder Thaenae und verkaufen sie uns. ‚Aber warum verkaufen sie ihre Untertanen, wo sie ihnen doch ihre Steuern zahlen?', könnt ihr fragen. Es ist doch klar, ist nicht undurchsichtig: Die Könige lieben den Luxus - Geld haben sie keines. Sie verkaufen ihre Söhne und Töchter, wenn sie jemand kaufen will - und Sesterzen bezahlt. Die Liebe zum Geld überwindet alles."
Aristoxenus zu Gaius: "Hässliche Worte! Arme Menschen!"
Und Gaius: "Was sagst du, Aristoxenus? Ohne Zweifel sind sie unglücklich, aber es sind Sklaven, keine Freien!"
Doch Aristoxenus: "Seneca, ein respektabler Philosoph, denkt anders als du. Er sagt in etwa: "Lebt in familiärer Weise mit euren Sklaven. Sie sind nicht Sklaven, sondern schwächere Freunde. Das Schicksal hat über Sklaven wie über Freie die gleiche Macht. Ich lache daher über die, die es für degoutant halten, mit ihren Sklaven gemeinsam zu speisen. Mit unserer Rücksichtslosigkeit und Arroganz aber machen wir die Sklaven zu unseren Feinden: Denn wenn du den Hass der Sklaven gegen dich reizt, hast du ebensoviele Feinde, wie Sklaven."
Gaius staunt - welch unerhörte Rede! Dan lacht er dem Freund ins Gesicht: "Ich kümmere mich darum nicht - ich habe nämlich keine Sklaven!"

Zwei Freunde reisten einmal nach Athen. Auf ihrem Weg kamen sie nach Megara, einer kleinen Stadt in Griechenland. Der eine ging in ein Gasthaus, der andere begab sich zu einem ihm bekannten Gastfreund. Im Traum sah (sic!) er seinen Gefährten rufen: "Komm mir zu Hilfe, mein Freund! Der Wirt hat mir eine Falle gestellt!"
Sofort sprang er aus dem Bett und wollte in das Gasthaus laufen ... Doch er ließ sein Vorhaben bleiben und begab sich wieder zur Ruhe. Er sagte sich: "Es war nichts als ein bedeutungsloser Traum."
Da erschien der Freund ein zweites Mal: "Ich bin tot!", rief er und zeigte seine schweren Wunden. "Der Wirt hat mich umgebracht und transportiert gerade meinen Leichnam auf einem Karren - mit Mist bedeckt - zum Stadttor."
Endlich gehorchte er den Worten seines Freundes und lief zum Tor: Er fand den Karren und den toten Freund, den Wirt übergab er den Richtern.

Cethegus: "Wo jetzt Steine sind und Staub, ihr jungen Männer, da blühten vor einigen Jahren gar nicht so kleine Städte, die jetzt Asche sind unter dem Gestein des Vesuvs: Herculaneum, Stabiae, Pompei. Schaut euch um! Schweigen ringsumher, wo einstens das Leben blühte! In einer einzigen Nacht zerstörte der Vesuv drei Städte!"
Die Jünglinge schwiegen, und Cethegus fuhr fort zu erzählen: "Ich staune, beim Jupiter! Habt ihr nie gehört, dass hier tausende Menschen einen vorzeitigen Tod gefunden haben?"
Gaius: "Hab' ich nie gehört ... doch du, Herr, bist doch bei dieser Katastrophe dabeigewesen?"
Aristoxenus lacht: "Sicher war er nicht dabei; ich schätze, dass der Kommandant ungefähr vierzig Jahre alt ist. Die Katastrophe aber ereignete sich vor fünfzig Jahren. Einen anderen Zeugen dieses Unglücks aber kenne ich gut: Gaius Plinius Secundus den Jüngeren, der diese furchtbare Katastrophe beschrieben hat."

Ich stand damals im zweiundzwanzigsten Jahr. Mit meiner Mutter hielt ich mich in Misenum auf, der Studien wie auch der Ruhe wegen. Ein Erdbeben war bereits eine gewisse Zeitspanne vorhergegangen - und in dieser Nacht verstärkte es sich sehr. Wir glaubten, das Beben habe alles nicht nur bewegt, sondern sogar zum Einsturz gebracht.
Meine Mutter stürzte ins Zimmer, ich war (aber) schon im Aufstehen, weil ich sie wecken wollte. Wir verließen das enge Gebäude und setzten uns auf dem freien Feld nieder, welches das Meer von den Häusern trennte.
Es war schon die erste Stunde - und immer noch Zwielicht: Viele Dächer sahen wir schwanken. Wir befahlen den Sklaven, die Wagen vorzufahren; obwohl die Wagen auf ebener Fläche standen, ließ sie das Beben in verschiedene Richtungen rollen. Wir sahen, dass das Beben das Meer gleichsam vom Land wegdrängte, die Uferlinie rückte vor und behielt Meerestiere auf dem trockenen Sand zurück.
Während wir noch staunten, sagte ein Freund der Familie, der bei uns war und aus der Siedlung herangekommen war: "Wenn dein Bruder bzw. dein Onkel in Pompei noch am Leben ist, dann möchte er euch gerettet wissen - wenn er umgekommen ist, wollte er euch als Überlebende. Was zögert ihr also, zu fliehen?"
So verließen wir die Stadt zusammen mit einer gewaltigen Menschenschar. Manche suchten mit Rufen ihre Eltern, andere ihre Kinder, andere ihre Gatten; viele glaubten, für die Welt sei die letzte Nacht heraufgezogen.
Ich schaue mich um: Eine schwarze Wolke senkte sich auf das Land, bedeckte das Meer. Sie hatte Capri eingehüllt und dem Blick entzogen. Dichte Finsternis drohte in unserem Rücken. Dann wurde es ein wenig heller - doch es war nicht das Licht der Sonne, sondern irgendein Brand, der sich näherte. Wiederum Finsternis, wiederum Asche, viel und schwer: wir schüttelten sie immer wieder ab.
Schließlich löste sich diese Dunkelheit quasi in Rauch und Nebel auf, bald leuchtete die echte Sonne hervor - jedoch bleich, wie sie zu sein pflegt, wenn sie sich verfinstert. Unseren Augen bot sich alles verändert dar, von hoher Asche wie von Schnee zugedeckt. Wir begaben uns nach Misenum zurück und verbrachten eine unsichere Nacht, von Furcht erfüllt, denn das Erdbeben dauerte an.

Artorius: "Hallo, Freunde! Hier ist der Eingang zu dem Lagerhaus, in dem meine Waren lagern!" Und während die Freunde sich dem Eingang näherten, hörten sie Artorius aus dem Inneren des Lagerhauses rufen: "Wo ist den jene Lampe? ... Ah, ihr fehlt das Öl. Wo ist den dieses Öl? Seht ihr diese Ölflasche? Die Wächter dieses Gebäudes stellen sie mal in diesen finsteren Winkel, mal in jenen ... besser gesagt: sie verstecken sie."
Schließlich fand Gaius das Öl und entzündete die Lampe. Im schwachen Licht blickte er sich um: Welche Vielzahl von Waren! Was für ein riesiges Gebäude!
Artorius setzte den Freunden auseinander: "In Wahrheit haben die Aufseher der Lagerhäuser alles mit großer Sorgfalt verteilt. In diesen Abteilungen hier haben sie Getreide, auf jener Seite die Hülsenfrüchte deponiert. In diesem Berich hier habe ich die Lebensmittel aufbewahrt, welche ich den Marinetruppen liefere, die in Misenum stationiert sind. Wir Händler ziehen nämlich alle große Gewinne aus jener Flotte, die Kaiser Hadrian im Hafen von Misenum stationiert hat. Ich bin mit den Fügungen des Schicksals zufrieden ...! Schaut, in dieser unscheinbaren Amphore ist doch ausgezeichneter Wein enthalten, den ich den Kommandanten des Heeres und den Zenturionen zu verkaufen pflege ..."
Aristoxenus: "Und was ist mit diesen Amphoren?"
Artorius lachte: "Oh! Jene Amphoren sind gefüllt mit Wein von niedrigem Preis - die einfachen Soldaten trinken das. Ich sage euch: Die Ausgaben für die Heere des Kaisers Hadrian sind die Einnahmen des Händlers Artorius! Es liegt also auf der Hand: Die Armee ist uns sehr zu Nutzen ..."

