"Musikpsychologie und Populäre Musik"

Jahrestagung 2009 in Kassel
Veranstaltungsort: Universität Kassel
Institut für Musik
Heinrich-Plett-Str. 40 (Eingang G)
34109 Kassel

Datum: 11.-13. September 2009

Im thematischen Zentrum der diesjährigen Tagung steht die Populäre Musik. Zu Popularität von Musik tragen neben historischen und kulturtheoretischen Aspekten unzweifelhaft auch (sozial)psychologische Komponenten bei. Welche Beiträge kann die Musikpsychologie zur interdisziplinären Erforschung populärer Musik im weitesten Sinne leisten? Vielfältige Anknüpfungspunkte bieten etwa die Gebiete der Sozial- oder der Entwicklungspsychologie sowie die Fragen nach Emotion und Wirkung oder nach musikalischen Präferenzen. Gleichermaßen von Interesse sind Aspekte der Rhythmus- und Körperwahrnehmung, der Ästhetik, der Besonderheit popmusikalischer Performance, der Persönlichkeit von Musikern und ihren Fans und Gruppenprozessen. Alle Interessierte sind eingeladen Forschungsbeiträge anzumelden oder als Gäste an der Tagung teilzunehmen. Es können sowohl empirische als auch theoretische Beiträge angemeldet werden.


Die Keynote-Speaker Ralf von Appen und Hans-Otto Hügel nach ihren Vorträgen


Peter Sedlmeier im Statistik-Workshop

Materialien zum Statistik-Workshop (passwortgeschützt):

 

Tagungsbericht DGM 2009 (Kassel) - Musikpsychologie und populäre Musik

Die 26. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie in Kassel hatte sich in diesem Jahr ganz der "Populären Musik" verschrieben. Die aufgeweckte Stadt an der Fulda mit ihrer noch relativ jungen Universität bot dafür eine passende und angenehme Atmosphäre. Die Populäre Musik war ein Thema, wie es im Anschluss an die Forderungen der vergangenen Tagung in Hannover kaum hätte besser gewählt sein können, denn dort plädierten einige - vor allem auch die Gründungmitglieder der DGM - für eine stärkere Öffnung der Musikwissenschaft hin zur Musikpsychologie oder der Popmusikforschung sowie für eine stärkere Alltagsorientierung im wissenschaftlichen Arbeiten. Diese Erwartungen wurden in Kassel mehr als erfüllt.
So untersuchte der eingeladene Gastredner Hans-Otto Hügel (Hildesheim) gleich zu Beginn die Multifunktionalität populärer Texte und stellte fest, dass deren Unterhaltungsfunktion so vielfältig ist wie die unzähligen verschiedenen Lebenssituationen der Hörer. Popmusik-Texte sind ein Medium, in dem sich das tägliche Leben spiegelt - wenngleich manchmal sehr metaphorisch oder romantisch verklärt, und ihr Wert geht weit über bloße "Unterhaltsamkeit" hinaus. Der zweite Keynote Redner, Ralf von Appen (Giessen), analysierte die populäre Musik als nützliche und vielversprechende Schnittmenge von Musikpsychologie und Popmusikforschung. Beide Disziplinen sollten sich nicht länger isoliert voneinander entwickeln, sondern sich auf ihre gemeinsamen Grundfragen besinnen: Was macht der Mensch mit Musik? Wie geht er mit ihr um? Warum tut er das auf diese oder jene Weise und welche Wirkungen ergeben sich daraus? Mit Hilfe der populären Musik lassen sich diese Fragen sowohl im Hinblick auf allgemeine psychologische Gesetzmäßigkeiten als auch im Hinblick auf die Erforschung des sozialen und kulturellen Wesens Mensch untersuchen.
Diesen beiden Beispielen folgend ließ die Tagung damit einen deutlichen Trend erkennen: die Aufgabe von dogmatischen, wertenden und voreingenommenen Herangehensweisen einerseits sowie die Orientierung des Wissenschaftlichen an der Lebensrealität der Menschen andererseits. Dass die Popmusik das geeignete Medium, ja geradezu ein Sinnbild für diese Trendwende sein kann, zeigte sich in der großen thematischen wie methodischen Vielfalt der Vorträge und Poster zum Thema. Von Musikproduktion über Struktur und Innovation bis zu Rezeption gaben sie das breite Spektrum der deutschen Musikpsychologie wieder. Der Mensch in seinem Verhältnis zur Musik war dabei das zentrale Element bei Themen wie dem Verschwinden der Offenohrigkeit im Grundschulalter, den Einflussgrößen auf die Bewertung von Musik bei Jugendlichen oder der Rolle von Musik im Alter und bei Alzheimerdemenz. Auffällig war eine starke Orientierung vieler Beiträge an den emotionalen Aspekten des Musikhörens und Musikmachens. Diese Akzentuierung schließt nicht nur an die endlich stärker werdende Berücksichtigung von Emotionen in der Psychologie an, sondern ist ein weiteres Beispiel für die Untersuchung des alltäglichen Umgangs von Menschen mit Musik.
Der immer stärker werdende Drang zur interdisziplinären Vernetzung und der Wille voneinander zu lernen, fand auch Ausdruck im Workshop von Peter Sedlmeier (Chemnitz), der die Zuhörer mit der aktuellen Diskussion und methodischen Alternativen zum "Signifikanztest-Ritual" fesseln konnte. Nicht wenige spätere Redner haben in ihren Vorträgen auf den gelungenen Workshop Bezug genommen und sich ein wenig über ihre Signifikanztests und p-Werte amüsiert. Nicht zuletzt war auch diese Tagung wieder geprägt vom Nachrücken junger Forscherinnen und Forscher, die mit neuen Ideen und oft innovativen Methoden der Musikpsychologie ein ganz eigenes Gesicht geben.
Die Wahlen der Mitgliederversammlung brachten ein neues Vorstandsteam (Vorsitzende Profes. Dres. A. C. Lehmann und V. Busch, Schriftführerin Dr. F. Olbertz, Schatzmeister Dr. M. Oehler, Beisitzer Prof. Dr. C. Reuter). Es wurden auch einige Mitglieder (u.a. Gembris, Rötter, Höge, Kloppenburg, Behne) für ihre 25jährige Mitgliedschaft geehrt. Desweiteren wurde auf die nächste Tagung hingewiesen, die in Kooperation mit der Gesellschaft für Musiktheorie vom 7.-10. Oktober (!) 2010 in Würzburg stattfinden wird.
So hat die diesjährige Tagung hoffentlich den Weg bereitet für eine Musikpsychologie, die die normativen Grenzen zwischen Musik verschiedener Herkunft, Machart und Hörerschaft überwindet und den "musikalischen Menschen" in den Mittelpunkt stellt. Mit den Worten von Franz Josef Wetz (2004, S. 307): "Den existenziellen Ernst der populären Musik, den populistische Begriffe wie Spaß, Vergnügen und Genuss nur unzureichend erfassen, versteht darum noch am ehesten, wer begriffen hat: Auch leichte Musik gehört zu den ‚Notrationen' der Menschen auf ihrem mitunter holprigen Lebensweg."
Literatur: Wetz, F. J. (2004). Die Magie der Musik. Stuttgart: Klett-Cotta.

Thomas Schäfer

 

 

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