Abstracts zu den Vorträgen der DGM-Jahrestagung 2000

"MUSIKALISCHE BEGABUNG UND EXPERTISE /

MUSICAL GIFTEDNESS AND EXPERTISE"

21.—23.9.2000 in Freiburg (Musikhochschule)


Kurt A. Heller (Universität München)

Musikalisches Talent im Lichte der Hochbegabungs- und Expertiseforschung

Theoretische Modelle, Identifikations- und Förderansätze

Musikalische und künstlerische Talente werden in der psychologischen Fachliteratur zu den sog. nichtakademischen Begabungen gerechnet. Allgemein versteht man unter (Hoch-)Begabung ein Fähigkeitspotential für außergewöhnliche Leistungen in einem — seltener mehreren — Bereich/en, wobei im deutschen Sprachraum die Begriffe "Begabung" und "Talent" mehr oder weniger synonym verwendet werden. Musikalische Begabungen oder Talente bezeichnen somit außergewöhnliche Fähigkeiten im Bereich der Musik, die sehr unterschiedliche Facetten in dieser Domäne repräsentieren können.

Während der Begabungsbegriff auf das individuelle Fähigkeitspotential fokussiert ist, bezieht sich der Expertisebegriff auf Leistungsexzellenz in einer bestimmten Domäne, z. B. Musik. Entsprechend ist die Begabungsforschung prospektiv angelegt, d. h. interessiert sich vor allem für die Talententwicklung und deren Prognose. Im Gegensatz dazu vergleicht die Expertiseforschung Experten mit Anfängern oder Laien in einer bestimmten Domäne (Experten-Novizen-Paradigma), um auf diese Weise vor allem lern- und motivationspsychologische sowie soziale Bedingungen von Leistungsexzellenz retrospektiv zu erfassen. Dabei wird den interindividuellen Begabungsunterschieden eher eine marginale Rolle zuerkannt.

Erst in der neueren Talentforschung wird eine Kombination beider Paradigmen angestrebt. Im ersten Teil des Vortrags werden deshalb aktuelle Theorien zur Hochbegabung und Expertise unter besonderer Berücksichtigung musikalischer Talente dargestellt. Dabei interessiert vor allem, inwieweit diese Modelle Phänomene musikalischer Begabung erklären können.

Im zweiten Teil des Vortrags wird auf neuere empirische Forschungsbefunde eingegangen, wobei Probleme der Erkennung (Identifikation) und Förderung hochbegabter Kinder und Jugendlicher im Mittelpunkt stehen. Unter musikpädagogischen Aspekten interessieren z. B. Frühindikatoren musikalischer Begabung, Interesse an Musik etc., aber auch musikalisches Gedächtnis, absolutes Gehör, Fähigkeiten des Transponierens, Improvisierens und Komponierens, Beziehungen zwischen Musikalität und Kreativität sowie Intelligenz, zwischen Musikalität und visueller Wahrnehmung, Lateralitätshypothesen, "Savant-Syndrom" und schließlich die Beziehung zwischen musikalischer Frühbegabung und musikalischer Expertise im Erwachsenenalter.

Bei der Entwicklung und Förderung musikalischer Talente darf schließlich die Rolle der Familie und der Schule resp. der Lehrer nicht übersehen werden. Während die Begabungsforschung dabei vor allem an genetischen Einflüssen und Sozialisationsbedingungen der Begabungsentwicklung interessiert ist, richtet die Expertiseforschung ihr Hauptaugenmerk auf die motivationalen Anreize und Unterstützungsmaßnahmen der sozialen Lernumwelt inklusive Erziehung zur Selbstdisziplin und Ausdauer als wichtigsten Bedingungen für qualitativ anspruchsvolle Übungs-/Trainingsphasen (deliberate practice-Konzept).

Abschließend werden praktische Identifikations- und Förderansätze im Lichte der Begabungs- und Expertiseforschung diskutiert.

 

Kurt A. Heller (Universität München)

Musical Talent In The Light Of Giftedness And Expertise Research

Theoretical Models And Approaches To Identification And Promotion

Musical and artistic talents are classified under the so-called non-academic gifts in psychological literature. In general, one understands (high levels of) giftedness as the potential ability to attain remarkable achievements in a — rarely several — domain/s, whereby, in the German language, the terms "gift" and "talent" are applied more or less synonymously. Musical gifts or talents denote remarkable abilities in the area of music and can represent very different facets of this domain. While the term gift focuses on the individual ability potential, the term expertise indicates performance excellence in a specific domain, e. g. music. The research of talent is structured accordingly, i. e. main interest is placed on the development and prognosis of talents. In contrast, expertise research compares experts to novices or laymen in a specific domain (expert-novice-paradigm) in order retrospectively to ascertain social conditions relevant to performance excellence from the perspectives of learning as well as motivational psychology. Here inter-individual talent differences are assumed to play only a minor role.

The newer approaches to talent research have begun to strive towards a combination of both paradigms. Therefore, the first section of the speech will describe current theories of giftedness and expertise, with particular consideration being paid to musical talents. Above all, one is interested in determining to what degree these models can explain the phenomena of musical talents.

The second section of the speech is devoted to new empirical findings in which the problems of identification and promotion of highly gifted children and adolescents are of central importance. Interesting aspects of musical pedagogy include early indicators of musical talent, interest in music, etc. but also of relevance are: musical memory; perfect pitch; the ability to transpose, improvise and compose; the relationship between musical giftedness and creativity and/or intelligence; the relationship between musical giftedness and visual perceptual skills; lateral hypotheses; the "savant syndrome" and finally the relationship between musical giftedness in early ages and musical expertise in adulthood.

In dealing with the development and promotion of musical talents, one cannot overlook the importance of the roles played by the family and the school, in particular the teacher. Although giftedness research is interested, above all, in the genetic influences and socialisation conditions affecting talent development, expertise research directs its attention to motivational incentives and support mechanisms of the social learning environment, which also encompass the training of self-discipline and perseverance as the most important prerequisites for qualitative, ambitious training phases (deliberate practice concept).

In conclusion, practical approaches to the identification and promotion of talents in the light of giftedness and expertise research will be discussed.


Françoys Gagné (Université du Québec à Montréal, Canada)

Worin sehen Musiker die Hauptursachen für die Entstehung von Talent?

In einer groß angelegten Studie zu den naiven Theorien von Musiklehrern und -schülern untersuchten wir (a) Überzeugungen bezüglich der Vererbbarkeit von musikalischen Fähigkeiten und (b) die wahrgenommene kausale Hierarchie einer Folge von Hauptdeterminanten für die Entstehung von Talent. Die Vererbbarkeit von menschlichen Fähigkeiten ist eine sehr strittige Frage, sogar unter führenden Sozialwissenschaftlern. Die naiven Überzeugungen von Musiklehrern und -studenten waren als eine kontrapunktische Perspektive gedacht. Eine große Stichprobe (N = 672) von französisch- und englischsprachigen Musiklehrern und -schülern aus Quebec schätzten die Vererbbarkeit von sieben musikalischen Fähigkeiten ein: (1) Intelligenz (Leichtigkeit beim Verstehen von Theorien und abstrakten Konzepten), (2) auditive Fähigkeiten (musikalisches Gehör), (3) motorische Geschicklichkeit, (4) Rhythmik, (5) auditives Gedächtnis (Einprägen von Melodien), motorisches Gedächtnis (Einprägen von Fingersätzen) und (7) Musikalität. Die Ergebnisse brachten sehr große individuelle Unterschiede hinsichtlich der Standpunkte zum Vorschein, die von der kompletten Verneinung irgendeiner genetischen Untermauerung dieser Fähigkeiten bis zum Glauben an eine starke genetische Komponente bei allen reichen. Dennoch verneinte lediglich eine kleine Minderheit jegliche genetische Basis für musikalische Fähigkeiten. Im Durchschnitt wurde bei allen sieben Fähigkeiten eine bedeutsame, jedoch mäßig ausgeprägte genetische Komponente vermutet. Auditorische Fähigkeiten (musikalisches Gehör) und Rhythmik wurden als signifikant erblicher eingeschätzt als die anderen fünf vorgeschlagenen Fähigkeiten. Wir fanden signifikante Rollen- und Kultureffekte: Schüler und französische Quebecer zeigten mehr milieubezogene Überzeugungen. Diese zwei Effekte erklärten zusammen nur 6% der Abweichung zwischen den Versuchspersonen. Keine andere soziodemographische oder berufliche Variable erklärte irgendein signifikantes Ausmaß der beobachteten Variation.

In der wissenschaftlichen Literatur gibt es ebenfalls erhebliche Kontroversen darüber, welche Faktoren dafür bestimmend sind, ob man ein durchschnittlicher Musiker wird oder im Gegenteil Leistungen auf hohem künstlerischen Niveau erreicht. Um naive Überzeugungen über den Rang von Determinanten für hervorragende Qualität einschätzen zu können, füllten die Teilnehmer einen Fragebogen aus. Dieser enthielt geschlossene Fragen zur Einschätzung der als wichtigste und unwichtigste wahrgenommenen Gründe für Talentunterschiede zwischen hoch befähigten und eher durchschnittlichen jungen Musikern. Zwei verschiedene Situationen wurden vorgeschlagen: ein Vergleich zwischen besten und schlechtesten Anfängern im Musikunterricht und ein Vergleich zwischen sehr guten und außergewöhnlichen fortgeschrittenen Schülern im Highschool-Alter. Drei Ergebnisse stechen hervor: (a) Die wahrgenommene Hierarchie der Kausalfaktoren zeigt sehr große individuelle Unterschiede, welche (b) dennoch Raum lassen für klare generelle Trends, die die Mehrheit teilt; (c) diese Trends sind anscheinend zumeist unabhängig vom Talentniveau oder den Charakteristiken der Antwortenden. Musikalische Fähigkeiten stehen an erster Stelle, gefolgt von Ausdauer, Übedauer, Interesse (Liebe zur Musik) und Persönlichkeitseigenschaften. Umwelteinflüsse (z. B. häusliches Musikmilieu, elterliche Unterstützung und Beaufsichtigung, Musiklehrer) und Zufallsfaktoren erhielten hintere Positionen. Die einzigen beobachteten signifikanten Gruppenunterschiede setzten die Lehrer etwas gegenüber den Schülern ab und unterscheiden ein kleines bißchen die zwei Vergleichssituationen. Beide Methoden zur Einschätzung der Überzeugungen von Musikern bestätigen die als signifikant wahrgenommene Rolle der musikalischen Begabung — mit ihrer genetischen Basis als eine wesentliche Determinante der Entstehung von Talent. Nur eine Minderheit dieser Musiker, sowohl Lehrer als auch Schüler, scheint das milieubezogene Credo mit seiner Ablehnung von individuellen Unterschieden im "natürlichen" Talent zu billigen.

 

Françoys Gagné (Université du Québec à Montréal, Canada)

Musicians’ Beliefs Concerning The Major Causes Of Talent Emergence

In a large-scale study on the lay theories of music educators and students, we examined (a) heritability beliefs about musical abilities, and (b) the perceived causal hierarchy of a series of major determinants of talent emergence. The heritability of human abilities is a very controversial question, even among scholars in the social sciences. The lay beliefs of music educators and students were sought as a counterpoint perspective. A large sample (N = 672) of French-speaking and English-speaking Quebec music educators and students assessed the heritability of seven musical abilities: (1) intelligence (ease in understanding theory and abstract concepts), (2) auditory abilities (musical ear), (3) motor dexterity, (4) rhythm, (5) auditory memory (memorizing melodies), (6) motor memory (memorizing fingering), and (7) musicality. The results revealed very large individual differences in viewpoints, ranging from complete denial of any genetic underpinning for these abilities to beliefs in a strong genetic component for all of them. Still, only a small minority denied any genetic basis for musical aptitudes. On average, all seven abilities were perceived as having a significant but modest genetic component. Auditory abilities (musical ear) and rhythm were judged significantly more heritable than the five other abilities proposed. Significant role and culture effects were found, with students and French Quebecers showing more environmentalist beliefs. Together, these two effects accounted for only 6% of the between-subjects variance. No other sociodemographic or professional variables accounted for any significant amount of the variation observed.

There is also much controversy in the scientific literature concerning which factors make a difference between becoming an average musician as opposed to attaining talented-level performance. To assess lay beliefs about the ranking of determinants of excellence, the participants completed a forced-choice questionnaire assessing the perceived most and least important causes of the difference in talent between high achieving and more average young musicians. Two distinct situations were proposed: comparing best vs. worst young beginning music students, and comparing very good vs. exceptional advanced (high school age) students. Three results stand out: (a) very large individual differences in terms of the perceived hierarchy of causal factors, which (b) still leave room for clear general trends shared by a majority; (c) these trends appear mostly independent of the talent level or the respondents’ characteristics. Musical aptitudes were ranked first, followed by perseverance, amount of practice, interest (love of music), and personality traits. Environmental influences (e. g., home musical environment, parental support and supervision, music teacher) and chance factors received low rankings. The only significant group differences observed slightly opposed educators and students, and slightly discriminated between the two comparison situations. Both approaches to the assessment of musician’s beliefs confirm the perceived significant role of musical giftedness, with its genetic basis, as a major determinant of talent emergence. Only a minority of these musicians, both educators and students, seem to endorse the environmentalist credo with its denial of individual differences in "natural" talent.