Artorius lachte, während er mit der linken Hand auf Cumae zeigte, das ihnen vor Augen lag: "Es ist kaum zu glauben", sagte er, "Heute noch zeigen sie den Fremden, die diesen ehrwürdigen Ort besuchen, das Haus oder besser die Höhle jener Seherin mit Namen Sibylle. Auch ich habe, als ich noch ein kleiner Bub war, die Sibylle mit eigenen Augen gesehen: Winzigklein und verhutzelt hing sie in einer Flasche an der Wand. Uns Buben, die wir sie fragten: "Was willst du?", antwortete die Sibylle auf Griechisch: "Ich will aus dem Leben scheiden."
Aristoxenus: "Kein Wunder, dass sie genug gelebt hatte. Also ermahnte sie nicht mehr in der Höhle, ihrer eigenen Behausung, die Gesandtschaften der Völker mit ihren Orakeln, sondern baumelte still in einer Flasche an der Wand, von der Gewalt des Alters runzlig und zusammengekrümmt wie ein Horn: tausend Jahre war sie alt!"
Artorius: "Ich bin ja selber der Meinung, das eben das, was ich gerade vorgetragen habe, lächerlich ist. Aber es gibt Fälle, gibt Ereignisse, die wir mit Menschenverstand nicht erfassen können."
Gaius: "Wie kam es, dass diese Sibylle tausend Jahre lebte?"
Aristoxenus: "Sibylla war, wie die Sage berichtet, eine Seherin; sie sah durch viele Jahrhunderte das Geschick des römischen Volkes voraus und sagte es den römischen Politikern vorher; was alles des Grundes und der Vernunft entbehrt."
Artorius: "Trotzdem befragen die Caesaren auch jetzt noch die sibyllinischen Bücher über Krieg und Frieden."
Gaius: "Die Bücher der Sibylle existieren noch? Sie hat also gelebt?"
Artorius: "Man sagt, dass einst die Sibylle jene Bücher dem Tarquinius Priscus zu einem hohem Preis verkauft habe. Unsere Vorfahren bewahrten sie im Apolltempel auf und befragten sie in tiefer Frömmigkeit - und heute noch befragen unsere Politiker sie."
Aristoxenus: "Unfug! Das ist nichts als Betrug. Glaubt einem Experten!"

Mein Freund! Marcus Artorius, sei gegrüßt! Ich habe schon geglaubt, du hättest auf die Gladiatorenspiele vergessen, die heute veranstaltet werden dank der Wohltätigkeit des Marcus Opsius, den du als sehr guten Gemeinderat dieser Stadt kennst."
Artorius: "Grüß dich, Norbanus! Sicher sind diese Gladiatorenspiele interessant - aber ich werde leider von Geschäften in Anspruch genommen."
Norbanus: "Mein lieber Freund! Sag doch nicht immer dieses "Ich werde in Anspruch genommen"! Wie kannst du von irgendwelchen Geschäften in Anspruch genommen werden, wenn so berühmte Gladiatoren kämpfen!?"
Mit lebhafter Gebärde wendet / wandte er sich an die jungen Männer: "Und ihr, junge Männer: Was ist mit euch? Werdet ihr etwa auch in Anspruch genommen von dringenden Geschäften? Heute, wo solch glänzende Spiele veranstaltet werden? Ganz Capua schlagen heute die Spiele in ihren Bann! Uns alle ruft man ins Amphitheater, Bürger genauso wie Fremde!"
Darauf verkündete mit lauter Stimme wie ein Redner auf dem Forum: "Beeilt euch, ihr Bürger! Man strömt schon von allen Seiten zusammen! Männer! Frauen! Sklaven! Lasst ihr denn zu, dass alle Plätze schon besetzt werden? Die Zeit läuft! Was zögert ihr? Seid ihr denn immer noch unentschlossen? Ich rate euch: Kommt schleunigst mit mir!"
Artorius lachte seinem Freund zu: "Du hast uns überzeugt. Wo, sagst du, werden die Eintrittskarten verteilt?"
Die Spiele hatten schon begonnen, als die jungen Männer, Artorius und Norbanus sich in einem großen Menschengewühl ins Amphitheater begaben. Der ganze Zuschauerraum wurde (gerade) vom Anblick eines Esels erregt, dessen blutigen Kadaver ein Löwe mit Zähnen und Klauen zerfleischte.
Dann wurde jener Löwe von einem Wächter hinausgeführt und der Sand vom Blut gesäubert: Unter lautem Beifall der Zuschauer betraten die Gladiatoren Memmius - den die Mehrheit begünstigte - und Lydus die Arena. Memmius war mit Netz, Dolch und Dreizack, Lydus mit Schwert und Schild bewaffnet.
Man gab das Zeichen zum Kampf: Sogleich wurde Memmius von seinem Gegner attackiert und war in höchster Gefahr. Das Publikum jammerte auf. Jener zog sich ein wenig zurück, beobachtete mit gespanntem Blick das Schwert des Kontrahenten, schwang sein Netz rasch hierhin und dorthin, täuschte zugleich einen Angriff vor und verheimlichte ihn (doch wieder). Lydus versuchte seinen Gegner zu schlagen, traf aber nichts als die Luft und hieb sein Schwert ins Leere. Die Menge tobte: "Los! Los! Flieh, Memmius! Hau ihn!", und man rief: "Erschlag' ihn! Verwunde ihn! Brenn' ihn! Wieso läuft er so zaghaft gegen das Schwert? Warum haut er (ihn) so vorsichtig nieder? Warum geht er so ungern in den Tod?" - "Warum tut sich nichts? Warum werden keine Leute umgebracht?"
Plötzlich, noch während das Publikum schreit, springt Memmius vor und schleudert unversehens sein Netz über Lydus' Kopf, jener wird von dem plötzlichen Angriff zu Boden vor Memmius' Füße gerissen und zappelt, in das Netz verwickelt, gleich einem gefangenen Fisch.
Ungeheures Geschrei, Applaus: "Er hat's! Aus ist es mit dir, Lydus! Bravo! Gut! Toll!"
Schon hörte man Stimmen: "Töte ihn!", und dagegen: "Lass ihn laufen!"
Während er sich anschickte, dem Gegner mit dem Dolch die Kehle zu durchschneiden, beobachtete Memmius das Gesicht des Veranstalters. Das Geschrei wuchs an: "Töte! - Lass ihn!" - schließlich entschied Marcus Opsius, der Veranstalter der Spiele: "Lass ihn laufen!", und Lydus wurde, obwohl er von vielen ausgepfiffen wurde, entlassen; Memmius aber wurde unter großem Applaus mit Siegeszeichen geschmückt.
Aristoxenus: "Dieser Ausgang erscheint mir sympathisch. Es heißt, dass einstens die noch lebenden und nur halbtoten Gladiatoren von Sklaven getötet wurden, die wie Charon gekleidet waren und nach dem scheußlichen Mord den Leuten meldeten: "Ich habe den Kampf beendet! Dieser hier hat empfangen, was er verdient hat."


Aristoxenus: "Ich für mein Teil glaube nicht, dass es angenehm ist, zu Fuß oder per Wagen durch Baiae, Formiae, Antium und die übrige Gegend zu reisen, wo vornehme und reiche Leute zusammenströmen, um sich zu erholen. Es ist doch erstaunlich: Die ihr ganzes Legen lang nichts tun außer Nichtigkeiten, erholen sich hier vom Nichtstun!"
Gaius lacht: "Wir aber, wir rechtschaffene Menschen, verbringen unser Leben mit Arbeit und damit, dass wir viel und nützliches tun."
Auch Aristoxenus grinst: "Du hast es gesagt! Und jetzt werden wir so wie echte Römer die Gefahren der Seefahrt auf uns nehmen - Seefahrt tut not."

Der Tag war windstill, das Meer ruhig; schon bereiteten die Matrosen das Schiff zum Auslaufen vor. Der Bekannte des Artorius brachte die jungen Männer zum Steuermann: "Ich bringe dir als Passagiere anständige junge Leute, Marcus ... oder zumindest bieten sie den Anschein anständiger Männer. Nimm sie mit dir nach Ostia, bitte."
Der Steuermann nickte, bei sich aber dachte er: "Das hier ist ein Lastschiff, für Handelswaren gebaut, nicht für Passagiere!"
Vergnügt bestiegen die Jünglinge das Schiff, und dieses vertraute man alsbald dem Wind an. In weiterer Folge segelten sie gemütlich entlang der schönen Küste Kampaniens, vorbei an den Küstenvillen reicher Leute. Während sie den Anblick der Küste genossen, meinte Aristoxenus grimmig: "In so einem Haus wohnen wir in Ephesus, die Eltern und ich - und auch mein Bruder wohnte dort."
Gaius fragte: "Was ist mit deinem Bruder? Ist er tot?"
Aristoxenus gab zur Antwort: "Geflohen, nicht tot - diese Hoffnung zumindest habe ich (wörtl.: sie hält mich aufrecht) ... trotzdem ist er ein vertrauenswürdiger Mann, glaub mir. Zum Verhängnis wurde ihm jene Lex Iulia oder besser Rom selbst, jenes "Haupt der Dinge", welches Redner und Schriftsteller rühmen ... doch an einem so schönen Tag will ich nicht von traurigen Dingen reden ..."


