"Musik und Gesundheit"

Jahreskongress 2011 in Osnabrück am 9. - 11. September 2011

Organisation: Prof. Dr. Ch. Louven & Dr. F. Olbertz
Datum: 9. – 11. September 2011
Veranstaltungsort: Fachgebiet Musik und Musikwissenschaft
der Universität Osnabrück

Vorläufiges Tagungsprogramm

Tagungsbericht

Die Deutsche Gesellschaft für Musikpsychologie traf sich in diesem Jahr vom 09.-11.09.2011 im frisch renovierten Schloss der Osnabrücker Universität, um sich dem Tagungsthema "Musik und Gesundheit" zu widmen. Zu diesem Anlass trafen sich Interessierte und Aktive u. a. aus den Disziplinen Musikermedizin, Musiktherapie und Musikphysiotherapie. Aus verschiedenen Perspektiven diskutierten sie die Relevanz des Tagungsthemas.

Schnell wurde deutlich, dass bei professionellen Musikern ein starker Bedarf an gesundheitlicher Versorgung vorherrscht. So berichteten Heiner Gembris & Andreas Heye in ihrem Vortrag, dass aktuell etwa 55 % von 2.536 befragten Orchestermusikern an körperlichen Beschwerden leiden, die sie beim Musizieren beeinträchtigen. Dieser Befund wurde von Seiten der neu eingerichteten physiotherapeutischen Musikersprechstunde (INAP/O, Hochschule Osnabrück) bekräftigt. Sehr häufig wird die Sprechstunde von Musikern mit Erkrankungen des muskuloskeletalen Systems und Beschwerden im Schulter-Nacken-Bereich aufgesucht. Auch wenn spezifische Musiker-Erkrankungen und Behandlungsmöglichkeiten ein wesentliches Forschungsfeld ausmachen, sind sich die Referierenden und Teilnehmenden in einem Punkt jedoch einig: es geht nicht mehr nur um das Aufdecken und Lindern von Erkrankungen, sondern vor allem um die gezielte Prävention. Im Sinne des medizinisch geprägten Ausdrucks Salutogenese1 oder dem des psychologischen Begriffs Positive Psychology Movement2, sollen verstärkt Ressourcen entdeckt bzw. geweckt und sinnvoll eingesetzt werden.

"Musik und Wohlbefinden" war die zentrale Botschaft der Keynote von Gunter Kreutz (Oldenburg). Neben innovativen Ansätzen, wie z.B. der Messung der Wirkung von Musik auf physiologische Reaktionen (z. B. Hormonspiegel) beim Tanzen, berichtete Kreutz von Grundlagenforschungen aus den Bereichen Singen und Prophylaxe, sowie Singen und positive Affekte. Der damit verfolgte Ansatz einer musikalischen Salutogenese bezieht sich allerdings auf einen nicht-pharmakologischen Bereich, außerhalb von klinischen Zusammenhängen. Zielgruppe ist nicht mehr nur der professionelle Musiker, sondern der musikalische Laie und dessen Möglichkeit zum Herstellen von Wohlbefinden und Gesundheit. Diskutiert wurde hierbei die problematische Situation, die sich aufgrund des Anspruchs an eine langfristige Nachweisbarkeit musikalischer Wirkung ergibt. Nachfolgende Forschungsarbeiten werden zeigen, in wie fern sich für die Wirkung von Musik als Mittel zur Förderung von Wohlbefinden auch objektive Nachweise finden lassen, die einem Vergleich mit der evidenzbaiserten Medizin standhalten.

Wie der Keynote Claudia Spahns (Freiburg) zu entnehmen war, lässt sich das Fachgebiet Musik & Medizin in zwei Bereiche unterteilen: die Musikermedizin (Prävention, Diagnostik und Therapie von Musikern) und die Musikmedizin (Musik als Therapeutikum). Interessant war jedoch zu sehen, wie beide Perspektiven in Kombination mit universitärer Lehre an den musikphysiologischen Instituten zusammenkommen. Dieses wurde am Beispiel eines Auftrittstrainings verdeutlicht: im Rahmen einer Mentorenausbildung werden positive Erfahrungen im Umgang mit Lampenfieber vermittelt. Die Grenzen von Medizin, Psychologie und Pädagogik verschwimmen hier und bereichern sich gegenseitig. Die Keynote gab Einblicke in die Arbeit der mittlerweile sechs deutschen Institute für Musikermedizin (Hannover, Berlin, Freiburg, Dresden, Detmold, Köln) sowie in spezielle Projekte des Instituts in Freiburg. Beeindruckend wirkte besonders die Aufnahme eines Trompeters, dessen Spielen im fMRT aufgezeichnet wurde. Auf diese anschauliche Weise versucht man in der Freiburger Musikermedizin, mehr über die spielbegleitenden muskulären Aktivitäten im Kopf- und Halsbereich zu erfahren.

Die Musikmedizin beschäftigt sich vor allem mit der heilenden Wirkung von Musik im klinischen Kontext. Einige Poster machten auf die mannigfaltigen Einsatz- und Forschungsgebiete aufmerksam: Musikrezeption im psychiatrischen Kontext und bei Persönlichkeitsstörungen, bei der Behandlung von Tinnituserkrankungen oder bei Wachkomapatienten. Ein interessanter Beitrag dazu war von Jörg Fachner zu hören, der von seinem neurowissenschaftlichen Forschungsprojekt aus Finnland (Jyväskylä) berichtete. Sein Labor untersucht Effekte von Musiktherapie bei depressiven Patienten. Es konnten höhere Aktivitäten in den mit Depressionserkrankungen zusammenhängenden relevanten Hirnarealen festgestellt werden. Dies lässt darauf schließen, dass infolge der Musiktherapie eine Zunahme an positivem Affekt und eine Reduktion von Angst erfolgen.