Ralf Th. Krampe (Max Planck Institut für Bildungsforschung, Berlin)

Entwicklung musikalischer Fertigkeiten während der Lebensspanne: Der Expertise-Ansatz

Zwei grundlegende Annahmen bilden den Ausgangspunkt meiner Überlegungen:

Beobachtbares Verhalten und mentale Prozesse, auch hochgradig spezifische kognitiv-motorische Funktionen, haben ein neuronales Pendant. Das heißt: Die Gehirne von Konzertpianisten unterscheiden sich von denen von Amateurmusikern in entscheidender Hinsicht.

Ein beträchtlicher Anteil der interindividuellen Unterschiede in genereller kognitiv-motorischer Funktionalität geht auf Varianz in angeborenen Dispositionen zurück. Robert Plomin und seine Mitarbeiter haben eindrücklich demonstriert, daß ungefähr 50% der interindividuellen Unterschiede in allgemeiner Intelligenz durch genetische Variation erklärt werden können (Plomin 1994).

Das Ziel meines Vortrages ist es zu zeigen, daß eine Erklärung stabiler interindividueller Unterschiede in musikalischem Können keines Rückgriffs auf Konzepte wie angeborenes Talent bedarf. Als theoretische Alternative werde ich den von Ericsson, Krampe & Tesch-Römer (1993) entwickelten Ansatz zur Rolle gezielten Übens (deliberate practice) für die Entwicklung von Expertise vorstellen. Ähnlich wie bestimmte Modelle aus der Entwicklungspsychologie der Lebensspanne (Freund, Li & Baltes 1999) konzipiert der deliberate practice-Ansatz den Erwerb und Erhalt von Fertigkeiten unter dem Aspekt der individuellen Anpassung (adaptation) an interne (processing) und externe (task domain) Randbedingungen (constraints). Im Zentrum des Expertise-Ansatzes steht die Annahme, daß besondere Fertigkeiten auf domäne-spezifischen, kognitiven Mechanismen beruhen, welche durch langfristige, gezielte Übung erworben werden. Ich werde Ergebnisse aus Untersuchungen zum musikalischen Können vorstellen, um drei Hauptaspekte zu illustrieren:

Das Könnensniveau läßt sich nicht aus interindividuellen Unterschieden vorhersagen, die (nachweislich) auf angeborenen interindividuelle Unterschiede zurückgehen.

Das Könnensniveau korreliert jedoch mit interindividuellen Unterschieden im Ausmaß gezielten Übens und dies gilt für verschiedene Lebensphasen.

Entwicklungsbedingte Veränderungen im musikalischen Können sind das Ergebnis von Veränderungen in individuellen Lebenszielen und den damit einhergehenden Veränderungen im Übungsniveau. Diese Veränderungen lassen sich nicht durch einen reinen Talent-Ansatz erklären.

Zusammenfassend läßt sich die Entwicklung musikalischer Expertise als ein Langstreckenlauf vorstellen, bei dem interne und externe constraints Möglichkeiten und Herausforderungen bilden. Die beobachtete Übungsintensität ist dabei Ausdruck der individuellen Anstrengungen, sich an diese Randbedingungen anzupassen. Im Widerspruch zu populären Annahmen, wird die Rolle angeborener, interindividueller Unterschiede wahrscheinlich um so größer, je weiter wir uns in unserer Betrachtung von "normalem" Verhalten entfernen. Genetische blueprints haben in der Natur eine adaptive Funktion, wenn es um das Überleben einer Eintagsfliege geht. Gleichzeitig sorgt eine extrem hohe Mutationsrate dafür, daß die Spezies als solche nicht ausstirbt. Beim Menschen gilt dagegen das Prinzip der sog. soft constraints (Elman et al. 1996). Immense interindividuelle (genetische) Variabilität und extensive Ontogenese sind die Grundlage, auf der sich — wenn auch selten — Individuen wie Vladimir Horovitz, Miles Davis, oder Stephen Hawkins entwickeln können.

 

Ralf Th. Krampe (Max Planck Institut für Bildungsforschung, Berlin)

The Development Of Musical Performance Skills Across The Life-Span: The Expertise Perspective

My presentation starts from two basic assumptions. First, observable behaviour and mental processes, including highly specific cognitive-motor functions have a neural substrate; that is to say, concert pianists’ brains differ from those of amateurs in important respects. Second, a considerable portion of inter-individual differences in general cognitive-motor functions are related to innate dispositions. Robert Plomin and his colleagues have convincingly shown that roughly 50% of individual differences in general intelligence can be accounted for by genetic variance (Plomin 1994).

The goal of my talk is to show that the explanation of stable inter-individual differences in skilled (musical) performance does not require the assumption of innate gifts and talents. As an alternative, I will describe the deliberate practice framework for the development of real-life expertise (Ericsson, Krampe & Tesch-Römer 1993). Similar to extant models in life-span developmental psychology (Freund, Li & Baltes, 1999) the deliberate practice framework portrays the acquisition and maintenance of skills as long-term adaptations to internal (processing) and external (task) constraints. At the core of the expertise perspective is the notion that skilled performance relies on domain-specific processing mechanisms that are acquired through long-term deliberate practice efforts. I will summarise findings from the domain of musical performance to illustrate three major claims:

level of expertise is not predictable from inter-individual differences that reflect (demonstrably) innate capacities

level of expertise can be predicted from interindividual differences in deliberate practice efforts at different stages of musical development

developmental changes in musical performance reflect changes in life-goals and concurrent changes in practice intensity. These changes cannot be explained by differences in musical talent as such.

The core of my argument is that the development of expertise is a long-distance race along the parcours of internal and external constraints. Deliberate practice intensity reflects an individual’s efforts to adapt to these constraints. Contrary to popular belief, the role of innate factors may decrease the further we move away from "normal" behaviour. Hardwired genetic blueprints are adaptive in guaranteeing a fruit-fly’s survival for a day; rapid mutation guarantees that the species persists. Soft constraints (Elman et al. 1996), tremendous genetic variability, and individuals’ adaptive plasticity during ontogenesis are mankind’s platform that, once in a while, gives produces a Vladimir Horovitz, a Miles Davis, or a Stephen Hawkins.

 

References

Elman, J. L.; Bates, E. A.; Johnson, M. H.; Karmiloff-Smith, A.; Parisi, D. & Plunkett, K. (1996). Rethinking innateness. A connectionist perspective on development. Cambridge, MA: MIT Press.

Ericsson, K. A.; Krampe, R. T. & Tesch-Römer, C. (1993). The role of deliberate practice in the acquisition of expert performance. Psychological Review 100, 363—406.

Freund, A. M.; Li, K. Z. H. & Baltes, P. B. (1999). Successful development and aging: The role of selection, optimization, and compensation. In: J. Brandtstaedter & R. M. Lerner (Eds.) Action & self-development; Theory and research through the life span (pp. 401—434). Thousand Oaks, CA, US: Sage Publications, Inc.

Plomin, R. (1994). Genetics and experience: The interplay between nature and nurture. Thousand Oaks, CA: Sage Publications.


Adam Ockelford (Royal National Institute for the Blind, London, United Kingdom)

Savant-Syndrom oder -Syndrome?

Fallstudien von jungen Menschen, die blind sind und schwerwiegende Lernschwierigkeiten haben

Die psychologische Literatur des 20. Jahrhunderts wurde sporadisch beeinflußt durch Berichte über Menschen, die eine spezielle Fähigkeit oder Fähigkeiten im breiteren Kontext von Lernschwierigkeiten haben.

Seit Downs Beschreibung solcher Individuen als ‘Idiots savants’ und Trefferts nachfolgender Neubenennung als ‘solche mit dem Savant-Syndrom’ (1988), hat man impliziert, daß solche Menschen eine diskrete Gruppe bilden, obwohl man von Anfang an erkannte, daß die Domäne, in welcher die Savants sich hervortaten, unterschiedlich sein konnte, sich erstreckend zum Beispiel von kalendarischen Berechnungen zur Hyperlexia und von den visuellen Künsten zur Musik. Die Vorstellung, daß Savants irgendwie eine eigene ‘Kategorie von Menschen’ darstellen, wurde bestätigt durch frühe Studien (zum Beispiel Anastasi & Levee 1960; Viscott 1970), die zum Anekdotischen tendierten und sich auf Einzelfälle konzentrierten.

Obgleich neuere Studien (zum Beispiel Sloboda, Hermelin & O’Connor, 1985; Charness, Clifton & MacDonald 1988; Young & Nettlebeck 1995) eine strengere Forschungsmethodologie wählten — häufig im Kontext von konkurrierenden Intelligenztheorien — und kleine Versuchspersonengruppen untersuchten (zum Beispiel acht Personen im Fall von Miller 1995; fünf im Fall von Hermelin, O’Connor & Lee 1987), hat im allgemeinen die Ansicht weiterhin Bestand, daß (musikalische) Savants in gewisser Hinsicht eine eigene Gruppe bilden.

Zwar haben manche Forscher ganz bestimmt die Stichhaltigkeit dieser Annahme angezweifelt (zum Beispiel Barnes & Earnshaw 1995), jedoch wurde bis heute kein systematischer Versuch unternommen, sämtliche Daten zu solchen Personen mit Behinderungen und außergewöhnlichen musikalischen Fähigkeiten zusammenzubringen (Zusammenfassungen wie zum Beispiel die von Judd 1988 ungeachtet) und zu analysieren, ob sie tatsächlich eine kohärente Gruppe konstituieren.

Das vorliegende Paper bietet informelle Beweise — eine Reihe von kurzen Fallstudien —, daß gegenwärtig als ‘musikalische Savants’ klassifizierte Personen eigentlich eine uneinheitliche Gruppe bilden, deren Fähigkeiten (musikalische und andere) sich entlang einer Anzahl von Kontinua unterscheiden.

Obwohl es in vielen Zusammenhängen (wie zum Beispiel das Investieren in pädagogischer Versorgung) zweckmäßig sein kann, weiterhin Konzepte und Etiketten wie zum Beispiel ‘Savant-Syndrom’ zu benutzen, könnte also von der Perspektive zukünftiger Forschung aus gesehen eine weiter entwickelte Taxonomie derjenigen, die spezielle Fähigkeiten mit Behinderungen kombinieren, den gewinnbringendsten Weg nach vorn verkörpern.

 

Adam Ockelford (Royal National Institute for the Blind, London, United Kingdom)

Savant Syndrome Or Syndromes?

Case Studies From Young People Who Are Blind And Have Severe Learning Difficulties

The psychological literature of the 20th century is coloured sporadically with accounts of people who have a special ability or abilities in the broader context of learning difficulties.

Ever since Down’s description of such individuals as ‘idiots savants’ (1887) and Treffert’s subsequent re-designation as ‘those with savant syndrome’ (1988), there has been the implication that such people form a discrete group, although it was recognised from the outset that the domain in which savants excelled could vary, ranging, for example, from calendrical calculation to hyperlexia, and from the visual arts to music. The notion that musical savants somehow constitute a distinct ‘category of person’ was reinforced by early studies (for example, Anastasi & Levee 1960; Viscott 1970), which tended to be anecdotal, and focused on individual cases.

Although more recent studies (for example, Sloboda, Hermelin & O’Connor, 1985; Charness, Clifton & MacDonald 1988; Young & Nettlebeck 1995) have adopted a more rigorous research methodology — often in the context of competing theories of intelligence — and have examined small groups of subjects (for example, eight in the case of Miller 1995; five in the case of Hermelin, O’Connor & Lee 1987), in general the view has persisted that (musical) savants in some way make up a distinct group.

For sure, some have questioned the validity of this assumption (for example, Barnes & Earnshaw 1995), but to date no systematic attempt has been made to bring together all the data on those with disabilities and exceptional musical abilities (summaries such as that by Judd 1988, for example, notwithstanding) and to analyse whether they do indeed constitute a coherent set.

This paper presents informal evidence — a series of brief case studies — that those currently categorised as ‘musical savants’ actually form a diverse group, whose abilities (musical and otherwise) vary along a number of continua.

Hence, while it may be useful in a number of contexts (such as funding for educational provision) to continue to use concepts and labels such as ‘savant syndrome’, from the point of view of future research, a more developed taxonomy of those who combine special abilities and disabilities may represent the most profitable way forward.


Harald Jørgensen (Norges Musikkhøgskole, Oslo, Norway)

Wer ist der Experte im Üben eines Instruments?