Während sie sich so unterhielten, wurde die See rauh und Wolken überzogen von allen Seiten den Tag mit Dunkel. Die Matrosen stoben auseinander auf ihre Posten, zogen die Segel vor dem Wind ein und setzten Ruder ein. Die jungen Männer blieben dennoch auf dem Achterdeck, sie bestaunten die Wogen, von denen die einen die anderen zu jagen schienen; und Aristoxenus rezitierte:
Wohin ich auch blicke, nichts gibt es als Meer und Luft,
aufgewühlt dieses mit seinen Fluten, drohend jene mit Wolken."
Als er die eleganten Verse des Dichters Ovid rezitierte, fuhr der zornige Steuermann heftig auf die beiden los: "Sogar jetzt noch genießt ihr euer unbeschwertes Leben? Bei diesem Unwetter betrachtet ihr das Merr und die Wellen? Zum Donnerwetter! Helft mit! Steht uns bei! Greift zu den Rudern, so wie die anderen auch!"
Aristoxenus und Caius gehorchen dem Steuermann prompt. "Neptun zürnt dem Schiff - und uns der Seemann.", beklagte sich Aristoxenus im Scherz.


Bei Einbruch der Nacht näherten sie sich dem Hafen von Ostia, das Unwetter hatte sich gelegt. Von weitem schon konnte man ein bestimmtes Licht sehen. Der Steuermann, der offenbar seinen Zorn und die Gefahr des Meeres vergessen hatte, erklärte den Freunden: "Seht ihr jenen hohen Turm? Man sagt, dass er schon so manche Seeleute vor dem Tod bewahrt hat! Kaiser Claudius hat ihn erbaut: Von diesem Turm aus leuchten, wie vom Pharos in Alexandria, des nachts Feuer, die durch ihr Leuchten die Schiffe zum Hafen leiten. Ich gebe zu: Ich bin diesem Turm dankbar, dass er die Nächte erhellt!"
Während er das Schiff vorsichtig in den Hafen steuerte, zeigte er ihnen die Mole, auf der der Turm errichtet worden war: "An die Einfahrt des Hafens setzte Kaiser Tiberius (historisch richtig: Claudius) diese Mole. Weil das Meer schon sehr tief ist, hatte er an dieser Stelle zuvor jenes Schiff, mit Steinen beladen, versenken lassen, mit dem der große Obelisk aus Ägypten herangeschafft worden war."
Schließlich legte das Schiff an; der Steuermann hatte sich gleich als allererster in die Tavernen von Ostia davongemacht ...


Vor dem Tor warteten Maultiertreiber. Die einen unterhielten sich miteinander, die anderen spielten Würfel, wieder andere verbrachten die Zeit in benachbarten Tavernen und Imbissstuben.
Plötzlich hörten die Freunde einen von den Maultiertreibern wutentbrannt einen Wächter anschreien: "Beim Herkules! Was ist mit euch los? Das Tor ist am hellichten Tag geschlossen! Vor lauter Klopfen habe ich mir beinahe die Hand gebrochen! Mein Karren wird in der prallen Sonne aufgehalten, obwohl er mit ganz frischem Obst beladen ist! Glaubt ihr vielleicht, ich transportiere Dachziegel? Ich bin hier, weil mich der Senator Tullius bestellt hat! Öffnet das Tor - oder wollt ihr, dass ich den Senator herbeirufe?"
Der Wächter, in Rage gebracht durch diese Worte, rief: "Was machst du da, zum Henker, für ein Geschrei vor dem Tor? Glaubst du, du bist auf dem Land? Verschwinde vonm Tor, geh aufs Land, woher du gekommen bist, mit deinem Karren da! Beim Jupiter! Marsch! Geh! Du stinkst nach Knoblauch! Bauer! Bock! Schweinekoben! Hündin mit Ziege vermischt!"
Auf diese Worte hin brachen die Umstehenden in ein bis jetzt unterdrücktes Lachen aus, und der Maultiertreiber, von dieser Rede besiegt oder auch von Furcht erfüllt, machte sich unauffällig davon.


Wie die anderen amüsierten sich auch Aristoxenus und Gaius an dem Streit und betraten ein nahegelegenes Gasthaus, um etwas zu essen. Sie erblickten zwei elegant gekleidete Männer, von denen der eine den anderen folgendermaßen anredete:
"Obwohl mich deine Abreise, Umbricius, recht betrübt, heiße ich deinen Entschluss, Rom zu verlassen, gut. Denn was ist so kläglich wie dort zu leben, wo du so viele Gefahren einer verrücktgewordenen Stadt fürchten musst: Brände, regelmäßige Hauseinstürze, und vor allem die schlechten Dichter, die - im August! - an jeder Straßenecke verlangen, dass man ihre schlecht gemachten und auch noch schlecht vorgetragenen Verse womöglich noch lobt. Beim Herkules: Es fällt schwer, keine Satire zu schreiben."
Umbricius antwortete: "Ich stimme dir bei, Iunius! Aber du hast nicht alles aufgezählt, was mir zumindest in Rom auf die Nerven geht: Ich, mein Freund, kann die griechische Stadt nicht ertragen. Wohin man auch schaut - überall sieht man Griecherln - Niemand hat sie gerufen, doch die Griechen haben unsere Stadt überschwemmt."
Iunius sagte: "Die Griechen sind sicher lästig, aber erträglich. Aber diese Straßenräuber! Oh diese römischen Nächte! Betrachte nur mit mir die verschiedenen Gefahren der Nacht: Von den Dächern herab schlägt dir ein Ziegel, den du nicht bemerkt hast, den Schädel ein; aus den Fenstern werfen die Leute zerbrochenes Geschirr auf die Straße; dir als Passanten drohen soviele Übel, wie Fenster offenstehen!
Am meisten aber sind mir diese nächtlichen Reibereien verhasst ... Unversehens steht da einer vor mir und befiehlt mir, stehenzubleiben. Wohl oder übel muss man gehorchen. "Wo kommst du her?", schreit er. Als ich verschreckt schweige: "Du gibst keine Antwort? Mach den Mund auf, oder du kriegst meinen Fuß zu spüren!" Da ist es schon egal, ob man spricht oder still schweigend zurückweicht: Sie verprügeln dich. Mir Armem bleibt nur eines: Unter den Prügeln flehe ich: "Erlaube mir, mit einigen wenigen Zähnen heimzukehren!"


Gaius und Aristoxenus lachten. "Trotzdem freue ich mich, diese Stadt zu sehen und ihre Menschen kennenzulernen. Alles Gute wünsche ich dem Senat und dem Volk von Rom!", rief Gaius.
Umbricius, der seine Worte gehört hatte, schmunzelte über diesen Ausruf und antwortete den Freunden: "Alles Gute auch euch! Einen berühmten Bürger dieser Stadt, des "Hauptes der Welt", habt ihr bereits kennengelernt: Bitte, das hier ist Decimus Iunius Iuvenalis, der berühmte Dichter!"
Iuvenal kam zu den Freunden herüber: "Dem Senat und dem Volk von Rom alles Gute? Ich denke an Cordus, meinen Freund, der nahe der Porta Capena in einer winzigen Behausung wohnte - er hatte ein einziges Bett, einen kleinen Tisch, eine Kiste der er griechische Bücher aufzubewahren pflegte: Allerdings haben Mäuse die göttlichen Gedichte griechischer Dichter angenagt. Cordus besaß nichts. Und doch hat der Unglückliche dieses Nichts verloren: Alles ist vom Feuer vernichtet worden. Und jetzt - niemand hilft jenem Cordus mit Essen, niemand mit einer Unterkunft und einem Dach über dem Kopf. Nirgends in Rom findet man Wohnungen. Aber tretet ein und seht!"


