Der Kult des Höchsten Wesens
Die Entchristianisierung hatte in der Bevölkerung jedoch nicht
nur Anhänger gefunden. Vor allem in den Provinzen war es schwer
die Menschen von der Aufgabe uralter Gewohnheiten zu überzeugen.
Zum Beispiel das Herabholen der Kirchenglocken löste im Volk einen
starken Protest aus, da diese nicht nur ein Symbol der christlichen
Zeiteinteilung waren, sondern auch den Tagesablauf der Menschen markierte,
indem sie zur Arbeit und zu Festen aufriefen oder von Unglücksfällen
kündeten. Auch gegen die Schließung der Kirchen regte sich
in der Bevölkerung Widerstand. (Bertaud,
91 und 93)
Robespierre war sich dieses Widerstandes der breiten Bevölkerung
bewusst. Bereist am 21. November 1793 sprach er sich im Jakobinerclub
ausdrücklich für die Freiheit der Religionsausübung aus,
obwohl er kein Befürworter des Katholizismus war. Er sah in der
Abschaffung der Gottesdienste jedoch einen politischen Fehler, der der
Republik nur noch mehr Feinde im In- und Ausland einbringe. (Soboul,
315)
Am 6. Dezember 1793 erinnerte auch der Konvent in einem feierlichen
Dekret an die freie Religionsausübung, die er proklamierte und
auch beabsichtigte aufrecht zu erhalten. Damit war ein erster Schritt
zur Eindämmung des Kultes der Vernunft vollzogen worden. Ebenso
wie Danton, der sich gegen die "antireligiösen Maskeraden"
(Soboul, 315) wandte und
Robespierre, der noch einmal vor den Gefahren der Entchristianisierung
warnte, ließ nun auch Chaumette die Freiheit der öffentlichen
Religionsausübung von der Kommune bestätigen. (Soboul,
315)
Durch das Dekret des Konvents änderte sich jedoch nichts an den
bereits getroffen Maßnahmen - geschlossene Kirchen blieben geschlossen.
Am 7. Mai 1794 befasste sich Robespierre in einer Ansprache an den Konvent
mit der Bedeutung von Religion und Moral. Das anschließend vom
Konvent erlassene Dekret legte im Artikel 1 folgendes fest: "Das
französische Volk erkennt die Existenz eines Höchsten Wesens
und die Unsterblichkeit der Seele an." (Markov/Soboul,
243) In die Reihe der nationalen Feste wurde nun jenes des Höchsten
Wesens aufgenommen.
Am 8. Juni 1794 weihte ein "Fest des Höchsten Wesens"
in Paris den neuen Kult feierlich ein. Robespierre nahm persönlich
an dem von David genauestens geplanten Fest teil. Nichts wurde dabei
dem Zufall überlassen, selbst die Äußerungen der Begeisterung,
der Ekstase folgten einem minuziösen Protokoll. Davids Regieanweisungen
überliefert Hans Maier in seinem Werk, Revolution und Kirche wie
folgt:
"Die Mütter heben die jüngsten ihrer Kinder in ihren
Armen hoch und bringen sie dem Schöpfer der Natur in Ehrfurcht
dar. Die jungen Mädchen werfen Blumen zum Himmel empor ... Die
jungen Männer ziehen ihre Säbel und schwören, sie überall
siegreich zu führen. Die von der Begeisterung ihrer Söhne
fortgerissenen Alten legen ihnen die Hände auf und teilen ihre
väterliche Segnung aus .... Eine furchtbare Artilleriesalve, das
Zeichen der nationalen Rache erschallt, und alle Franzosen vereinigen
ihre Gefühle in einer brüderlichen Umarmung: sie haben nur
mehr eine Stimme, deren vereinigter Schrei: Es lebe die Republik! die
Lüfte erbeben lässt". (Maier,
275)
Selbst die Häuser, aus deren Fenstern Fahnen flatterten, wurden
geschmückt und die Straßen mit Blumen bestreut. Es wurden
Instruktionen erteilt, wer die Getreideähren und Blumenkörbe
tragen sollte und sogar bestimmt, wie die jungen Mädchen ihre Haare
tragen mussten, welche Blumensträuße sie halten durften und
wie ihre Kleider mit Rosen besteckt wurden. Auch die musikalische Seite
des Festivals wurde bis aufs Kleinste geplant. (Ozouf,
111)
Robespierre sollte von einer hohen Rednerbühne zur Versammlung
und zum Volk sprechen, in der er das Höchste Wesen anrief und die
Zuhörer aufforderte, diesem zu huldigen. Während die Musiker
des "Institut National de Musique" eine Hymne Gossecs anstimmten,
entzündete Robespierre einen Scheiterhaufen, wodurch Atheismus,
Zwietracht und Ehrgeiz brennend zusammenstürzten, während
aus der Asche ein Standbild der Weisheit (mit leicht geschwärzte
Antlitz) emporstieg. (Aubry,
210) Danach führte Robespierre als Vorsitzender des Nationalkonvents
den Festzug nach Klängen von Gossec und Méhul vom Nationalpark
der Tuilerien zum Marsfeld. Dort wurde ein symbolischer "Berg"
errichtet, der von einem Freiheitsbaum überragt wurde. Im Gegensatz
zum Fest der Vernunft wurde dieser Hügel nun im Freien errichtet.
Die Zeremonie am Marsfeld war rein musikalisch und religiös, mit
Orchestermusik, der Emporhebung der Kinder zum Himmel und einem Eid
gestaltet. (Ozouf, 112)
In der Provinz wurde die Einführung dieses neuen Kultes begrüßt,
vor allem in manchen Gegenden Südost- oder Westfrankreichs fand
dieser bei der Bevölkerung großen Anklang. (Bertaud,
96)
Darstellung Fest des Höchsten Wesens