Eine empirische Darlegung und theoretische Diskussion der Expertise des instrumentalen Übens von Konservatoriumsstudenten

Für einen Instrumentalstudenten ist das Üben auf dem Musikinstrument unerläßlich für sein Vorwärtskommen. Während der letzten zehn Jahre habe ich versucht, Informationen darüber zu erlangen, wie Studenten an einer Musikhochschule auf ihren Instrumenten üben. Es handelt sich hierbei um Studenten auf hohem Leistungsniveau, und sie sollten Experten sein — sowohl was ihren Instrumentalvortrag als auch ihr Übeverhalten betrifft. Es könnte jedoch auch sein, daß diese Beziehung kein einfaches Verhältnis repräsentiert. Ist es zum Beispiel möglich, ein Experte im Instrumentalvortrag zu sein, selbst wenn man kein Übeexperte ist? Und: Gibt es gewisse Übeverhaltensweisen, die einen Übeexperten kennzeichnen?

Fragen wie diese hängen natürlich davon ab, was wir mit "Expertise" meinen in diesen beiden Bereichen, dem Bereich des Instrumentalvortrags und dem Bereich des instrumentalen Übens. In der hier vorliegenden Studie wurden Studenten (hauptsächlich) drei Expertiseniveaus im Instrumentalvortrag zugewiesen, gemessen als Note für den Instrumentalvortrag, die durch eine Jury vergeben wurde und auf einem Examenskonzert basierte. Dies ist der konventionelle Typ des Vorspiels, das das Proben mit Musiknoten und den auswendigen Vortrag erfordert.

Das in der Forschung untersuchte Übeverhalten umfaßt eine große Auswahl an aufgaben- und personenorientierten Strategien (siehe Hallam 1997). Die im vorliegenden Paper berichteten Übeverhaltensweisen sind die zeitlichen Aufwendungen der Studenten für Übeaktivitäten, die in Anspruch genommenen metakognitiven Aktivitäten beim Planen einer Übesitzung und die Abstimmung dieser Übestunden auf andere Studienaufgaben. Meine Forschungsfrage ist: Unterscheiden sich Studenten mit verschiedenen Expertiseniveaus im Vorspiel hinsichtlich dieser Übeverhaltensweisen?

Die empirischen Ergebnisse werden mit Bezug auf Forschung und Theorien zur Vorspiel- und Übeexpertise diskutiert werden. Für das Vorspiel habe ich drei konkurrierende Haupttheorien ausmachen können, die die typischen Merkmale dieser Expertise beschreiben und erklären, wie sie sich herausbildet. Die erste ist die Theorie von Ericsson, Krampe & Tesch-Römer (1993), eine auf kognitiver Theorie basierende Konzeption, bei der das Verhältnis zwischen Vorspielexpertise und gezieltem Üben (deliberate practice) das zentrale Thema ist. Die zweite ist das allgemeine Modell der Expertise von Dreyfus & Dreyfus (1986), bei dem die wichtigsten Merkmale eines Experten seine oder ihre intuitive Reaktionen sind und nicht etwa Problemlösen oder bewußte Überlegungen. Die dritte ist die Theorie des reflektierenden Übenden von Donald Schön (1983; 1987), eine Theorie, die auch den sozialen Kontext der Expertiseentwicklung und -manifestation betont. Diskussionen des Expertisebegriffs im Vergleich zu dem des Talents sollen ebenfalls in Betracht gezogen werden (siehe zum Beispiel Gembris 1998 und Lehmann 1998).

 

Harald Jørgensen (Norges Musikkhøgskole, Oslo, Norway)

Who Is The Expert In Instrumental Practice?

An Empirical Presentation And Theoretical Discussion Of Expertise In Conservatory Students’ Instrumental Practice

For a student on a musical instrument, practising on the instrument is vital for progress. For the last ten years, I have tried to get information about how students in a music academy practise on their instruments. These are students on a high performance level, and they ought to be experts both in their instrumental performance and in their practising behaviour. But maybe that this relationship is not a straightforward relationship. Is it possible, for instance, to be an expert performer on an instrument even if one is not an expert practitioner? And are there certain practice behaviours that identify an expert practitioner?

Questions like these depend, of course, on what we mean with "expertise" in these two domains, the domain of instrumental performance and the domain of instrumental practice. In this study, students are allocated to (mainly) three levels of instrumental performance expertise, measured as an instrumental performance grade given by a panel of judges and based on an examination concert. This is the conventional type of performance, requiring rehearsal of notated music and performance from memory.

Research in practice behaviour covers a wide range of task-oriented and person-oriented strategies (see Hallam 1997). The practice behaviours reported in this paper are the students’ allocation of time to practising activities, and the metacognitive activity they engage in when they plan their practice sessions and co-ordinate practice sessions with other study tasks. My research question is: do students at different levels of performance expertise differ in these practice behaviours?

The empirical results will be discussed in relation to research and theories on expertise in performance and practising. For performance, I have identified three major competing theories on the characteristics of expertise and how expertise evolves. The first is the theory presented by Ericsson, Krampe & Tesch-Römer (1993), a conception based on cognitive theory, where the relationship between performance expertise and deliberate practice is a central theme. The second is Dreyfus & Dreyfus’ general model of expertise (1986), where the most important characteristic of an expert is his or her intuitive reactions, not problem-solving and deliberate considerations. The third is Donald Schön’s theory of the reflective practitioner (1983; 1987), a theory that also emphasise the social context of expertise development and manifestations. Discussions of expertise versus talent will also be considered (see, for instance, Gembris 1998 and Lehmann 1998).

 

Selected references

Dreyfus, H. & Dreyfus, S. (1986). Mind over machine. New York: Free press.

Ericsson, K. A., Krampe, R. T. & Tesch-Römer, C. (1993). The role of deliberate practice in the acquisition of expert performance. Psychological Review 100 (3), 363—406.

Gembris, H. (1998). Kritische Anmerkungen zum Expertise-Konzept. In: H. Gembris; R.-D. Kraemer & G. Maas (Eds.) Musikpädagogische Forschungsberichte 1997 (pp. 111—123), Augsburg:: Wißner.

Hallam, S. (1997). What do we know about practising? Towards a model synthesising the research literature. In: H. Jørgensen & A. C. Lehmann (Eds.) Does practise make perfect? Current theory and research on instrumental music practice (pp. 179—231). NMH-publikasjoner 1997:1. Oslo: Norges musikkhøgskole.

Lehmann, A. C. (1998). Expertiseforschung als alternativer Beitrag zur traditionellen Musikalitätsforschung. In: H. Gembris; R.-D. Kraemer & G. Maas (Eds.) Musikpädagogische Forschungsberichte 1997 (pp. 124—146), Augsburg:: Wißner.

Schön, D. A. (1983). The reflective practitioner. How professionals think in action. New York: Basic Books.

Schön, D. A. (1987). Educating the reflective practitioner. San Francisco: Jossey-Bass.


Daniel Steinwede, R. Rottbeck, O. Busse, C. Kohlmetz,Thomas F. Münte, Maria Schuppert & Eckart Altenmüller

(Institut für Musikphysiologie und Musiker-Medizin Hannover/Neurologische Klinik des städtischen Klinikums Minden/Medizinische Hochschule Hannover)

Expressive und Rezeptive Amusie nach Schlaganfällen: Eine Neuropsychologische Untersuchung

Wenig ist über die neuronale Verarbeitung bei expressiven und rezeptiven Musikfunktionen bekannt. In einer vorangegangenen Studie (Schuppert et al. 2000) konnte gezeigt werden, daß rezeptive Amusien bei circa 69 Prozent der Schlaganfallpatienten auftreten. Die vorliegende neuropsychologische Arbeit wurde besonders im Hinblick auf eine Erweiterung des Amusie-Tests auf expressive Leistungen und Funktionen unternommen.

Dreißig Patienten mit einem einseitigen Schlaganfall wurden auf ihre rezeptiven und expressiven musikalischen Funktionen mit dem neu entwickelten Amusie-Test überprüft.

Der expressive Teil des Testes bestand aus dem Wiedergeben zweimal vorher gehörter Tonbeispiele. Die Beispiele umfaßten a) Melodie, b) Intervall und c) Rhythmus. Sowohl beim expressiven als auch beim rezeptiven Teil waren jeweils immer 18 Aufgaben vorgesehen.

Patienten und Kontrollpersonen spielten auf einem 6-tastigen Glockenspiel Melodien und Intervalle nach und klopften die Rhythmen auf einem Holzbrett.

Die reproduzierten Musikbeispiele wurden mit einem Dat-Rekorder aufgenommen und zwei unabhängigen Experten zur Bewertung vorgespielt.

Die rezeptiven Funktionen wurden anhand von fünf verschiedenen Tests überprüft, wobei den ersten vier ein Diskriminationsdesign zugrundelag:

Tonhöhe: In einem Diskriminationsdesign sollten die Patienten und Probanden entscheiden, ob zwei Töne gleich oder verschieden (kleine oder große Sekunde) hoch waren. Als Antwortmöglichkeit gab es "gleich" und "ungleich". Dieses Antwortmuster galt ebenso für die folgenden Tests von Melodie und Rhythmus.

Melodie — Intervall und Kontur: Eine Melodie von 4 Takten Länge wurde wiederholt, wobei bei der Wiederholung eine Veränderung von einem Ton stattfinden konnte. Dieser wurde entweder unter Beibehaltung der melodischen Linie in seinem Intervall zum folgenden Ton modifiziert, oder er beeinflußte die Melodie durch eine Konturänderung. Die Melodien standen zur Hälfte im 2/4- oder im 3/4-Takt.

Rhythmus: Ein Rhythmus von 4 Takten Länge wurde wiederholt, wobei bei der Wiederholung eine Veränderung in einem Takt stattfinden konnte. Die Rhythmen waren gleich aufgeteilt in 2/4- oder 3/4-Takt.

Metrum: Eine Melodie von 4 Takten Länge wurde ohne eine Pause wiederholt. Es war entweder ein Marsch (2/4-Takt) oder ein Walzer (3/4-Takt). Hier hatte der Proband zwischen diesen beiden Möglichkeiten zu wählen.

Erkennung von dt. Volksliedern: 5 alte deutsche Volkslieder wurden vorgespielt, wobei der Proband möglichst den Titel nennen sollte.

Verglichen mit der Kontrollgruppe war die Patientengruppe in den rezeptiven und expressiven musikalischen Funktionen signifikant schlechter. Im expressiven Teil konnte eine ausgeprägte Leistungsminderung in allen Bereichen nachgewiesen werden, die insbesondere nach den linkshemisphärischen Läsionen, die mit Sprachproduktionsstörungen einhergingen, deutlich war. Im rezeptiven Test war lediglich die Metrumaufgabe nicht beeinträchtigt.

Wir schließen daraus, daß expressive musikalische Fertigkeiten in einem viel größeren Ausmaß mit linkshemisphärischen und sprachproduktiven Funktionen gekoppelt sind als bisher in der Literatur angenommen wurde.

Der singuläre Erhalt der Metrumerkennung könnte aufgrund einer multiplen und komplexeren Repräsentation von derartigen Zeitstrukturen in den jeweiligen Hemisphären zustande kommen.

 

Daniel Steinwede, R. Rottbeck, O. Busse, C. Kohlmetz, Thomas F. Münte, Maria Schuppert & Eckart Altenmüller

(Institut für Musikphysiologie und Musiker-Medizin Hannover/Neurologische Klinik des städtischen Klinikums Minden/Medizinische Hochschule Hannover)

Expressive And Receptive Amusia In Patients With Hemispheric Stroke

Little is known concerning neuronal networks involved in expressive and receptive musical functions. In a previous study (Schuppert et al. 2000) we were able demonstrate that receptive amusia is a frequent symptom in brain-damaged patients. The present neuropsychological study was undertaken to extend the investigation on expressive musical functions.

Thirty patients suffering from unilateral stroke were tested for expressive and receptive musical functions using a newly developed test battery.

The test for expressive function required active replay of previously twice presented a) melodies, b) intervals and c) rhythms. Patients and controls had to play on a glockenspiel or had to tap short rhythmic trails. The played parts were recorded and rated by two independent experts.

The receptive part of the test contained five different tests (with each 18 stimuli), four of them designed as a forced choice discrimination paradigm:

Discrimination of pitch: A target tone was followed by a comparison tone, which was either a major or a minor second apart or which remained the same. Patients and controls had to respond "same" or "different".

Discrimination of interval and contour: A target melody of four bars’ duration was followed by a rest of two bars and then a comparison melody, in which either one tone was changed or remained unchanged.

Discrimination of rhythm: A target rhythm of four bars’ duration played on one note (g) was followed by a rest of two bars and then a comparison rhythm, in which either one bar was changed or remained unchanged.

Discrimination of metre: A melody of four bars’ duration was presented twice without a rest in between. It was either a march (2/4 metre) or a waltz (3/4 metre) and subjects had to discriminate between these two types of metre.