Romulus und Remus wollten in der Gegend, wo sie ausgesetzt und großgezogen worden waren, eine Stadt gründen. Da sie Zwillinge waren und keine Entscheidung aufgrund des Alters(unterschiedes) gemacht werden konnte, gab es einen Streit um den Namen der Stadt. Also beschlossen sie, die Sache durch Auspizien zu klären.
Zuerst wurde dem Remus ein Vogelzeichen zuteil: Sechs Geier. Dann zeigte sich die doppelte Zahl von Geiern dem Romulus. Schon rief jeden der beiden seine Mannschft zum König aus und begrüßte ihn (als solchen). Die Brüder wandten sich zum Kampf; dort wurde Remus im Handgemenge verwundet und fiel. Vile überliefern aber, Remus habe die neuen Mauern übersprungen, um seinen Bruder zu verspotten, und sei deshalb vom zornigen Romulus getötet worden. So wurde die neue Stadt nach dem Namen den Romulus benannt.


Ein germanischer Sklave weigerte sich, die spät ankommenden Freunde ins Haus zu führen. Chariclea aber hörte den Tumult bis ins Atrium (wörtl.: aus dem Atrium), kam herbei und erkannte hocherfreut den Sohn ihres Bruders; sie hieß die unerwarteten Gäste eintreten.
Aristoxenus gab ihr einen Brief seines Vaters, Chariclea las ihn, gab ihn dann dem Sklaven, der noch im Vestibül wartete, und befahl: "Nimm ihn und gib ihn morgen dem Herrn." Dann meinte sie zu Aristoxenus: "Du suchst deinen Bruder? Vielleicht weiß Fulvius das Versteck des Sokrates, ich weiß es nicht. Aber bitte, erzähle mir von deinem Vater, von deiner Mutter! Sind sie gesund?"
Als Aristoxenus das bestätigt hatte, sagte Chariclea zu Gaius: "Als Mädchen habe ich in Ephesos gelebt - und noch heute liebe ich meine Heimat Asia, jene blühenden Städte; obwohl ich schon lange in dieser Stadt hier lebe habe ich mich an die Römer nicht gewöhnt und auch nicht an die Stadt, die immer kochende und brausende, wo fast immer "der Lärm die Ohren sprengt", wie der Dichter Juvenal schrieb ..."
Gaius unterbrach Charicleas Rede: "Wir haben schon viel gehört über diese "kochende Stadt" von jenem Juvenal, den wir vor der Porta Ostiensis zufällig getroffen haben!"
Chariclea: "Was! Ihr habt wirklich ihn selbst gesehen? Er ist ein Dichter von überdurchschnittlicher Bildung; viele von seinen Satiren gefallen mir sehr, doch manche gefallen mir auch nicht. Ich glaube, nicht nur mir, sondern vielen gebildeten Frauen geht sehr gegen den Strich, was er über Frauen schrieb, die studieren oder bei Abendveranstaltungen sich wie die Männer unterhalten:
Die Literaturwissenschaftler gehen ein, die Rhetoren werden besiegt,
es schweigt der ganze Klub...
Doch davon genug. Sicher seid ihr müde und wollt euch Ruhe gönnen."
Sie rief nach einer Dienerin, diese brachte den Freunden, die schon mit Hunger und Durst kämpften, mit Wasser gemischten Wein, Brot, kleine Käse und Würste aus der Küche; dann bereitete sie ein Bad und zeigte ihnen die Schlafzimmer. Von Aristoxenus empfing sie erfreut ein kleines Trinkgeld und verschwand.


"Leider! Das Versteck deines Bruders Sokrates kenne ich nicht. Er kam hierher im Jänner letzten Jahres und wohnte zwei Monate bei uns. In eben diesen Monaten besuchte er auch des öfteren die Zusammenkünfte jener "Christiani" - ich habe ihm abgeraten, aber vergeblich. Es gab viele Dispute, und ich überzeugte ihn, diesem unsinnigen Aberglauben nicht zu folgen. Irgendwann reiste er dann ab in die Provinzen jenseits der Alpen."
"Oh ich Armer!", rief Aristoxenus aus, "Die Suche geht also weiter! Geschehenes kann man nicht ungeschehen machen! Aber sag mir: Warum hast du meinem Bruder abgeraten, den Zusammenkünften der Christen beizuwohnen?"
Fulvius antwortete nicht ohne Strenge: "In der heutigen Zeit, wo fast alles in Frage gestellt wurde, muss man die von den Vorfahren überlieferten Götter verehren. Die Christen nennen unsere Religion "Greisenmärchen"; sie behaupten, wir wüssten nichts über den Gott oder die Götter. Doch wer von den Menschen weiß schon etwas Sicheres über die Götter? Das eine freilich nehme ich für etwas Fixes: Dass es Götter gibt, das leugnet sicher niemand."
Aristoxenus: "Wirklich niemand? Wenn ich mich richtig erinnere, hat euer Lukrez in seiner Verachtung für die Götter folgendes geschrieben:
Die Religion zeigte der Welt vom Himmel herab ihr Haupt
mit drohender Fratze von oben die Menschen bedrohend - ?"
Fulvius hielt dem entgegen: "Nach unserer Erinnerung hat niemend geglaubt, dass Jupiter, in einen Stier verwandelt, mit Europa sich auf die Insel Kreta begeben oder auch, in einen Adler verwandelt, den Knaben Ganymed in den Olymp entführt habe - das ist in Wahrheit nie passiert, das sind wirklich Märchen. Doch ein göttlicher Geist wohnt in uns, Beobachter und Wächter von Gut und Böse. So wie der von und behandelt wird, so behandelt er selbst uns. Ohne Gott aber ist keiner ein guter Mensch. Oder kann sich jemand über sein Schicksal erheben, wenn nicht mit Seiner Unterstützung? Er ist es, der große und erhabene Gedanken eingibt. In jedem von uns ‚wohnt ein Gott, wenn's auch nicht sicher ist, welcher.'
Diesen Gott nennen die einen von uns den König Jupiter, die anderen Mars, die anderen Ceres, andere wieder mit anderen Namen."


Der Gott nickte Gewährung, obwohl er über diesen Wunsch traurig war. Midas entfernte sich voll Glück und freut sich über das schlechte Geschenk:
Er probierte die Erfüllung des Versprochenen, indem er Einzelnes berührte,
und, da er noch kein rechtes Vertrauen hat, reißt er einen grünenden Zweig ab:
golden wurde der Zweig
Vom Boden hebt er einen Stein auf: Auch der Stein schimmert von Gold
(...) Getreideähren pflückte er ab:
seine Ernte war golden. Er hält einen vom Baum gepflückten Apfel:
Die Früchte werden golden wie dei Äpfel der Hesperiden. Sobald er seine Hände in einem Gewässer wusch, funkelte das Wasser, das von seinen Händen floss, von Gold.
Kaum erfasst er selbst seine Aussichten, golden stellt er sich
alles vor. In seinem Freudentaumel richten ihm die Diener die Tafel,
beladen mit Speisen...
Doch da - er mochte mit seiner Hand die Speisen berührt haben oder die Weinpokale: Alles wurde zu Gold.
Bestürzt von dem neuen Unheil, reich und arm zugleich,
will er vor seinen Schätzen fliehen, und was er eben noch sich gewünscht hatte, hasst er.
Kein Überfluss stillt seinen Hunger; trockener Durst verbrennt ihm
die Kehle...
Zum Himmel erhob er die Hände und:
"Verzeih, Vater Bacchus! Ich habe gefehlt!", rief er,
"doch erbarme dich, bitte, und entreiße mich meinem glänzenden
Elend!"
Gnädig nahm Bacchus die gewährte Gabe zurück und sprach: "Geh zur Quelle des Pactolus: dort tauche deinen Leib gänzlich ins Wasser, und unbedingt wird die gold(schaffende) Kraft auf das Wasser übergehen."


"In Rom finden sich drei Theater, in denen Komödien bzw. Tragödien gegeben werden. Heute wird die berühmte Komödie "Mostellaria" des Plautus im Marcellustheater aufgeführt. Es ist sehr groß: Zehntausend Menschen fasst es, es gibt Vorhänge und Sonnensegel. Errichtet wurde es von Kaiser Augustus zu Ehren des Marcellus, seines Schwiegersohnes, und von diesem wiederum dem römischen Volk gewidmet. Überdies ist es auch mit einzigartigen Kunstwerken geschmückt - denk daran, dich umzuschauen! Die Bürger schätzen dieses Theater mehr als die anderen. Auch Kaiser Nero übernahm hier gelegentlich die Rolle eines Schauspielers oder Sängers."
Gaius: "Kaiser Nero hat selbst vor allem Volk Theater gespielt und sogar gesungen? War er denn in der Sangeskunst ausgebildet?"
Fulvius: "Ihm kam es so vor. Wenn er sang, war es nicht erlaubt, das Theater zu verlassen. War das Theater voll, wurden die Tore versperrt, seine Anhänger - irgendwelche Leute, die man mit Geld bestochen hatte - jubelten dem singenden Nero zu, und es waren Wächter da, die die Zuschauer beobachteten; sie durften nicht flüstern und auch nicht mit den Füßen stampfen. Es heißt, dass Manche sich tot stellten und von den Wächtern hinausgetragen wurden. Dann - wiederauferstanden - begaben sie sich vergnügt in den Zirkus oder ins Amphitheater; sie zogen nach eigenen Aussagen das Gebrüll der Löwen dem singenden Nero vor. Es ist kaum zu glauben, aber unter Kaiser Nero geschah allerhand Unerhörtes."