Musiktherapeutische Abläufe und Inhalte referierte Susanne Metzner (Magdeburg) in ihrer Keynote. Überzeugend und mitreißend berichtet sie von ihrer Arbeit in der musikimaginativen Schmerztherapie. An chronischen Schmerzen leidende Patienten erfahren hierbei die Möglichkeit, ihrem Schmerz musikalischen Ausdruck zu verleihen. Sie entwickeln mithilfe des Therapeuten eine "Schmerz-Komposition". Später versucht man dann Klänge zu finden, die mit Linderung und Schmerzfreiheit assoziiert werden. In der Regel berichten Patienten anschließend von einer Veränderung der Schmerzqualität und in einigen Fällen sogar von Schmerzlinderung. Aus dieser Form der Synchronisation von Musik- und Schmerzerleben spricht ein Phänomen, das sich nicht durch die üblichen Transfereffekte erklären lässt oder erklärt werden muss. Mensch und Musik wirken hier unmittelbar und elementar zusammen.

Zunehmend drängte sich jedoch eine Frage auf: Wie kann Musik einerseits zum Wohlbefinden und zur Gesundheit beitragen und andererseits bei professionellen Musikern zu erheblichen Beschwerden und Erkrankungen führen? Hier zeigt sich ein Mangel an etablierter, gesunder musikalischer Praxis von Berufsmusikern. Die einseitige und spezielle Belastung durch das Musizieren erfordert, ebenso wie bei Sportlern, gewisse Rahmenbedingungen: Aufwärmen, ausgleichendes Training und Entspannung/Ruhephasen. Eine Aufgabe der Zukunft liegt wohl darin, diesbezügliche Ideen (z. B. Physioyoga, dargestellt im Posterbeitrag von Monika A. Pohl) und ähnliche Ansätze auszubauen und zu professionalisieren. Musiklehrer scheinen dahingehend bereits eine alltagstaugliche Taktik gefunden zu haben - ihr Umgang mit Musik wirkt sich zumindest im Vergleich zu anderen Lehrern positiv auf ihren gesundheitlichen Zustand aus ("Musiklehrer sind vermutlich resilienter gegen Burnout als Lehrer anderer Fächer", so Andreas C. Lehmann & Marcus Hullin aus Würzburg in ihrem Beitrag).

Eine Erweiterung der von Peter Sedlmeier eingeleiteten Methoden-Workshops gab es in diesem Jahr von Reinhard Kopiez & Friedrich Platz (Hannover). Sie demonstrierten die Bedeutung von Effektstärken und Power-Analysen für die Interpretation statistisch signifikanter Ergebnisse und zeigten dies am Beispiel einer Meta-Analyse. Diese aufwendige Analyse von 15 Studien zum Thema "Die visuelle Koomponente in audio-visueller musikalischer Performanz" verdeutlichte den Nutzen der resultierenden Kennzahl (Cohen's d) als Hilfe für die Stichprobenberechnung in zukünftigen Studien: mithilfe der ermittelten Effektstärke kann zukünftig der Einfluss der visuellen Komponente auf die Musikbewertung genauer berücksichtigt werden. Abschließend lautete ein Appell an die Forschungsgemeinschaft, statistische Kennwerte nicht nur zu berechnen, sondern auch in entsprechenden Artikeln vollständig anzugeben. Somit sichert man nicht nur die Transparenz, sondern ermöglicht erst die Durchführung derartiger Meta-Analysen und die nachhaltige Nutzung der eigenen Arbeiten für andere Wissenschaftler.

In der Reihe der freien Beiträge sorgte das Thema "Offenohrigkeit" auch in diesem Jahr für große Diskussionen. Eine theoretische Erweiterung und modifizierte Form der Operationalisierung und Messung wurden von Katrin Drazek-Kappus und Christoph Louven (Osnabrück) vorgestellt. Mittels einer computergestützten Befragung sollte die Länge der Hördauer als Indikator für Offenohrigkeit erfasst werden. Inwiefern der daraus ermittelbare Index zur Aufklärung des Effekts der Offenohrigkeit und deren Abnahme in der Grundschule beitragen kann, wird noch zu prüfen sein.

Zu den Höhepunkten dieser Tagung zählte sicherlich der Vortrag von Johannes Hasselhorn (Hannover Music Lab) zum Zusammenhang zwischen populärer Musik, Emotion und autobiografischer Erinnerung. Die Stimmung der älteren Studienteilnehmer, die mittels Musik an ihre "Blütezeit" (15-24 Jahre) erinnert wurden, übertrug sich förmlich auf die Zuhörenden. Offensichtlich wurden Erinnerungen an die Musik der eigenen Jugend und damit verbundene Erlebnisse geweckt. Schaut man sich die bei der Studie entstandenen Fotos und Gesichter an- so sieht man ein gutes Alltagsbeispiel für durch Musik ausgelöstes Wohlbefinden.

Autorin:
Caroline Cohrdes
Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover
Emmichplatz 1
30175 Hannover
caroline.cohrdes@hmtm-hannover.de / caroline.cohrdes@googlemail.com


1 Antonovsky, A.(1979). Health, stress, and coping. New perspectives on mental and physical well-being, San Francisco: Jossey-Bass.
2 Seligman, M. (2002). Authentic Happiness: Using the New Positive Psychology to Realize Your Potential for Lasting Fulfillment. New York: Free Press.