Recognition of five familiar song melodies: The subjects had to recognise five German nursery melodies with their title, or at least as known or unknown.

Patients performed significantly worse in both the expressive and the receptive test, compared to controls. A general impairment in the expressive test was more frequently associated with left hemispheric lesions and with deficits in language production. In the receptive part only the metre-task was not impaired.

We conclude that expressive musical capabilities are to a greater extent linked to left hemisphere- and to language function as reported in the literature. The selective preservation of meter recognition may be due to multiple representations of this perceptive task in either hemisphere.


Jan Hemming (Universität Bremen)

"Musikalische Begabung" aus Sicht der "Cultural Studies"

Gegenüber der traditionellen kritischen Theorie beinhaltet der Ansatz der Cultural Studies wesentlich veränderte Dimensionen der Kulturkritik, die zum einen aus der Methode der Diskursanalyse und der analytischen Sprachphilosophie hervorgehen und sich zum anderen durch die starke Orientierung der Cultural Studies an Alltagskultur ergeben. Beide Punkte sollen in einer Argumentation aufgegriffen und weiterentwickelt werden, in der untersucht wird, inwiefern es sinnvoll und möglich ist, den Begriff Begabung aus den Bereichen der traditionellen Musikausübung herauszulösen und z. B. auf Jazz, Rock und Pop zu übertragen. Ausgangspunkt ist also nicht eine abstrakte Definition von Begabung, sondern eine Analyse des Gebrauchs dieses Begriffes in wissenschaftlichen, aber auch in alltäglichen Zusammenhängen. Auf diese Art und Weise kann Begabung zunächst als essentialistischer Begriff identifiziert werden. Den daraus resultierenden problematischen politischen Implikationen wird üblicherweise dadurch begegnet, daß sich die Forschung primär auf Umwelteinflüsse statt auf angeborene Anlagen konzentriert. Diese Konstellation kann auch in einem anderen Gegenstandsbereich der Cultural Studies, den Gender Studies beobachtet werden, deren Grundprämisse in einer Unterscheidung zwischen dem biologischen Geschlecht (engl. sex) und dem sozialen Geschlecht (engl. gender) besteht. Auch hier erfolgt schon im Begriff eine Beschränkung auf den letztgenannten Bereich, und erst die Arbeiten von Judith Butler haben es ermöglicht, sich wieder dem biologischen Geschlecht zuzuwenden. Judith Butler argumentiert dafür, selbst biologische und körperliche Realitäten nicht als Gegebenheiten anzusehen, statt dessen entsteht z. B. eine Geschlechtsidentität als Resultat sich ständig wiederholender performativer Praktiken. Dieser theoretische Ansatz ist verwandt mit der Perspektive der analytischen Sprachphilosophie und des Pragmatismus, aus der Wolfgang Detel die bedeutungstheoretische Argumentation ergänzt, daß es notwendig und sinnvoll sei, am biologischen Geschlecht als Referenzobjekt und den dazugehörigen Begriffen Frau und Mann festzuhalten. Ein kritischer Umgang mit essentialistischen Begriffen wird in Detels Konzeption dadurch ermöglicht, daß die problematischen Begriffe weitgehend semantisch entleert werden und sich erst in den konkreten kulturellen Zusammenhängen wieder mit Gehalt füllen. Dementsprechend gibt es keine Frau bzw. keinen Mann an sich und keine Konsequenzen, die daraus abgeleitet werden könnten, es gibt nur Frauen und Männer in konkreten kulturellen Zusammenhängen.

Diese Idee kann auf Begabung als Begriff und als Konzept übertragen werden. Folglich sollte Begabung nicht nur deshalb in wissenschaftliche Untersuchungen einbezogen werden, weil sie in der Alltagssprache und in Alltagsvorstellungen fest verankert ist bzw. weil unter einer beträchtlichen Anzahl von Forschern offenbar ein Konsens darüber besteht, daß es sinnvoll ist, sich mit dem Gegenstand Begabung auseinanderzusetzen. Es kann für Begabung auch als notwendiges Referenzobjekt argumentiert werden, ohne daß es nicht möglich ist, in sinnvoller Weise von individuellen Differenzen und ihren Ursachen zu sprechen. Genau darin besteht der Vorteil einer kritischen Begabungsforschung gegenüber der Expertiseforschung, die keine Erklärung für die Frage anbietet, warum alle Menschen unterschiedlich lernen. Indem sich ein semantisch entleerter Begriff von Begabung erst in konkreten kulturellen Zusammenhängen mit Gehalt füllt, erhält die Frage "Begabung — wozu eigentlich?" eine zentrale Bedeutung. Entsprechend sollte die wissenschaftliche Verwendungsweise des Begriffs künftig nicht mehr an abstrakten Validitätskriterien gemessen werden, sondern genau daran, zu welchem Grad die zu einer Begabung gehörigen kulturellen Wertvorstellungen mit reflektiert werden.

 

Jan Hemming (Universität Bremen)

"Musikalische Begabung" —

A Cultural Studies Perspective

This paper addresses the German term Begabung from the perspective of cultural studies. There is no direct translation for Begabung, its meaning is situated in between the English terms giftedness and talent. As opposed to traditional critical theory, cultural studies offer substantially altered dimensions of cultural critique. On the one hand, this results from taking into account the methodologies of discursive analysis and the analytical philosophy of language, on the other hand, much of cultural theory is derived from popular and everyday culture. Both threads of thought shall be taken up and further developed in this paper to address the question, whether it is possible and whether it makes sense to separate Begabung from the realm of traditional (classical) music and to speak of Begabung e. g. for Jazz, Rock and Pop. Therefore, the argumentation does not set out with an abstract definition of Begabung, but with analysing the usage of the term in academic and also in everyday circumstances. At first, Begabung can be identified as an essentialist notion. The problematic political implications resulting from this fact usually lead researchers to focus on the effects of socialisation instead of studying innate gifts. This constellation can also be observed in another domain of cultural studies, gender studies, where the distinction between (biological) sex and (social) gender is one of the basic premises. The notion of gender studies already indicates the restriction on the social elements, and it was only through the work of Judith Butler that it became possible to address the issue of biological sex too. Judith Butler argues that even biological and physical realities ca not be taken for granted; instead, e. g. a sexual identity is the result of continuous performative actions. This theoretical approach is related to the analytical philosophy of language and to pragmatism, and from this perspective, Wolfgang Detel argues for the theoretical significance of the conception of biological sex and the corresponding terms woman and man which are necessary objects of reference. A critical usage of essentialist terms is made possible by what Detel calls semantically emptying these terms. It is only by their application in actual cultural contexts that the terms regain their meaning. Therefore, there is no woman or no man as such, and no consequences that could be derived from these facts alone, there are only women or men in actual cultural contexts.

This idea can also be applied to the notion and the concept of Begabung. Correspondingly, Begabung should not be addressed by academic research simply because it is part of our everyday language and imagination, or even because a significant number of researchers obviously agree on the fact that it makes sense to examine Begabung. It can be argued that Begabung is a necessary object of reference, without which it is not possible to speak of individual differences and their possible roots. This is the major advantage of critical research on Begabung instead of expertise research, which has no explanation for the fact that all humans are different in their learning. However, a semantically emptied notion of Begabung that only gets filled with meaning in actual cultural contexts hints at the fact that the question "Begabung — what for?" becomes crucial in this concept. Therefore, future applications of the term Begabung in contexts of academic research should not be rated by abstract criteria of validity, but by the degree to which the underlying cultural values are also part of the inquiry.

References

Butler, J. (1995). Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Berlin: Berlin Verlag.

Detel, W. (1997). Ein wenig "Sex" muß sein. Zum Problem der Referenz auf die Geschlechter. Deutsche Zeitschrift für Philosophie 45, 63—98.


Françoys Gagné (Université du Québec à Montréal, Canada)

A Differentiated Model Of Giftedness And Talent (DMGT)

(personal notes)

Gagné’s Differentiated Model of Giftedness and Talent (DMGT) proposes a clear distinction between the two most basic concepts in the field of gifted education.

GIFTEDNESS designates the possession and use of untrained and spontaneously expressed superior natural abilities (called aptitudes or gifts), in at least one ability domain, to a degree that places an individual at least among the top 10% of his or her age peers.

TALENT designates the superior mastery of systematically developed abilities (or skills) and knowledge in at least one field of human activity to a degree that places an individual within at least the upper 10% of age peers who are or have been active in that field or fields.

GIFTS (G)

The DMGT proposes four aptitude domains (see Figure 1): intellectual (IG), creative (CG), socioaffective (SG), and sensorimotor (MG). These natural abilities, whose development and level of expression is partially controlled by the individual’s genetic endowment, can be observed in every task children are confronted with in the course of their schooling: for instance, the intellectual abilities needed to learn to read, speak a foreign language, or understand new mathematical concepts, the creative abilities needed to solve many different kinds of problems and produce original work in science, literature and art, the physical abilities involved in sport, music or woodwork, or the social abilities that children use daily in interactions with classmates, teachers, and parents.

High aptitudes or gifts can be observed more easily and directly in young children because environmental influences and systematic learning have exerted their moderating influence in a limited way only. However, they still show themselves in older children and even in adults through the facility and speed with which individuals acquire new skills in any given field of human activity. The easier or faster the learning process, the greater the natural abilities. It is these high natural abilities that some laypersons call "talent" or, more appropriately, "natural talent".

TALENTS (T)

As defined in the DMGT, talents progressively emerge from the transformation of these high aptitudes into the well-trained and systematically developed skills characteristic of a particular field of human activity or performance. These fields can be extremely diverse. Figure 1 shows some of the many talent fields relevant to school-aged youth. A given natural ability can express itself in many different ways, depending on the field of activity adopted by the individual. For example, manual dexterity, as a natural physical ability, can be modeled into the particular skills of a pianist, a painter, or a video-game player. Similarly, intelligence as a natural ability can be modeled into the scientific reasoning of a chemist, the game analysis of a chess player, or the strategic planning of an athlete.

DEVELOPMENTAL PROCESS (LP)

In this model, natural abilities or aptitudes act as the "raw material" or the constituent elements of talents. It follows from this relationship that talent necessarily implies the presence of well above average natural abilities; one cannot be talented without first being gifted. The reverse is not true, however. It is possible for well above average natural abilities to remain simply as gifts, and not to be translated into talents, as is witnessed by the well-known phenomenon of academic underachievement among intellectually gifted children. The process of talent development manifests itself when the child or adolescent engages in systematic learning and practicing; the higher the level of talent sought, the more intensive these three activities will be.

INTRAPERSONAL CATALYSTS (LP)

This process is facilitated (or hindered) by the action of two types of catalysts; intrapersonal and environmental. The intrapersonal catalysts are subdivided into physical and psychological factors, all of them under the partial influence of the genetic endowment. Among the psychological catalysts, motivation and volition play a crucial role in initiating the process of talent development, guiding it and sustaining it through obstacles, boredom, and occasional failure. Self-management gives structure and efficiency to the talent development process, and to other daily activities. Hereditary predispositions to behave in certain ways (temperament), as well as acquired styles of behavior (e.g., traits and disorders), also contribute significantly to support and stimulate, or slow down and even block, talent development.

ENVIRONMENTAL CATALYSTS (EC)

The environment manifests its significant impact in many different ways. The milieu exerts its influence both at a macroscopic level (e. g., geographic, demographic, sociological) and in a more microscopic framework (size of family, personality and parenting style of caregivers, socioeconomic status, and so forth). Many different persons, not only parents and teachers but also siblings and peers, may exert positive or negative influence on the process of talent development. Gifted education programs within or outside the school belong to the category of provisions; they are a more systematic form of intervention to foster or hinder the process of talent development. Finally, significant events (the death of a parent, winning a prize or award, suffering a major accident or illness) can influence markedly the course of talent development.

CHANCE (CH)

Chance could be added as a fifth causal factor associated with the environment; but, strictly speaking, it is a characteristic of some of the elements placed in any of the other four categories (e. g., the "chance" of being born in a particular family; the "chance" of the school in which the child is enrolled deciding to develop a program for gifted/talented students). Chance is also a major causal factor in the determination of the genetic endowment.

PREVALENCE AND LEVELS

Any definition of normative concepts must specify how subjects differ from the norm and what it means in terms of the prevalence of the population subsumed under the label. In the DMGT, the threshold for both the giftedness and talent concepts is placed at the 90th percentile (approximately 1.3 standard deviations above the mean). In other words, those who belong to approximately the top 10% of the relevant reference group in terms of natural ability (for giftedness) or achievement (for talent) may receive the relevant label.