Weil die Sonne herabbrannte, schützten sich die meisten Zuschauer mit Kopfbedeckungen vor der Hitze. Verheiratete Frauen und Ammen schützten Kinder mit Sonnenschirmen. Ein Großteil des Theaters wurde von einem Sonnensegel bedeckt.
Während die Zuschauer in einem fort Zurufe wechselten, sangen und flüsterten, trat endlich ein Schauspieler auf und trug mit lauter Stimme und ausgestreckten Armen folgendes vor:
"Passt auf! Denn nun beginne ich mit der Inhaltsangabe!",
und als viele riefen: "Fangt an! Warum fängt die Komödie nicht an?", rief er:
"Seid still und schweigt und konzentriert euch!
Zu lauschen heißt euch der Theaterdirektor,
diejenigen, die hungrig sind, und die, die gesättigt kamen!"
Da der Tumult sich immer noch nicht ganz gelegt hatte, drohte er dem Volk auch:
"Erhebe dich, Herold, bring das Volk zur Aufmerksamkeit!"
Und weil einige Kinder auch jetzt noch plärrten, verkündete er:
"Ammen haben kleine Kinder
zu Hause zu umsorgen, nicht im Theater!"
Als es still geworden war, begann die Komödie.
Es ging um leichtsinnige junge Männer, um strenge Väter und schlaue Sklaven, die ihren Herren einerseits halfen, sie andererseits hereinlegten.
Das Schauspiel gefiel dem gesamten Publikum; nicht nur einmal wurde mitten in der Szene geklatscht: "Bravo!", riefen die einen auf Griechisch, andere auf Lateinisch: "Da capo!"
Nach dem Ende der Komödie applaudierten alle ohne Ende, dienSchauspieler wurden ein ums andere Mal herausgerufen und wiederholten jene Szene, die der Mehrheit am besten gefallen hatte.


"Ihr seht hier", sagte jener Mann, "die Statuen des Cornelius Nepos und des Titus Livius, welche Herennius Severus, unser Bibliotheksdirektor und von allen Menschen, die ich kenne, der gelehrteste und gebildetste, vor kurzem hier aufstellen ließ!" Dann zeigte er mit dem Finger auf bestimmte Bücherschränke: "In diesen Schränken liegen ausgezeichnete Bücher über die Redekunst."
Daraufhin nahm er, sehr sorgfältig, etliche Rollen aus einem Regal: "Schaut her", sagte er mit großer Würde, "die Bücher Ciceros "De oratore"! Er ist der edelste von allen unseren Rednern und der gefeiertste der ganzen Welt!"
Indem er eine andere Rolle hervorholte, meinte er: "Weiters betrachtet diese Bücher Quintillians "De institutione oratoria"! Das war ein Redner von keineswegs geringer Begabung - doch zweifellos ist Cicero mehr wert als Quintillian ... und Quintillian bei weitem mehr als unser Zeitgenosse Tacitus, dessen "Dialogus de oratoribus" - schaut, hier! - ich gar nicht schätze."
"Wert, mehr wert, am allermeisten wert!", rief jetzt einer von den Schülern aus; "Warum teilst du die Redner ein in bessere und schlechtere? Ich für mein Teil schätze so wie sehr viele Tacitus mehr als Cicero ... diesen Redner einer vergangenen Zeit. Seinen Zeitgenossen hat er gedient, aber nicht seiner Nachwelt."
Der Erzieher aber antwortete: "Ich kann dir nicht zustimmen! Um die Worte Ciceros zu gebrauchen, eines Mannes, der sich in hervorragender Weise um sein Land und um die Literatur verdient gemacht hat, sage ich: "Gerade die besten dienen der Nachwelt am meisten!" Von allen Dingen ist nichts besser als Ciceros Redekunst, nichts ist schöner!"


Während jener Erzieher und der Schüler noch debattierten, betrat ein kahlköpfiger Greis die Bibliothek und begann zu verkünden:
"Ich bin ein Poet und, wie ich hoffe, mit nicht eben kleinem Genie begabt. "Warum dann", fragt ihr eventuell, "bist du so grauenhaft angezogen?" Genau deswegen: Die Liebe zu seinem Talent hat noch niemanden je reicher gemacht, als er vorher war. Das Leben ist im Prinzip für alle Menschen schwer, aber am schwersten ist es für Poeten!"
Kaum hatte er mit vollerer Stimme zu rezitieren begonnen:
"Inmitten von Wassern trinkt nicht, pflückt nicht die hangenden Früchte
Tantalus, der unselige, den sein Fluch bedrückt...",
als einige aus der Schar der Umstehenden schrien: "Geh weg! Verschwinde! Scher dich zum Teufel! Wir wollen deine elendigen Verse nicht hören! Dein Talent ist jämmerlichst!" Und einer rollte ein kleines Buch auf und trug unter Gelächter vor: "Hör zu, du göttlicher Dichter, in dieser Geschichte geht's um dich:
"An dieses Haupt muss keinen Friseur man rufen:
Besser kann dich, Phoebus, rasieren ein Schwamm."
Die Anwesenden lachten; der Glatzkopf aber bedeckte sein Haupt mit den Händen und floh aus der Bibliothek.

Gaius nahm die Rolle entgegen, zog sich in eine Ecke zurück, und las:
An ein Gewässer waren ein Wolf und ein Lamm gekommen,
vom Durst getrieben. Oberhalb stand der Wolf,
ein gutes Stück stromabwärts das Lamm. Von seinem verbrecherischen Schlund
verleitet kreďerte der Räuber dann einen Grund zum Streit:
"Wieso", sprach er, "hast du mir, wo ich doch trinken will, das Wasser
aufgewühlt?" - Das Kuscheltier dagegen, angsterfüllt:
"Wie, bitte, kann ich das tun, worüber du dich beklagst, o Wolf?
Von dir zu mir strömt das Trinkwasser herab!"
Von der Gewalt der Tatsachen übertrumpft, knurrte jener:
"Grad vor sechs Monaten hast du mich beleidigt!"
Das Lamm erwiderte: "Da war ich noch gar nicht geboren!"
"Dann hat eben , verdammt, dein Vater mich beleidigt!",
sagte der, packte es und zerriss es - ein ungerechter Mord.
Diese Fabel ist wegen jener Menschen geschrieben,
die mit erfundenen Gründen Unschuldige bedrängen.

Der Soldat: "Plautius, der Chef der Parkanlagen, ist kein schlechter Mensch, aber ein furchtbarer Schwätzer! Ich glaube, er hat sein Amt aus genau diesem Grund inne, weil er von Kräutern und Bäumen nicht unterbrochen werden kann, und aus demselben Grund liebt er auch Bücher: Beim Lesen braucht er nämlich nicht den Mund zu halten. - Da sind wir schon. Hier ist euer Freund."
Plautius begrüßt Gaius: "Grüß dich, Gaius! Ich freue mich, dass du hierhergekommen bist! Und dass du Aristoxenus bist, weiß ich schon. Ich werde euch gerne in den Gärten des Kaisers Herumführen, wenn ihr wollt. Sicher werdet ihr eure Freude haben über die Schönheiten unserer Parks. Hadrian hat diese Villa ja mit feinster Raffinesse angelegt! Kennt ihr Tempe - jenes berühmte Tal in Griechenland? Sicher kennt ihr es. In diesen Parks hier werde ich euch ein zweites Tempetal zeigen! Wir haben aber nicht nur Tempe nachgeahmt, sondern auch andere besondere Orte Griechenlands und Ägyptens. Folgt mir!"
Nach diesen und noch anderen Worten führte er die Freunde in ein kleines Tal, durch das ein lieblicher Bach floss.
"Ist nicht auch diese Stelle wunderschön? Hier pflegt Hadrian alleine spazierenzugehen ..." - Während Plautius noch redete, kam ein Soldat herbeigelaufen und unterbrach ihn: "Plautius, Plautius, wo bist du? Der Kaiser wünscht dein Anwesenheit und dass du seine Gäste herumführst!"
Plautius übergab Gaius und Aristoxenus dem Wächter, der sie hergebracht hatte, und entschwebte: "Wartet auf mich, wenn es euch recht ist! Ich werde bald zurückkommen ... gleich bin ich wieder da ..."
"Wo findet man den Kaiser?", fragt Gaius den Soldaten, "Ist es möglich, den Kaiser aus der Nähe zu sehen und zu grüßen?"
Der Soldat: "Tut mir leid, das ist nicht machbar. Aber morgen wird es eine Gelegenheit geben, den Kaiser zu sehen. Er wird nämlich in Rom öffentlich im Junotempel eine Opferfeier zelebrieren, dort werdet ihr ihn finden. Auch die Senatoren werden vollzählig anwesend sein und dem Kaiser ihre Aufwartung machen. Unmittelbar nachdem der Princeps das Opfer dargebracht hat, wird er abreisen, um die Provinz Asia zu inspizieren. Ich nehme an, dass wir zwei oder drei Monate durch die Provinz streifen werden: Furchtbar hohe Berge werden wir besteigen, weit und breit werden wir die Landstriche durchwandern, wie es so seine Art ist - zu Fuß! Grauenhaft! Manchmal fragt man sich umsonst nach der Weisheit des Kaisers ..."
Und am Tor sagte er: "Lebt wohl! Vielleicht werdet ihr morgen mich und den Kaiser sehen!"