This generous choice of threshold is counterbalanced by a recognition of levels or degrees of giftedness or talent. These comprise five groups. Within the top 10% of "mildly" gifted or talented persons, the DMGT recognizes four progressively more selective subgroups. They are labeled "moderately" (top 1%), "highly" (top 1:1,000), "exceptionally" (top 1:10,000), and "extremely" (top 1:100,000). As in other fields of special education, the nature of the intervention program that a school develops for gifted or talented students should be influenced by the level of the student’s giftedness or talent as well as the domains or fields in which it is sited.

 

Suggested Readings

Gagné, F. (1985). Giftedness and talent: Reexamining a reexamination of the definitions. Gifted Child Quarterly 29, 103—112.

Gagné, F. (1993). Constructs and models pertaining to exceptional human abilities. In K. A. Heller, F. J. Mönks & A. H. Passow (Eds.) International Handbook of Research and Development of Giftedness and Talent (pp. 63—85). Oxford: Pergamon Press.

Gagné, F. (1995). From giftedness to talent: A developmental model and its impact on the language of the field. Roeper Review 18, 103—111.

Gagné, F. (1998). A proposal for subcategories within the gifted or talented populations. Gifted Child Quarterly 42, 87—95.

Gagné, F. (1999a). Is There Any Light at the End of the Tunnel? Journal for the Education of the Gifted 22, 191—234

Gagné, F. (1999b). My convictions about the nature of human abilities, gifts and talents. Journal for the Education of the Gifted 22, 109—136.


Wilfried Gruhn, Andrea Krimm & Catherine Hapke (Staatliche Hochschule für Musik Freiburg)

Die Entwicklung musikalischer Begabung in lernbiologischer und entwicklungspsychologischer Sicht

Ergebnisse einer Langzeitstudie zum musikalischen Lernen von Kleinkindern

Im Rahmen einer Langzeitstudie zum Aufbau musikalischer Repräsentationen wurden drei Gruppen von Kleinkindern im Alter von 0/7 bis 4/9 Jahren/Monaten (1. = 18; 2. = 20; 3. = 12) in ihrem Verhalten innerhalb eines vorgegebenen musikalischen settings beobachtet und mit einer Kontrollgruppe (= 9) verglichen. Methodisch handelt es sich dabei um eine sowohl qualitative als auch quantitative Verhaltensstudie. Das musikalische setting bestand aus der Bereitstellung einer informellen musikalischen Lernumgebung, in der rhythmische und melodische Einheiten wechselnder tonaler und metrischer Struktur dargeboten wurden. Das methodische Vorgehen stützte sich auf neurobiologische Untersuchungen zum Musiklernen.

Die Datenerhebung erfolgte anhand von wöchentlichen Videoaufzeichnungen, die von zwei unabhängigen Beobachtern (interpersonelle Reliabilität = 0,887) auf der Grundlage kriteriengestützter Beobachtungsprotokolle mit insgesamt 58 Skalen zu den Feldern Aufmerksamkeit, Bewegung, Imitation, Audiation, Improvisation und Kreativität ausgewertet wurden. Ergänzt wurden diese Beobachtungen durch regelmäßige Elternberichte anhand eines strukturierten Fragebogens, durch Tagebuchaufzeichnungen und bei entsprechendem Alter auch durch einen standardisierten music aptitude-Test (Gordon: Audie).

Die Auswertung der Daten ergab eine klar erkennbare sequentielle Lernstufenfolge, die im wesentlichen den Aufbau der preparatory audiation Gordons bestätigt, mit einer hochsignifikanten Korrelation zwischen den Bereichen Bewegung (Bewegungsfluß, Bewegungskoordination) und Stimme (Genauigkeit der stimmlichen Wiedergabe von melodischen = 0,91 und rhythmischen = 0,82 Patterns). Ausgehend von der Beobachtung frühkindlichen Lernens sind Fragen nach der Entwicklung und Förderung musikalischer Begabung und ihrer pädagogischen Realisation zu stellen.

 

Wilfried Gruhn, Andrea Krimm & Catherine Hapke (Staatliche Hochschule für Musik Freiburg)

Developmental Music Aptitude From A Neurobiological And Developmental Perspective

In a long-term study on the development of mental representations in music, three groups of small children (age 1 to 5) were observed with respect to their behaviour in a given musical setting, and were compared to control children of the same age from a nursery school. Methods from quantitative and qualitative research were applied. The musical setting focused on informal musical guidance; here, the children were exposed to many rhythm and tonal patterns of various tonal and metric modalities.

Data was collected by two independent judges (interjudge reliability r = .887) based on video observation using a criterion-based observation form consisting of 58 scales referring to the criteria: attention, movement, imitation, audiation, improvisation, and creativity. Additionally, data was collected from parents’ reports and diaries and — wherever possible — from standardised tests (Gordon: Audie).

The data shows a clear, sequential order of stages according to Gordon’s learning theory during preparatory audiation, which in general could be confirmed. With respect to the expected interaction between the different criteria, a highly significant correlation was exhibited only for movement (flow of movement; synchronisation) and voice production (pitch accuracy and rhythmic stability). In light of these findings, questions of the development and promotion of music aptitude will be raised.


Claudia Bullerjahn & Annette Zängle (Universität Hildesheim)

Musikalischer Werdegang und kreativer Prozeß bei jungen Songwritern und Komponisten im populären Bereich

Theoretischer Hintergrund: Musikalische Werdegänge von Songwritern und rockmusikalischer Schaffensprozeß wurden bislang selten in den Blickpunkt der Forschung genommen. Erst kürzlich setzte Weisberg (1999) einen Anfang, indem er den für den Erwerb einer künstlerischen Expertise typischen Verlauf am Beispiel der Songproduktion der Beatles aufzeigte. Deren Exponiertheit gibt den Ergebnissen allerdings exemplarischen Charakter. Eigene Forschungsergebnisse zu jungen Komponierenden im Kunstmusikbereich befassen sich mit deren Motivation und Schaffensprozeß (Bullerjahn, Graebsch & Niemann 1998, Bullerjahn & Graebsch 1999). Diese und frühere Untersuchungen (z. B. Bahle 1947 u. Simonton 1996) machen deutlich, daß Voraussetzungen für das Entstehen von Kompositionen domänenspezifische Fertigkeiten und zielgerichtete, in mehreren Phasen ablaufende Vorarbeiten sind.

Ziele: In explorativer Weise werden die musikalischen Werdegänge und die motivationalen Grundlagen von jungen Komponisten im populären Bereich sowie deren Ideenfindung und Arbeitsweise untersucht.

Methode: 61 Teilnehmer aus den Endausscheidungsrunden von drei Rockmusikwettbewerben (FFN-Local Heroes 1998, Schüler machen Lieder 1998 und John Lennon Talent Award 1999) nahmen an der Untersuchung teil. Die Mehrzahl der Probanden beantwortete einen Fragebogen, der u. a. Fragen zur musikalischen Entwicklung, zum kreativen Prozeß und zur Motivation der Komponierenden beinhaltete. Ergänzend wurde ein Ausschnitt aus dem Freiburger Persönlichkeitsinventar (Fahrenberg, Hampel & Selg 1989) aufgenommen. Zusätzlich konnten mit den Songwritern des John Lennon Talent Awards 17 problemzentrierte Interviews geführt werden, die darüber hinaus auch die Bandarbeit fokussierten. Die Auswertung der qualitativen Daten wurde mit winMAX unterstützt.

Ergebnisse: Die Songwriter unserer Stichprobe wenden sich mit durchschnittlich 15 Jahren deutlich später dem Komponieren zu als wir es aus dem Klassikbereich kennen. Von stilistisch bedingten Ausnahmen abgesehen haben sie sich zu diesem Zeitpunkt bereits zwei bis drei Jahre mit einem Instrument auseinander gesetzt. Neben einem hohen intrinsischen Motivationsniveau sind die Identifikation mit der Band und ihrem Fortkommen treibende Kräfte für das Komponieren.

Beim Hervorbringen und Umsetzen rockmusikalischer Ideen sind die einzelnen Mitglieder einer Band in sehr unterschiedlicher Weise beteiligt. Als Extremfälle finden sich Songwriter, die ihre Band — ganz im klassischen Sinne — nur zur Interpretation ihrer vollständig ausgearbeiteten Arrangements benötigen, und Bands, deren Musikstücke allein in Jam-Sessions entstehen. Der häufigste Fall ist jedoch, daß ein oder zwei Bandmitglieder das kreative Konzept liefern und das Arrangement mit Hilfe der anderen erfolgt. Der Songwriter fungiert hierbei als Coach, der alle Ideen bewertet und integriert. Obwohl das Bedürfnis sich mitzuteilen einen sehr hohen Stellenwert für die Songwriter hat, steht selten ein fertiger Text am Beginn des Schaffensprozesses, sondern musikalische Einfälle. Innerhalb des Schaffensprozesses lassen sich der Theorie entsprechende Phasen ausfindig machen, die jedoch personenspezifische Ausprägung finden. Auch läßt sich der Prozeß nicht als lineare Abfolge dieser Phasen beschreiben, da er vielfach sprunghaft oder zirkulär verläuft.

Schlußfolgerungen: Intrinsische Motivation und "deliberate practice" spielen für die jungen Komponierenden genreunabhängig eine wichtige Rolle. Dagegen kristallisieren sich unterschiedliche Werdegänge heraus, für die sich domänenspezifische Erklärungen anbieten (erlerntes Musikinstrument, Einzelperson vs. Gruppe). So entsteht das rockmusikalische Arrangement vornehmlich im Austausch und in Zusammenarbeit mit dem Bandkollektiv. Der empirische Zugang zur eigentlichen Ideenfindung mit Hilfe von Selbstaussagen bleibt problematisch, da stark vom Reflexionsniveau des Befragten abhängig. Andere methodische Zugriffe in Anlehnung an die Fernexperimente von Bahle (z. B. Aufzeichnung aktueller Gedankengänge beim Komponieren auf Diktiergerät) könnten hierbei Lösungsansätze bieten.

 

Claudia Bullerjahn & Annette Zängle (Universität Hildesheim)

The Creative And Developmental Process Of Young Songwriters And Composers In The Popular Domain

Theoretical background: The musical development of songwriters and the creative process of rock musicians haveuntil now rarely been the focus of research. Weisberg (1999) was the first to tackle this topic when he described the acquisition of artistic expertise and its typical path by analysing the song production of the Beatles. The Beatles’ profile certainly lend the results an exemplary character. Some of our own research results on young composers in the artistic music domain deal with their motivation and creative processes. (Bullerjahn, Graebsch & Niemann 1998, Bullerjahn & Graebsch 1999). This and earlier studies (e. g. Bahle 1947 and Simonton 1996) make it clear that domain specific skills and deliberate preliminary work carried out in many stages are needed in order to compose music.

Aims: The musical development and motivation of young composers of popular music, along with their inspiration and work methods are explored in this study.

Method: 61 competitors from the final rounds of three German rock music competitions (FFN-Local Heroes 1998, Schüler machen Lieder 1998 and John Lennon Talent Award 1999) took part in the study. The majority of the participants filled out a questionnaire, which included questions on musical development, the creative process and the composers’ motivation, amongst others. An extract was also taken from the Freiburger Persönlichkeitsinventar (Fahrenberg, Hampel & Selg 1989). On top of this, 17 problem-centred interviews were carried out with the songwriters from the John Lennon Talent Awards, which clarified the bands’ work further. The qualitative data was evaluated with the help of winMAX.

Results: The songwriters in our survey began composing on average at the age of 15, which is much later than what we know to be average for the classical domain. Apart from a few stylistically limited exceptions, they have between two and three years’ experience with their instruments when starting to compose. Identification with the band and its progress, along with a high intrinsic motivation level, are the driving forces behind composing songs.

The individual members of a band are involved in creating and transposing rock music ideas in very different ways. It is rare to find songwriters who only use their bands to perform complete arrangements, as was the case in classical music. Bands whose musical pieces are only created in jam sessions are also rare. The most common situation is where one or two band members supply the creative concepts, and the others help to arrange them. In this sense, the songwriter functions as a kind of coach who integrates and evaluates the ideas. Although the songwriter’s need to communicate has a high status, there are rarely finished lyrics at the beginning of a creative process, but more often musical ideas. With individual shapings, the theoretical stages can be seen in the creative process of songwriters, but the process cannot be described as a linear succession of these stages because it often runs disjointedly or in circles.

Conclusions: Intrinsic motivation and deliberate practice are important for young composers, regardless of genre. However, various development processes become evident, which can be explained by different domains (learnt musical instrument, individual vs. group). Rock music arrangements are also created mainly using exchange and co-operation within the band. Empirical access to knowledge of inspiration with the help of self-statements remains problematic as it depends heavily on the level of self-awareness of those surveyed. Other methodical access following the long distance experiments by Bahle (e. g. recording thought-processes during composing on a dictating machine) may offer solutions here.

 

References

Bahle, J. (1947). Der musikalische Schaffensprozeß. Psychologie der schöpferischen Erlebnis- und Antriebsformen. [second edition] (= Schöpferisches Menschentum Bd. 1). Konstanz: Paul Christiani (EA 1936).

Bullerjahn, C. & Graebsch, B. (1999). Personality Traits and Motivation Structure of Young Composers: An Empirical Pilot Study. In: M. O. Belardinelli & C. Fiorilli (Eds.) Musical Behavior and Cognition. Comportamento e cognizione musicale (= General Psychology — Psicologia Generale 1999; 3/4) (pp. 299—311), Rom: Edizioni Scientifiche Magi.

Bullerjahn, C.; Graebsch, B. & Niemann, C. (1998). Warum komponieren sie eigentlich? Motivation und Persönlichkeit komponierender Jugendlicher. Lecture given at the 14. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie ªDie musikalische Persönlichkeit/The Musical Personality´ in Dortmund from 4.—6. September 1998.

Fahrenberg, J.; Hampel, R. & Selg, H. (1989). Das Freiburger Persönlichkeitsinventar FPI. Revidierte Fassung FPI-R und teilweise geänderte Fassung FPI-A1. Handanweisung. 5., expanded edition, Göttingen, Toronto & Zürich: Hogrefe.

Simonton, D. K. (1996). Creative Expertise: A Life-Span Developmental Perspective. In: K. A. Ericsson (Ed.) The Road to Excellence. The Acquisition of Expert Performance in the Arts and Sciences, Sports and Games (pp. 227—253), Mahwah, New Jersey: Lawrence Erlbaum Associates, Inc.

Weisberg, R. W. (1999). Creativity and Knowledge: A Challenge to Theories. In: R. J. Sternberg, (Ed.) Handbook of Creativity (pp. 226—250), Cambridge: Cambridge University Press.

 


Heiner Gembris (Martin-Luther-Universität Halle—Wittenberg)

Genügen Begabung und Expertise für eine musikalische Karriere?

Das Absolventenprojekt: Konzeption und Ergebnisse einer Pilotstudie

Hintergrund und Fragestellung: Ausgangspunkt des Projektes ist die Beobachtung, daß InstrumentalistInnen und SängerInnen nach ihrer Ausbildung nur sehr schwer Engagements erhalten und daß es vielen nicht gelingt, eine angemessene musikalische Erwerbstätigkeit zu finden, obwohl sie (gemessen am erreichten Abschluß) über hohe musikalische Qualifikationen verfügen. Das Absolventenprojekt untersucht die Frage, wie die beruflichen Karrieren von AbsolventInnen von Musikhochschulen (InstrumentalistInnen und SängerInnen) weiterverlaufen, wenn sie die Hochschulen verlassen haben. Im Mittelpunkt steht die Phase der Integration in den Arbeitsmarkt in den ersten zwei Jahren nach der Ausbildung. Dabei soll untersucht werden, welche Faktoren zu einem gelungenen Übergang Studium — Berufsleben beitragen und welche ihn behindern. Weitere Fragestellungen beziehen sich u. a. auf den Zusammenhang zwischen Arbeitsmarktentwicklung, Ausbildung und Karriere sowie Unterschiede zwischen AbsolventInnen verschiedener Instrumente und Stimmfächer.

Methoden: Um diese Fragen zu klären, sollen Daten auf drei unterschiedlichen Ebenen erhoben werden:

Ebene der AbsolventInnen: Durch eine Querschnittsuntersuchung (standardisierter Fragebogen) soll untersucht werden, a) wieviele und welche SängerInnen bzw. InstrumentalistInnen ein Engagement finden, b) welche Faktoren dabei eine Rolle spielen, c) wie diese Phase der beruflichen Entwicklung erlebt und bewältigt wird. Als Probanden sollen die AbsolventInnen (Streicher, Bläser, Klavier, Gesang) von fünf Jahrgängen einer mittelgroßen Musikhochschule herangezogen werden.

Ebene der Berufspraxis: Durch themenzentrierte Leitfaden-Interviews mit Arbeitsmarkt-Experten soll herausgefunden werden, welche musikalischen und außermusikalischen Anforderungen in der Praxis an SängerInnen und InstrumentalistInnen gestellt werden. Die zu befragenden Arbeitsmarkt-Experten bestehen aus zwei Gruppen: a) Agenten von öffentlichen und privaten Agenturen, b) Dirigenten und anderen Entscheidungsträger in Orchestern und öffentlichen Theatern.

Ebene der Ausbildung: Durch eine Befragung der DozentInnen (themenzentrierte Leitfaden-Interviews) der o. g. Fächer an derselben Musikhochschule soll untersucht werden, ob und in welcher Weise Probleme der Berufspraxis in der Ausbildung Berücksichtigung finden.

Vorläufige Ergebnisse einer Pilotstudie: Die Projektdurchführung befindet sich gegenwärtig im Anfangsstadium. Bisher wurden zwei explorative Pilotstudien durchgeführt, die den Zweck hatten, die Angemessenheit der Methoden zu erproben und die Hypothesen- bzw. Theoriebildung anzuregen. Über die erste Pilotstudie soll hier berichtet werden; sie konzentriert sich auf die berufliche Integration von SängerInnen und besteht in themenzentrierten Leitfaden-Interviews mit Agenten öffentlicher Agenturen (n = 5), Absolventen (n = 3) und Hochschullehrern (n = 1). Die Interviews wurden nach der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring 1997) ausgewertet.

Die Ergebnisse der Agentur-Interviews bestätigen, daß die Integration in die Berufspraxis, insbesondere bei Sängerinnen, aufgrund der sich seit Jahren kontinuierlich verschlechternden Arbeitsmarktlage immer schwieriger wird. Durch die wachsende Konkurrenz um immer weniger Stellen steigen die Erwartungen an das Niveau der musikalischen Leistungen. Aber nur dann, wenn diese verbunden sind mit einer Reihe von weiteren musikalischen, physischen und psychologischen Eigenschaften, wächst die Wahrscheinlichkeit auf eine erfolgreiche Karriere. Für Opernsängerinnen zählen zu diesen Eigenschaften aus der Sicht von Theateragenten u. a. Ausstrahlung, eine starke Motivation, sich präsentieren zu wollen, Besessenheit für das Theater, gutes Aussehen, physische und psychische Belastbarkeit etc.

Offenbar gründet beruflicher Erfolg von SängerInnen bzw. MusikerInnen auf einer Kombination von Eigenschaften, unter denen hohe musikalische Leistungen als Ergebnis von Begabung und/oder Expertise eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung sind. Eine Schlußfolgerung daraus ist, daß das Begabungs- bzw. Expertise-Konzepte zwar dazu beitragen können, den Grad an musikalischer Leistung zu erklären, nicht aber den Erfolg oder Mißerfolg musikalischer Karrieren.

 

Heiner Gembris (Martin-Luther-Universität Halle—Wittenberg)

Are Talent And Expertise Sufficient For A Musical Career?

The ALUMNI Project: Overall Concept And Results From A Pilot Study

Background and issues: Casual observation reveals that instrumentalists and singers have difficulty obtaining engagements on the current employment market after their training. Many do not succeed in making an adequate livelihood from music despite the fact that they possess high musical qualifications — at least judging from the degrees earned. Our alumni project asks how the professional careers of recent graduates (instrumentalists and singers) proceed once musicians leave the music academies. The focus of this study is the phase of professional integration on the job market within the first years following graduation. The aim is to find out which factors contribute to a successful transition from college to engagement, and which factors hinder this transition. Further aspects of the study pertain to the relation between current trends on the job market, training and career, and possible differences between singers and instrumentalists playing different instruments.

Methods: To address the above questions data has to be gathered at different levels:

The level of the individual graduate: Using a standardised survey we hope to find out a) how many and which musicians find an engagement, b) which factors are involved in this process, and c) how these people experience and cope with the professional development. Subjects are recent graduates of five consecutive classes from a medium-sized music academy.

The level of the job market: through thematically structured interviews with job experts, we intend to assess which musical and extra-musical demands are imposed on the singers and instrumentalists in their professional lives. The targeted job experts consist of two groups: a) agents of public and private placement agencies, and b) conductors and other decision-makers in orchestras and public theatres.

The level of training: Through interviews with relevant teachers at the music academy we will assess if and how problems of future employment and job search are being addressed during training.

Preliminary results from a pilot study: The project is still under way. Two extensive pilot studies have been conducted to date. Those had the goal of trying out the adequacy of the method and helping to formulate the theory and hypotheses. The first pilot study will be reported here. It concerned the professional integration of singers and consisted of focused interviews with agents of public agencies (n = 5), recent graduates (n = 3) and an academy teacher (n = 1). The interviews underwent qualitative content analysis (Mayring 1997).

The results from the agents substantiated the view that, especially for female singers, integration in the job market is becoming increasingly difficult, due to a continually worsening job situation. The expectations regarding musical quality are increasing because of constantly growing competition for the few open positions. However, this is only the case when desired additional musical, physical and psychological properties are present. Agents indicated that these characteristics include for female opera singers among other things charisma, a strong motivation to perform, obsession with the theatre, physical attractiveness and physical and psychological resilience.

Professional success amongst singers and musicians is apparently based on a combination of characteristics where high levels of musical proficiency (a result of talent and/or expertise) are a necessary but insufficient condition. From this it follows that the talent and expertise concepts might well explain levels of musical performance, but not the success of a musical career or the lack thereof.

 

Reference

Mayring, Ph. (1997). Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 6., corrected edition, Weinheim: Deutscher Studienverlag.


Maria B. Spychiger (Université Fribourg, Suisse)

Stellt das Fehlermachen im Instrumental- und Vokallernen ein Lernpotential auf dem Weg zur Expertise dar?

Zwei Umstände regten die kleine, explorative Studie an, die in diesem Papier vorgestellt wird: Einerseits die Beobachtung, daß der Vorgang des Fehlermachens und -korrigierens im Instrumental- und Vokallernen eine hohe Präsenz hat, und andererseits eine neue pädagogische Theorie, die Theorie des ‘negativen’ Wissens (Oser 1994; Minsky 1994; Oser, Hascher & Spychiger 1999). Letztere besagt, daß Fehler in Lernprozessen eine wichtige, bisher unterschätzte Rolle spielen: Durch Fehler lerne man, wie etwas nicht ist (deklarativ) oder nicht getan werden sollte (prozedural). Das so entstandene ‘negative’ Wissen helfe, Richtiges von Falschem zu unterscheiden und bewirke besseres Behalten und zuverlässigere Anwendung des Richtigen. Es sei deshalb wichtig, in Lehr-Lernprozessen den Fehlern und dem Fehlermachen Platz einzuräumen und gute didaktische Strategien im Umgang damit zu entwickeln.

Erstreckt sich der Geltungsbereich dieser Theorie auch auf das Instrumentallernen? Kann sie als Beitrag zur Entwicklung von Expertise aufgenommen werden? Eine kleine Anzahl (n = 5) von Lehrpersonen des Instrumental- und Vokalfachs wurde hinsichtlich ihrer Einschätzungen des Wertes und der Bedeutsamkeit der Theorie des negativen Wissens im Bereich der musikalischen Lehr-Lernprozesse befragt.

Alle Interviewten reagierten sehr positiv auf den didaktischen Aspekt der Theorie. Sie zeigten sich offen für eine Reflexion ihres unterrichtlichen Umgangs mit Fehlern. Die meisten sagten einige Wochen nach dem Interview sogar, daß sie im Anschluß an das Gespräch neue Ideen im Umgang mit Fehlern ausprobierten und die Studierenden gut darauf reagiert hätten. Anders schätzten sie jedoch das durch die Theorie angenommene Lernpotential von Fehlern ein. Ihre Expertenurteile lauteten dahingehend, daß die Lernförderung durch Fehlermachen insbesondere dann nicht eintritt, wenn kinästhetische Elemente im Spiel sind — was bei den meisten Aktivitäten des Instrumental- und Vokallernens der Fall ist. Wenn beispielsweise eine Sequenz auch nur einmal mit einem falschen Fingersatz gespielt wird, muß diese bereits mit entsprechendem Zeitaufwand überlernt werden. Bewegungsbezogenes Lernen hinterläßt offensichtlich sofort eine deutliche neuronale Spur; die Erfahrung des Falschmachens stellt eher ein Hindernis als ein Türöffner zum "so ist es richtig" dar.