Später segelte er entlang Asien und über die Inseln nach Griechenland und empfing die Eleusinischen Weihen, verbrachte lange Zeit bei den Athenern. Darauf segelte er nach Sizilien, wo er den Ätna bestieg, weil er den Aufgang der Sonne sehen wollte. Von dort gelangte er nach Rom, setzte von Rom nach Afrika über und ließ den afrikanischen Provinzen viele Wohltaten angedeihen. Praktisch keiner von den Kaisern hat so viele Länder dermaßen schnell durchreist! Dann kehrte er nach Rom zurück, brach sofort wieder in den Osten auf, nahm seinen Weg über Athen und weihte die Bauten, die er bei den Athenern begonnen hatte, ein, z. B. den Tempel des Olympischen Zeus und einen Altar für sich selbst. Auf die gleiche Weise weihte er auch auf seinem Zug durch Asia Tempel seines Namens ein. [...]
Auf dem Sterbelager soll er folgende Verse gemacht haben:
Seelchen du, ein bisschen unbeständig, ein bisschen zärtlich,
Gast und Begleiter des Körpers,
die du jetzt fortgehen wirst in Gefilde,
ein bisschen blass, erstarrt, ein bisschen nackt,
und nicht mehr, wie es sonst deine Art, scherzen wirst ...

Während Aristoxenus noch die Inschrift entzifferte, näherte sich eine Frau dem Heiligtum. Sobald sie eingetreten war, begann sie mit lauter Stimme zu beten:

"Ich bete für die Genesung meines kranken Sohnes Faustus: Gott Mithras, mögest du ihn heilen! Möge mein Sohn Faustus nicht sterben! Unbesiegbarer Mithras! So wie du diesen sehr starken und gefährlichen Stier getötet hast, so mögest du die gefährliche und sehr heftige Krankheit meines Sohnes Faustus besiegen. Ich bitte ind flehe: Zeige mir deine göttliche Macht, du Helfer! Strahlende Sonne! Mögest du uns gnädig sein, Krankheiten und Schaden fernhalten! Führe uns in dein Licht, zögere nicht!"

Da der Vorraum finster war, hatte Aristoxenus das Kommen zweier Männer nicht bemerkt, die vor dem Heiligtum stehengeblieben waren. Der eine von ihnen rief: "Böser Aberglaube! Die da glaubt, sie bete zu Gott, und betet doch zu nichts!"

Der andere: "Ich würde meinen, dass unser Christus, Gottes Sohn und wahre Sonne der Gerechtigkeit, diesen "unbesieglichen Sol" binnen weniger Jahre besiegen wird und uns, die wir an den wahren Gott glauben, von diesem Übel befreien wird."

Rubellius sagte vor der Brücke über einen kleinen Fluss: "Sooft ich zu dieser Brücke gelange, kommen mir die Dinge in den Sinn, die ich über diese furchtbaren Bürgerkriege gehört habe. Ich danke den Göttern, dass ich in unserer jetzigen Pax Romana, in unseren heutigen Zeiten lebe. Ich hoffe, dass jene Bürgerkriege nie wiederkehren!"

Gaius: "Aber wieso kommen dir die Bürgerkriege ausgerechnet an dieser Stelle in den Sinn?"

Rubellius: "Auf ebendieser Brücke überschritt Caesar den Rubicon, um den Bürgerkrieg nach Italien zu tragen; hier sprach er jene allgemein bekannten Worte: "Der Würfel ist geworfen. Auf, wohin die Zeichen der Götter und die Ungerechtigkeit des Feindes rufen!" Hätte er mit eigenen Augen gesehen, was kommen würde, vielleicht hätte er diese Worte nicht gesprochen und keinen so grausamen Krieg gegen seine Heimat begonnen."

Er schwieg vor sich hin, dann sprach er: "Wärest du doch jetzt da, Caesar! Ich zumindest würde, wenn ich zugleich hier wäre, dir und deinen Soldaten die Worte Horazens zurufen: "Wohin, wohin stürzt ihr, Verbrecher?""

Gaius: "Zu recht fuhr der Dichter jene an, die ihrem Volk Krieg und Tod brachten."

Aristoxenus: "Und mit Recht wäre auch jener Führer des Bürgerkrieges von dir gemahnt worden, nicht Bürger gegen Bürger zu hetzen - ich fürchte freilich, dass jener Feldherr, so sehr auf einen Umsturz aus, das Heil der Bürger ignoriert hätte."

Rubellius: "Das fürchte ich auch. Der König befiehlt, das Volk gehorcht, oder: "Was auch die Könige Irres ersinnen - büßen müssen es die Griechen."
"Wenn ihr euch für jene unglücklichen Zeiten interessiertet, meine Freunde", fuhr Rubellius fort, "könntet ihr sehr vieles und Berühmtes über jene Zeit bei Cicero finden. Der machte sich nämlich große Sorgen um die Lage des Staates. In seinen Büchern "De officiis" schreibt er etwa folgendes:

"Solange die Herrschaft des römischen Volkes durch Wohltaten aufrechterhalten wurde, nicht durch Unrecht - wie heutzutage -, solange Kriege (nur) entweder für unsere Verbündeten oder um die Existenz unserer Herrschaft geführt wurden, waren Senat und Volk von Rom ein Hafen der Nationen und eine Zuflucht der Völker. In unserer Zeit aber wurden fremde Völker misshandelt und vernichtet. Viel Unrecht, das gegen Bürger wie auch gegen unsere Verbündeten begangen wurde, könnte ich aufzählen.

Wenn aber wir Senatoren nicht diese Verbrechen der Verbündeten bzw. Bürger ungestraft erduldet hätten, hätte sich niemals derartige Maßlosigkeit in einem einzigen Mann konzentriert, der jetzt gegen seine eigene Heimat Krieg begonnen hat."

Rubellius legte dar: "Zweifellos hat Octavian das Reich und den Frieden gesichert; zu recht verehren ihn viele. Als junger Mann aber im Bürgerkrieg war er von extremer Strenge und sogar Grausamkeit. Die Ermordung Ciceros hat er, wenn er sie auch nicht wollte, so doch sicher nicht verhindert. Dass er als Princeps den Frieden wiederhergestellt hat, habe ich schon gesagt, aber er förderte auch Kunst und Literatur sehr: Die Dichtkunst florierte unter Augustus' Herrschaft in Rom wundervoll. Jetzt liest man praktisch überall im Reich die Gedichte des Horaz, des Vergil, des Ovid."

Der Literaturkenner verstummte, dann fuhr er fort: "Aber kehren wir zu Vergil und Octavian zurück: Auch Vergil hat Octavian unterstützt; in seinem Epos "Aeneis" erzählt er nämlich von Aeneas, der nach der Zerstörung Trojas, mit seinen trojanischen Gefährten über das Meer irrte. Schließlich erreichte er Italien, seine neue Heimat...

Hört diese herrlichen Verse, mit denen die Trojaner bei Vergil Italien begrüßen:

Schon leuchtete das Morgenrot empor und sanken die Sterne,

als in der Ferne wir undeutlich Hügel erkennen und das flache

Italien. "Italien!" ruft als erster Achates,

Italien begrüßen die Gefährten mit fröhlichem Lärmen...