In den letzten Jahren findet vor dem Hintergrund des hohen zeitlichen und physischen Aufwand musikalischen Lernens und Übens die Methode des mentalen Trainings viel Beachtung und immer mehr Anhänger: Bis zu 80% Zeit soll eingespart werden können, wenn die Fähigkeit entwickelt wird, im Geiste zu üben. Die für das jeweilige Stück oder die Aufgabe relevanten kinästhetischen (und andere) Kognitionen werden aufgebaut, indem alle technischen Aspekte — Fingersätze, Bogenführung, Körperhaltung usw. — bis zur Fehlerlosigkeit auf mentaler Ebene durchgegangen werden. Der Akt des Ausübens folgt dieser Vorstellung viel mehr als daß er ihr vorangeht. Spezialisten dieser Methode glauben, daß es gerade dies ist, was außerordentliche Talente und Meister der Musik schon immer getan haben (Orloff-Tschekorsky 1998). Dies erinnert an die Theorie der deliberate practice (Ericsson, Krampe & Tesch-Römer 1993) welche die Aussage macht, daß musikalische Expertise kaum eine Frage des Talents, sondern eine des effektiven und effizienten Übens ist. Mentales Training wäre dann eine Form von deliberate practice, die sich u. a. dadurch auszeichnet, daß die Korrektur von Fehlern bereits auf mentaler Ebene erfolgt.

Bezüglich der Theorie des ‘negativen’ Wissens mit ihrem "Lob des Fehlers" wird vorläufig der Schluß gezogen, daß sie mit Vorsicht auf das Instrumentallernen anzuwenden ist; "low-mistake-Praktiken" sind für diesen Lernbereich vorzuziehen.

 

Maria B. Spychiger (Université Fribourg, Suisse)

The Learning Potential Of Making Mistakes In Instrumental And Vocal Practice

Discussion Of A New Theory

The small, explorative study presented here was stimulated by two circumstances: the observation that processes of making and correcting mistakes are highly present in instrumental and vocal learning, and a new pedagogical theory, the so called theory of negative knowledge (Oser 1994; Minsky 1994; Oser, Hascher & Spychiger 1999). This theory assumes that mistakes play an important, up-to-now underestimated role in learning processes. By making mistakes, one would learn how something is not (declarative), and how something is not to be done (procedural), which means that one establishes negative knowledge. The latter helps to differentiate between "correct" and "incorrect", and results in a better memory and safer application of the correct. It follows from this that space and time have to be devoted to making mistakes and to dealing with them in learning and teaching processes.

Does this theory also apply to the domain of instrumental and vocal learning? Can it contribute to the development of expertise? A limited number (n = 5) of instrumental and vocal teachers were personally interviewed as regards their estimation of the value and meaning of this theory in their domain of teaching.

The interviewees were willing to reflect on the topic of mistakes in teaching and reacted positively on the didactic aspect of the theory. Some weeks after the interview most of them even said that they had developed new teaching ways of dealing with mistakes, and that their students showed appreciation for this change. Concerning the theoretical assumption of the basic learning potential of mistakes, however, reservation was expressed by these same experts. They stated that promotion of learning specifically does not take place if kinaesthetic elements are in play — which is the case in almost all activities of the practice of instrumental and vocal learning. For example, a sequence played with the wrong fingering needs to be relearned even if played only once. Movement-related learning obviously immediately leaves a neuronal path; the experience of doing it incorrect is an obstacle rather than a door-opener on the way to the correct.

Since there are extreme time pressures and physical demands in musical learning and practising, we find in recent years increasing attention on and instruction of the method of mental training: it is stated that up to 80% of practice time can be saved if the ability of practising in the mind is developed. The relevant kinaesthetic (and other) cognitions for playing pieces or solving special problems are built up by carrying out all technical aspects — fingering, bowing, posture, etc. —in the mind until mastered, which means without mistakes. The act of playing follows this mental imprint rather than precedes it. Specialists of this method believe it is exactly this which outstanding talents and masters of music, be it knowingly or unknowingly, always did (Orloff-Tschekorsky 1998). This reminds us of the theory of deliberate practice (Ericsson, Krampe & Tesch-Römer 1993), which says that musical expertise is not as much a question of talent as one of effective and efficient practice. Mental training would then be a kind of deliberate practice which carries the characteristic of correcting mistakes on the mental level.

The conclusion is drawn that the theory of negative knowledge can only be applied with caution to the domain of instrumental and vocal learning; "low-mistake practice" is more promising.

 

References

Ericsson, K. A.; Krampe, R. Th. & Tesch-Römer, C. (1993). The Role of Deliberate Practice in the Acquisition of Expert Performance. Psychological Review 100, 363—406.

Minsky, M. (1994). Negative Expertise. International Journal of Expert Systems 7 (1), 13—19.

Orloff-Tschekorsky, T. (1998). Sind die bisherigen Übungsprinzipien ein Irrtum? Schweizer Musikzeitung, 1 (12), 3—7.

Oser, F. (1994). Ist Fehlermachen erlaubt? Zu einer Theorie des gesteuerten Irrtums. In: H. Rothbucher, F. Wurst & R. Donnenberg (Eds.). Grenzen erfahren, Räume schaffen (pp. 26—45). Salzburg:: O. Müller.

Oser, F.; Hascher, T. & Spychiger, M. (1999). Lernen aus Fehlern. Zur Psychologie des ‘negativen’ Wissens. In: W. Althof (Ed.): Fehlerwelten. Vom Fehlermachen und vom Lernen aus Fehlern (pp. 11—41). Opladen: Leske + Budrich.


Reinhard Kopiez (Hochschule für Musik und Theater Hannover)

Intonationsadaptierung an zwei Stimmungssysteme:

Ein Experiment mit zwei Trompetern

Ziele: Wie genau kann sich ein Musiker einem vorgegebenen Stimmungssystem anpassen? Hierzu finden sich in der Literatur sehr unterschiedliche Meinungen, die auf der einen Seite durch die Position markiert sind, ein Spieler verwende eine "irgendwie-Intonation", bei der sich instrumentenspezifische Besonderheiten mit ausdrucksvollen Absichten und intonatorischem Unvermögen des Spielers überlagern, und auf der anderen Seite annehmen, daß z. B. Blechbläser immer im sogenannten "reinen", d. h. schwebungsfreien System intonierten. Die experimentelle Untersuchung der Adaptionsfähigkeit erweist sich als schwierig, da eine Adaption auch von einem vertrauten Kontext und der verwendeten Klangfarbe abhängig ist. Es existieren jedoch keine Intonationsstudien, die die Methode der Bedingungsvariation verwenden.

Methode: Im vorliegenden Experiment wurde deshalb ein "embedded interval paradigm" gewählt, bei dem der Spieler (Trompeter) zu einer dreistimmigen Testkomposition (ein Blechbläserensemble-Stück) die Oberstimme spielte. Die Bedingungsvariation bestand in der Erzeugung von zwei Varianten dieses Begleitsatzes: (a) in temperierter (ET) und (b) in reiner Stimmung (JT). Die Umstimmung der Midi-Datei erfolgte mittels der Software RealTimeTuner. Die Test-Komposition hatte folgende Bedingungen zu erfüllen: eine quasi-neutrale Melodie, eine ermüdungsfreie Lage, eine trompetengerechte Tonart, lange Notendauern zur besseren Intonationskontrolle und eine Modulation zur Überprüfung der Anpassung an ein sich veränderndes tonales Zentrum.

Versuchspersonen: Zwei Trompeter nahmen an der Studie teil. Spieler 1 (Alter = 21 J., Spielerfahrung = 15 J.) war ein Musikstudent mit Hauptfach Trompete und Spieler 2 (Alter = 39 J., Spielerfahrung = 28 J.) ein professioneller Spieler eines Orchesters.

Prozedur: 14 Tage vor Versuchsdurchführung erhielten die Versuchspersonen eine CD mit den Aufnahmen der beiden dreistimmigen Intonationskontexte und einen Ausdruck der Partitur des Stücks. Sie wurden gebeten, Aufzeichnungen über die verwendete Übezeit zu machen. Bei der Versuchsdurchführung wurde jeder der beiden Intonationskontexte fünfmal gespielt. Der Spieler hörte den Kontext über einen offenen Kopfhörer in einer ihm angenehmen Lautstärke (zuerst in ET, dann in JI). Die Solostimme des Spielers wurde mit einem Ansteckmikrophon (Typ Sennheiser E 608) aufgezeichnet. Zur Überprüfung fand abschließend noch ein informeller Intonations-Hörtest statt. Dieser Intonations-Hörtest wurde vollständig richtig beantwortet.

Ergebnisse: Zunächst wurde mit der Software PRAAT eine Tonhöhenanalyse der 21 Töne jedes Durchgangs durchgeführt (Frequenzauflösung = 1,4 c im Bereich des Anfangstons es'' mit 622 Hz). Einschwing- und Ausschwingteil jedes Tons wurden entfernt. Die Datenanalyse erfolgte mit dem GLM-Modul von SPSS (V.9) unter Verwendung der Faktoren Stimmung (2) * Version (5) * Intervall (5) * Spieler (2). Der Faktor "Stimmung" zeigte einen signifikanten Effekt (Hotelling’s T: F (1,32) = 8,5; p = 0,006). Die Anpassung an die gleichschwebende Stimmung gelang mit einer mittleren Abweichung von 4,9 Cent (SE = 0,4) und an die reine Stimmung mit einer Abweichung von 7,5 Cent (SE = 0,5). Der Faktor "Spieler" zeigte keine signifikanten Unterschiede.

Diskussion: Mit diesem Ergebnis lenken wir die Aufmerksamkeit weg von einer Fixierung auf das Instrument und hin auf den Spieler. Unsere Studie zeigt, daß selbst ein so "unvollkommen" intonierbares Instrument wie die Trompete, sehr wohl mit einer mittleren Abweichung von ca. 5 Cent temperiert gespielt werden kann. Hier liegt ein deutlicher Trainingseffekt vor, denn die Anpassung an temperierte Instrumente (wie z. B. das Klavier) wird in der Ausbildung eines Bläsers schon sehr früh geübt. Pointiert formuliert: Nicht die Trompete macht die Musik, sondern der Trompeter — und der ist wie jeder Experte außerordentlich lern- und anpassungsfähig.

 

Reinhard Kopiez (Hochschule für Musik und Theater Hannover)

Adaptation Of Intonation To Two Tuning Systems:

An Experiment With Two Trumpeters

Aims: How exact can a musician adapt himself to a given tuning-system? The literature shows different views: On the one side we find the opinion that a performer uses a "somehow" process of intonation, which results from a mixture between instrument-specific features, expressive intentions, and performance inabilities. On the other side, it is assumed that e. g. brass players always use the so-called just (beatless) intonation. Experimental investigation of adaptational skills is difficult and has to respect the following aspects: the intonational context and its timbre has to be familiar to the player. Additionally we cannot refer to an adequate experimental paradigm because there are no studies using the method of controlled varied condition.

Method: In the reported experiment an "embedded interval paradigm" was chosen. This means the player (a trumpeter) had to play the upper voice to a given three-part test composition (a piece in brass-ensemble style). The method of controlled variation of condition consisted of the generation of two versions of the accompanying part: (a) in equal tempered (ET) and (b) in just intonation (JI). The re-tuning was done by the software RealTimeTuner.

Subjects: Two trumpet players participated: Player 1 (age = 21 years, playing experience = 15 years) was a trumpet student at a music academy and player 2 (age = 39 years, playing experience = 28 years) was a professional trumpeter in an orchestra.

Procedure: Subjects received a practice CD 14 days before the recording session. The CD contained the test-composition in ET and in this particular JI rendition in a 3-part version. Score and solo voice were added as a print out. A short written introduction to the subject’s task was given, and subjects were asked to notate the time used for practising during the 14-day preparation phase. Their main task was to produce a "best fit" to the indicated tunings on CD. The recording procedure took part in each subject’s home. Subjects listened to the 3-part accompaniment (at first in ET, followed by JI) through headphones and played the upper voice. 5 renditions in each tuning system were done. As a control variable and to assess the subjects’ skills of perception, an informal aural test was constructed, consisting of a cadence in 3 tuning systems. Subjects recognised the sequence faultlessly.

Results: Solo voice recordings were sampled onto hard disk (sample rate = 11.025 kHz) and a pitch analysis of each of the 21 notes was calculated, using the software PRAAT with a frequency resolution of 1.4 c in the vicinity of 622 Hz (Eb5). As a first step, data was analysed with a repeated measure general linear model using the factors tuning (2) * version (5) * interval (5) * player (2). The first factor "tuning" showed a significant effect (Hotelling’s T: F (1,32) = 8.5, p = 0.006). ET had a mean overall deviation of 4.9 c with a standard error of 0.4 and JI of 7.5 c with a standard error of 0.5 (see figure 1). Our findings show that the adaptation to ET is significantly better than to JI. The factor "player" showed no significant effect.

Discussion: The result of our study sheds new light on the trumpeter‘s intonational skills. From our point of view the role of the human factor — the professional musician and his skill to compensate for a wide range of imperfections — has been underestimated. In other words: not the trumpet, but the trumpeter makes the music.


Jörg Langner (Humboldt-Universität zu Berlin)

Was kennzeichnet einen "gut gespielten" Rhythmus?