Jener Aeneas aber ist der Urahn des Octavian, den Vergil auf diese Art, zusammen mit Aeneas, in seinem Lied besang.

Im Sterben befahl Vergil, die Aeneis zu verbrennen; er fürchtete nämlich, sie wäre unvollendet oder sogar fehlerhaft. Nach dem Tod Vergils aber wurde sie auf Anordnung des Augustus verbessert und ediert."


(1)
Als die Punier die Höhe der Berge und den sozusagen in den Himmel übergehenden Schnee aus der Nähe erblickten, wurden sie von Angst und Schrecken ergriffen. Die Soldaten schickten daher Sprecher zu Hannibal, die den Feldherrn bitten sollten, von seinem Vorhaben abzulassen und die Alpen, Berge, die dem Himmel und den Göttern nahe reichten, nicht zu übersteigen. Sie fügten hinzu: "Nahezu nackt sind die Gipfel, wie wir hörten, und was es an Weide gibt, bedeckt der Schnee."

Ihnen antwortete drauf Hannibal: "Mit Sicherheit berührt kein Land den Himmel! Berge und Schluchten, die für einzelne Menschen durchquerbar sind, sind auch für unser Heer nicht unbewältigbar. Oder glaubt ihr, dass diese Boten hier, die heute über die Alpen in unser Lager kamen, auf Flügeln die Alpen in der Luft überquert haben?

Mögen die Gipfel nackt sein - all unseren Bedarf werden wir mit uns tragen!"

Mit derartigen Reden erreichte er, dass die Soldaten ihre Furcht bleibenließen.



(2)

Als die Bergbewohner einen Pass mit einer gewaltigen Menschenmenge besetzt hatten, verdichtete Hannibal trotzdem seine Truppen und griff die Feinde an. Mit derartiger Kraft fiel er über die in der Kriegskunst Unerfahrenen her, dass die Älpler vom Pass vertrieben wurden. Von da an überfielen die Bergleute, eher in der Art von Straßenräuberei als von Krieg, bald die Vorhut, bald die Nachhut und fügten den Puniern großen Schaden zu. Die Elephanten aber waren, obwohl sie auf den engen und steilen Wegen nur mit großem Zeitverlust geführt werden konnten, den Puniern doch sehr nützlich, weil die Bergbewohner sich vor den Ungewohnten Tieren fürchteten.



(3)

Am neunten Tag gelangte man auf die Passhöhe der Alpen. Zwei Tage wurde auf der Höhe gelagert, damit den von Anstrengung und Kampf erschöpften Soldaten Ruhe gegönnt werde.

Als dann die Signale ertönten und die Kolonne im ersten Morgenlicht losmarschierte, als Überdruss und Verzweiflung aus den Gesichtern aller sprachen, befahl Hannibal seinen Soldaten, auf einem bestimmten Bergspitz, von wo aus ein weiter und breiter Rundblick war, haltzumachen. Er zeigte ihnen Italien und die Fluren am Fuße der Alpen. Jetzt würden sie die Mauern nicht nur Italiens, sondern auch die der Stadt Rom übersteigen, versicherte er.

Der Zug begann dann weiterzurücken. Der Marsch war aber weitaus schwieriger als beim Anstieg, denn alle Wege waren steil, schneebedeckt, eng und rutschig, sodass die Soldaten sich kaum vor Stürzen bewahren konnten, einer über den anderen fielen, und die Saumtiere auf die Menschen drauf fielen.


Aristoxenus: Die Straße ist exzellent und mit großem Geschick befestigt. Ich befürchte nur, dass neue Karthager, neue Gallier heute leben, die irgendwann auf dieser schön gepflegten Straße Italien und Rom angreifen können: die Germanen."

Gaius: "Glaubst du das wirklich? Die Germanen sollen von erstaunlich andersgearteter Natur sein, sagt man: Ihre Leiber sind nur zum Angriff kräftig - gegenüber Arbeit und Anstrengung zeigen sie hingegen nicht die gleiche Ausdauer. Ich glaube nicht, dass diese Volk die Alpen überschreiten wird! Während sie Kälte und Hunger aushalten, ertragen sie Durst und Hitze nicht. Ich für mein Teil halte die Kälte, wie sie jetzt und hier herrscht, kaum aus, den Germanen wiederum wäre sicherlich die Hitze lästig, wenn sie in Italien wären. Ich habe keine Angst vor den Germanen."

Aristoxenus: "Sie sind in vielen Dingen erstaunlich andersgeartet; vor allem anderen aber lieben sie Waffen und Krieg. Privat wie öffentlich unternehmen sie nichts unbewaffnet. Auch zur Versammlung kommen die Männer bewaffnet zusammen: Sie versammeln sich nämlich an bestimmten Tagen, wenn der Mond entweder voll oder neu ist (denn sie sind abergläubisch), zur Beratung. Wenn die Meinung desjenigen, der im Rat gesprochen hat, nicht gefallen hat, lehnen sie sie mit Grunzen ab; wenn sie aber Gefallen fand, schlagen sie ihre Spieße zusammen: die ehrenvollste Art des Beifalls ist, jemanden mithilfe der Waffen zu loben."

Gaius: "Schön, mögen jene Männer sehr tapfer und nach Waffen verrückt sein - sicherlich aber hassen ihre Frauen Waffen und Krieg genauso wie die römischen Frauen!"

Aristoxenus: "Eben nicht! Wenn ihre Gatten und Söhne kämpfen, sind dei Familien und Verwandten in der Nähe: Die Kämpfenden können das Heulen der Frauen, das Plärren der Kinder hören; ihren Müttern und Frauen zeigen die Männer ihre Wunden, und jene zögern nicht, die Wunden zu zählen; sie bringen den Kämpfenden auch Verpflegung. Jener Varus vertraute ihnen zu sehr, und büßte, zusammen mit seinen Soldaten, in einer furchtbaren Niederlage die Strafe seiner Leichtgläubigkeit. Wo man mit der Faust handelt, sind Friede und Recht leere Worte. - Daher stimme ich dir nicht zu: Ich fürchte die Germanen."


Der Händler: "Was soll ich tun? Ich treibe gerne Handel mit den Hermunduren, das ist ein Germanenstamm. Dieser Stamm ist den Römern treu, daher haben sie Handel nicht nur am Donauufre, wie die meisten Völker der Germanen, sondern auch hier tief im Hinterland in der reichen Provinz Raetia. Allenthalben kommen sie ohne Bewachung herüber; und während wir den anderen Stämmen nur unsere Waffen und unsere Festungen zeigen, haben wir diesen hier unsere Häuser und Villen geöffnet."

Aristoxenus: "Es ist doch sicherlich gefährlich, mit barbarischen Stämmen Handel zu treiben?"

Der Händler: "Das ist mein Geschäft. Durch Ein- und Verkauf verdiene ich mein Geld - indem ich Gefäße, Schmuck, Kleider verkaufe, Felle, Bernstein und blondes Haar einkaufe, manchmal auch Sklaven. Ich bin ein Händler, also habe ich zu handeln."

Aristoxenus: "Durch Kauf und Verkauf von Sklaven? Ist denn jetzt nicht Friede mit den Germanen?"

Der Händler: "Du wirst Germanen finden, die, um es so zu sagen, sich selbst in freiwillige Sklaverei begeben. Sie spielen nämlich mit derartiger Unvorsichtigkeit Würfel, dass sie, wenn alles futsch ist, mit einem letzten Wurf um ihre Freiehit und um ihre Person spielen! Der Besiegte geht in die Sklaverei un duldet es, dass er gebunden wird und zum Verkauf gelangt. Worüber staunt ihr? Verträge müssen gehalten werden - auch von Barbaren, die übermütig Würfel spielen!

Aber um dir ernsthafter zu antworten, Aristoxenus: Der Handel in diesem Gebiet ist sicher gelegentlich gefährlich, aber anders, als ihr euch vorstellt. Ich will ein Beispiel bringen: Da in Italien Mangel an Sklaven herrscht, reiste ich neulich in die Provinz Rätien um Sklaven zu kaufen - aber ich fand nicht einmal einen einzigen!"

Gaius: "...keinen, der sich beim Würfelspiel selbst verlor?"

Der Händler (lachend): "Genau! Um also nicht einen noch größeren Schaden zu erleiden, kaufte ich Schinken, die in Germanien wirklich vorzüglich sind. Als ich aber nach Italien zurückkam, waren, wo auch immer ich hinkam, die Märkte voll - mit Schinken! Man hätte meinen können, dass die Germanen ihre sämtlichen Schweine mit einem einzigen Hieb abgestochen hätten. Es war zum Verzweifeln! Aber ich sage immer: Nech einer schlechten Ernte muss man säen. Wie ihr seht, bin ich neuerlich aufgebrochen. Ich werde, wenn schon keine Sklaven, Bären oder andere wilde Tiere anschaffen, die das Volk braucht zur Veranstaltung von Spielen!"


Einem Händler, der zwecks Handels auf Reisen war und eine gewisse Geldsumme bei sich trug, leistet irgendein Mann Gesellschaft und begann, wie es sich so ergibt, auf dem Weg ein Gespräch mit ihm, woraus resultierte, dass sie beschlossen, die Reise gemeinsam zu machen. Deshalb kehrten sie in demselben Gasthaus ein und wollten sich im selben Zimmer zur Ruhe begeben.

Der Wirt aber schlich sich, nachdem er den, der das Geld besaß, beobachtet hatte, sobald jene dank ihrer Müdigkeit, wie das so ist, besonders fest eingeschlafen waren, heimlich heran, zog das Schwert desjenigen, der kein Geld hatte, aus der Scheide und erschlug den zweiten, der Geld hatte. Er stahl die Münzen, steckte das Schwert in die Scheide und begab sich selbst zur Ruhe (!) in sein Bett.

Jener aber, mit dessen Schwert der Wirt den Händler getötet hatte, stand lange vor Sonnenaufgang auf und wollt eseinen Gefährten erst durch Anreden, dann durch Rufen wecken. Da er glaubte, dass dieser, weil er vom Schlaf umfangen sei, keine Antwort gebe, packte er sein Schwert und das Übrige, das er bei sich führte, und brach alleine auf.

Bald darauf schreit der Wirt, in seiner Herberge sei ein Mann erschlagen worden, und verfolgt mit einigen Gästen den, der vorhin aufgebrochen war, auf dem Weg. Er erwischt den Mann, zieht dessen Schwert aus der Scheide und findet es blutig. Der Mann wird in die Stadt gebracht und angeklagt.

Er wäre verurteilt worden, wenn nicht bald darauf der Wirt, bei einer anderen Missetat ertappt, zufällig auch jenes Mordes überführt worden wäre.


Sie spazierten entlang den Mauern des Städtchens und der Mosel, sahen Schiffe, mit Weinfässern beladen, hörten Ruderschläge und die lauten Stimmen der Schiffsleute. Sie befanden sich nicht weit von Thermen entfernt, welche aus ihren Kaminen rauchigen Dampf in die Luft stießen. Manche Menschen freilich sprangen gleich vom Ufer in den Fluss, um das fließende Wasser, den kühlen Fluss zu genießen.

Letztlich betraten sie die Stadt durch das Tor und erreichten binnen kurzem die große und eindrucksvolle Basilika. Vor dieser und auch in ihr wurde Markt gehalten. Verschiedene Stimmen mischten sich miteinander, so wie: "Schau! Germanische Importrüben! Kauft die Rüben, welche Kaiser Tiberius als einzige zu sich nahm!" - "Schaut das herrliche Glas, in Gallien hergestellt!" Man sah auch manche Germanen, die nach Trier gekommen waren, um aus Italien und Gallien importierte Waren zu kaufen. Sie schleppten Gefäße, Kleider und diverse Werkzeuge.

Plötzlich erhob sich ein Tumult. Aus einem Teil der Basilika, wo, wie es schien, ein Prozess stattgefunden hatte, strömten gerade die Leute heraus. Irgendein Mann, aufgeregt und aufgebracht, lief aus der Basilika ins Freie und schrie laut: "Schaut da her, ihr Bürger! Schaut! Ihr seht einen von diesen - o Schande! - Verbrechern, die sich weigern, das Vaterland gegen die Feinde zu verteidigen! Einen von denen, die nichts anderes im Sinn haben, als wie sie ihr für die Gemeinschaft unnützes Leben behüten können...!"

Als er immer noch weiterschrie, unterbrach ihn ein in Toga gekleideter Würdenträger: "Was für ein Unsinn! Der hochweise Kaiser Hadrian hat mit seinem neuesten Gesetz die Schuld dieses Mannes getilgt, so wie auch die der anderen. Wir finden in ihm einen Kaiser, der das Krumme geraderichtet. Du aber halt den Mund!"

Als Aristoxenus jenen Mann, der mit dem Beamten aus der Basilika getreten war, sah, stutzte er zuerst, dann rief er: "Sokrates! Ha, Sokrates!", und mit den Worten "Ich habe meinen Bruder gefunden!" bahnte er sich einen Weg durch die Menge und umarmte den Bruder.

"Sicher weißt auch du, Gaius, das ich Kommandant eines kleinen Postens in der Provinz Syria nahe der Grenze zu den Parthern war und diesen Posten mit meinen Soldaten gemeinsam verlassen habe, entgegen dem Befehl unseres Proconsuls. Aber wir waren sehr wenige, und die Feinde griffen uns mit stärkster Macht an. Also, obwohl mir verboten war, zu weichen, zog ich mich zurück - was hätte ich tun sollen, außer mich zurückzuziehen? Ich wurde angeklagt, wie ihr wisst, und damit ich nicht vor Gericht geladen werde, tauchte ich unter, begab mich als erstes nach Rom zu Chariklea..."

Aristoxenus unterbrach seinen Bruder: "Deren Mann es übel genommen hat, dass du dich den Christen, den Feinden des Kaisers, angeschlossen hast!"

Sokrates: "Ich habe mich ihnen nicht angeschlossen, aber du hast rech: Sie sind dem Kaiser feindlich gesonnen, und deshalb halfen sie mir, als ich von Rom wieder weg musste. Denn die Zeit bei Fulvius, dem ich ziemlich missfallen habe, war äußerst unerquicklich. Er warf mir vor, dass ich die römischen Fahnen, die ihm selbst etwas Heiliges sind, verlassen hätte und desertiert sei. Aus diesem Grund tauchte ich erneut unter und verfügte mich hierher, gleichsam ans Ende der Welt ... Briefe traute ich mich weder dir noch den Eltern zu schreiben, aus Furcht, sie könnten abgefangen werden.

Hier hat mich ein Weinhändler zum Chef seines nicht gerade leichten, aber einträglichen Geschäftes gemacht, und ich führte etwa zwei Jahre ein erträgliches Leben; schließlich habe ich sogar ein wunderschönes Mädchen geheiratet. Sie stammt von Barbaren ab, aber ihre Bildung ist ganz unbarbarisch. Sie heißt Bissula! Ihr werdet sie gleich sehen...

Aber lasst euch von dem schwarzen Tag erzählen, den ich erlebt habe: Neulich, unvermutet, als ich in Gedanken durch die Stadt schritt, erkannte mich ein Soldat, der mit mir in Syria gewesen war, mitten auf dem Forum und schleppte mich zum Richter, weil ich desertiert war. Heute aber begab sich etwas Wunderbares und nie zu Erhoffendes: Als ich zum Gericht kam, wurde dem Praetor, der den Prozess leitete, das neueste Gesetz des Hadrian betreffend die Amnestie für vergangene Straftaten übergeben! Er las es, schloss den Prozess und schickte mich nach Hause."

Aristoxenus: "Danken wir den Göttern und genießen wir unser Glück!"

*

Gaius, der bis jetzt geschwiegen hatte, drängte sich dazwischen: "Lest", sagte er, "den Spruch, den ein Witzbold auf die Mauer dort geschrieben hat:

Bäder, Wein und Liebe zerrütten uns.

Aber aufleben lassen uns Bäder, Wein und Liebe.

Ich habe, glaube ich, einen Platz gefunden, wo ich leben möchte!"

Sokrates aber unterbrach Gaius, ein wenig ernsthafter, und sagte: "Ich werde bald mit Bissula und meinem Bruder nach Ephesos aufbrechen, das soll dir gut zustatten kommen: Irgendwer wird in dieser Stadt hier meine Pflichten übernehmen müssen. Es würde dir gefallen, sagst du, hier in Trier zu leben? Wenn du willst, instruiere ich dich und setzte dich auf meinen Posten."

Von diesen Worte begeistert, rief Gaius: "Hast du womöglich gefragt, ob ich will?"

"Gut, sehr gut!", lachte Sokrates. "Jetzt aber schnell zu meiner Bissula!

Eilt euch, beeilt euch, jetzt wird gefeiert!

Jetzt gilt's zu trinken,

jetzt mit vergnügtem Tanzbein

die Erde zu stampfen..."