Antworten aufgrund eines Oszillationsmodells

Dank der modernen technischen Möglichkeiten ist es für die Performanceforschung heute kein Problem mehr, die Feinheiten in der Gestaltung eines ausführenden Musikers präzise zu messen. Man erhält dabei große Datenmengen, zum Beispiel über den Lautstärkewert und Einsatzzeitpunkt eines jeden in einem Musikstück gespielten Tones. Probleme ergeben sich dann jedoch bei der Auswertung. Denn es besteht ein eklatanter Mangel an theoretischen Ansätzen, welche es erlauben, solche Datenmengen sinnvoll zu analysieren und insbesondere die entscheidende Frage zu beantworten, welche dieser gestalterischen Feinheiten zu musikalisch überzeugenden ("guten") Interpretationen führen und welche nicht.

Der vorliegende Beitrag skizziert einen Lösungsansatz für diese Frage auf der Basis eines Oszillationsmodells. Hierbei ist die Annahme zugrunde gelegt, daß durch die rhythmische Struktur eines Musikstücks im Hörer ganz spezifische Muster neuronaler Oszillationen (neuronaler periodischer Vorgänge) aktiviert werden. Eine Computersimulation dieses Aktivierungsvorgangs bildet den zentralen Bestandteil des Verfahrens. Als Input hierfür dient die Tonaufnahme des Musikstücks, als Output fungieren die sogenannten "Oszillogramme": Dies sind Grafiken, welche eine vollständige Darstellung der von einem bestimmten Musikstück ausgelösten Oszillationen enthalten. Dabei wird für jeden Zeitpunkt eines Musikstücks angezeigt, welche Frequenz mit welcher Stärke gerade aktiviert ist.

Das Verfahren wurde auf zahlreiche Einspielungen verschiedener einfacher Rhythmen angewendet. Hierbei zeigte sich, (1) daß unterschiedliche Spielweisen desselben Rhythmus zu deutlich unterschiedlichen Oszillationsmustern führen, sich die Lautstärke- und Timingfeinheiten einer Interpretation also prägnant in den Oszillogrammen abzeichnen und (2), daß die musikalisch überzeugenden Interpretationen zumeist mit höheren Gesamtoszillationsstärken und abwechslungsreicheren Oszillogrammen einhergehen als die weniger überzeugenden. Aus (2) konnte eine überprüfbare Hypothese abgeleitet werden: Je höher die Gesamtoszillationsstärke und die Gesamtänderungsstärke (ein Maß für den "Abwechslungsreichtum" eines Oszillogramms), desto positiver wird die zugehörige Interpretation eines Rhythmus von Hörern bewertet.

Zur Überprüfung dieser Hypothese wurden umfangreiche Experimente durchgeführt. Hierbei bewerteten 24 musikalische Experten und 127 Schüler insgesamt 62 verschiedene Einspielungen von 10 verschiedenen Rhythmen nach ihrer musikalischen Qualität. Die Auswertung der Ergebnisse per multipler Regression zeigte, daß sich die durchschnittlichen Bewertungen in hohem Maße aus den Oszillations- und Änderungsstärken erklären lassen: Die Varianzaufklärung beträgt ca. 70%.

Hieraus folgt, daß das Oszillationsmodell ein nützliches Verfahren für die Analyse von Rhythmus-Performances und zur Erklärung von musikalischen Qualitäten solcher Performances bereitstellt.

Die Erklärungen, die aus dem Modell abgeleitet werden, implizieren keineswegs, daß jeweils nur eine optimale Interpretation eines Rhythmus existieren kann. Die Analyse der Einspielungen und der zugehörigen Oszillogramme zeigte im Gegenteil, daß es für die meisten der Rhythmen verschiedene Arten gibt, hohe Oszillations- und Änderungsstärken zu erzielen. Gemäß dem Verfahren existieren also fast immer mehrere gute Lösungen, eine Eigenschaft des Modells, die sich in Übereinstimmung mit der musikalischen Erfahrung befindet.

Zudem lassen sich innerhalb des Verfahrens auch die fraglos vorhandenen individuellen Unterschiede bei den bewertenden Hörern nachbilden: So zeigte sich beispielsweise, daß unter den Schüler-Versuchspersonen die Änderungsstärke zur Erklärung ihrer Urteile in höherem Maße einbezogen werden muß als bei den zumeist älteren Experten. (Die Jüngeren "wollten mehr Abwechslung"!). Das Verfahren ist hinreichend flexibel, Unterschiede dieser Art zu berücksichtigen.

 

 

Jörg Langner (Humboldt-Universität zu Berlin)

Which Properties Characterise A Well Performed Rhythm?

Answers Based On An Oscillation Model.

Thanks to modern technology, it is not a problem for performance researchers to measure very precisely the subtleties in a performer’s shaping of a piece of music. Such measurements result in large amounts of data, for example for the loudness and onset time of each tone played. However, problems emerge when we start to analyse these results, since there is a striking lack of theoretical concepts which would allow us to analyse sensibly such large amounts of data, and in particular to answer the question of which of these subtleties lead to a musically convincing (good) performance.

The present paper sketches a solution to this problem based on an oscillation model. The basic assumption here is that the rhythmic structure of a piece of music activates specific patterns of neural oscillations in the brain of the listener. The central component of the procedure is a computer simulation of this activation process. The audio signal of the music serves as the input for the calculation, and the output is formed by so-called oscillograms, i. e. diagrams which show for each oscillation frequency the corresponding state of activation at each point in time.

The procedure has been applied to numerous performances of different rhythms. These analyses showed (1) that different performances of the same rhythm result in markedly different oscillation patterns, with the subtleties in the shaping of loudness and timing clearly reflected in the oscillograms, and (2) that the musically convincing performances are in the main coupled with a higher overall oscillation intensity and with more varied oscillograms than the not so convincing ones. With (2) it was possible to formulate a verifiable hypothesis: the higher the overall oscillation intensity and the overall intensity of change (a measure for the variety within an oscillogram), the more positively the corresponding performance will be evaluated by listeners.

To check this hypothesis, extensive experiments were undertaken. 24 music experts and 127 school pupils evaluated the musical quality of 62 different performances of 10 different rhythms. A subsequent regression analysis showed that the variance in the mean values of the evaluation can be explained to a degree of about 70% by the two predictor variables, the intensity of oscillation and the intensity of change. From this we can conclude that the oscillation model provides a useful analytical tool for performance research.

The explanations derived from the model do not by any means imply that there is only one optimal performance for each rhythm. Quite the reverse: the analyses show that for most of the rhythms, several different versions exist whereby high values for the oscillation intensity and the intensity of change can be reached. According to the procedure there are always several good solutions nearby. This is a property of the model which corresponds closely to everyday musical experience.

Furthermore, it is possible to model some of the individual differences among the evaluating listeners within the procedure. For example, the intensity of change has to be included to a higher degree for explaining the evaluations of the school pupils than for those of the (older) experts (the teenagers wanted more variety!) The procedure is flexible enough to take such differences into account.


Daina Stepanauskas (Universität Rostock)

Expertise und Persönlichkeitsunterschiede von angehenden Orchestermusikern (Streichern)

Implikationen für die Probespiel- und Ausbildungspraxis

Die Zahl der Bewerber um freie Stellen im Orchester steigt von Jahr zu Jahr. Deshalb ist eine gute Vorbereitung auf das Probespiel eine der wichtigsten Aufgaben im Studium. Je besser die solistische Leistung, desto größer die Chancen, eine gute Stelle im Orchester zu bekommen. Die Mehrzahl der Streicher wird jedoch später im Orchester Tutti-Positionen besetzen und deshalb nicht mehr solistisch gefordert sein. Jahrelanges, oft jahrzehntelanges Streben um solistische Perfektion und daraus resultierende Anerkennung wird abgelöst von täglicher musikalischer Partnerschaft ohne jegliche individuelle Anerkennung. Diese Umstellung wird von den Musikern sehr unterschiedlich erlebt. Einige sind froh, die Belastungen des Studiums und der Probespiele endlich hinter sich lassen zu können, andere vermissen die solistischen Herausforderungen, fühlen ihr Können nicht genügend gewürdigt. Unter Streichern existiert vielfach die Vermutung, daß letztere Probleme häufiger bei Violinisten zu finden sind, weil deren solistische Ambitionen während der Ausbildung am stärksten ausgeprägt waren. Damit entsteht die Frage, ob es diese Unterschiede zwischen Streichern tatsächlich gibt und welchen Einfluß das instrumentale Können, die Expertise der Musiker dabei hat. Unterscheiden sich beste Violinisten von guten Violinisten durch stärkeren Individualismus und/oder unterscheiden sich Violinisten in diesem Merkmal generell z. B. von Kontrabassisten?

Ausgehend von Triandis’ Konzept des Gegensatzes von Individualismus vs. Kollektivismus, entwickelte ich den TICOM-Fragebogen (Test of Individualism and Collectivism in Orchestra Musicians). Dieses Persönlichkeitsinventar testet Persönlichkeitsmerkmale, die eng mit Individualismus (freie Entfaltungsmöglichkeit als unbedingte Grundlage für Glück und Zufriedenheit empfinden) und Kollektivismus (sich als Mitglied einer Gemeinschaft fühlen und diese Mitgliedschaft als Grundlage für Glück und Zufriedenheit empfinden) verbunden sind. Die untersuchte Stichprobe bestand aus 121 Musikstudenten von 12 deutschen Musikhochschulen. Sie wurden entsprechend ihres Instrumentes und ihres Leistungsniveaus in vier Gruppen eingeteilt: "Beste Violinisten", "Gute Violinisten", "Beste Kontrabassisten" und "Gute Kontrabassisten". Die Ergebnisse der TICOM Studie weisen ein durchgängiges Muster auf: Sobald Unterschiede zwischen den untersuchten Gruppen gefunden wurden, zeigte sich in jedem dieser Merkmale ein signifikanter Kompetenzeffekt der Studienteilnehmer. Beste Studenten waren individualistischer als gute Studenten, wobei häufig diese Unterschiede allein durch die Gruppe der besten Violinisten hervorgerufen wurden.

Diese Ergebnisse implizieren für die Probespielpraxis, daß mit alleiniger Testung von solistischen Leistungen zwangsläufig individualistischere Musiker favorisiert werden, wobei der Effekt für die Violinisten größer ist als für die Kontrabassisten. Da es die gruppenorientierteren Musiker ebenso gibt, auch unter den Violinisten, wäre es für die Berufspraxis sinnvoll und notwendig, im Probespielverfahren zusätzlich musikalisch soziale Kompetenz, z. B. durch Quartettblattspiel in der letzten Runde zu testen. So könnten gleichzeitig zwei berufsrelevante Fertigkeiten, wie Blattspiel und musikalische Einpassungsfähigkeit, getestet werden. Würden viele Orchester eine ähnliche Praxis einführen, ergäben sich enorme Möglichkeiten für die Ausbildung: Das Ensemblespiel könnte einen wesentlich größeren Stellenwert erhalten, damit wären zugleich manche Enttäuschungen im späteren Beruf vermeidbar und die Ausbildung könnte wesentlich näher an die Anforderungen der Orchesterpraxis heranrücken.

 

Daina Stepanauskas (Universität Rostock)

Expertise And Personality Differences In String Players And Their Implications For Audition Process And Musical Training

The number of applicants for orchestral positions is rising from year to year. As those musicians who excel in solo performance tend to be selected by orchestras, good preparation for solo audition playing is the most important part of musical training. The majority of successful auditionees fill tutti positions within the orchestra and are hence no longer required to perform solos. Musicians experience this transition from an individualistic to a group role in very different ways. Some are relieved at having successfully mastered the stressful audition period, whereas others have difficulty integrating into their section, miss the challenge of playing solos and feel that their abilities are not sufficiently appreciated. There is a frequent supposition among string players that these latter problems are more frequently found among violinists, because their ambitions to be soloists were nurtured to the highest degree during their training, due to its form and content. Are violinists, then, different from other string players, for instance double-bassists? Or are particularly good musicians, regardless of which instrument they play, more individualistic than their colleagues?

Drawing on Triandis’ concept of individualism vs. collectivism, I developed TICOM (Test of Individualism and Collectivism of Orchestra Musicians), a personality questionnaire for musicians designed to distinguish between individualistic and collectivistic orientations. The study examines personality traits which are closely connected to these two orientations. Here I define individualism as a person’s viewing liberty of self-development and variety of life choices as a basic requirement for personal happiness and satisfaction. Collectivism is then defined as the sense of belonging to a group, and requires membership of this community as the basis for personal happiness and satisfaction. The final sample consist of 121 music students from 12 German music academies. The TICOM study established that the best students (those who showed the best chances of winning an orchestra position) exhibited differences from the other "good" students in personality traits which are closely connected to greater degrees of individualism. Here I must note that these differences were often caused solely by the group of "best violinists".

The implications of these results for the audition process are that more individualistic musicians necessarily have an advantage where only solo playing skills are tested. Moreover, this effect is greater for the violinists than for the double-bassists. But as there are musicians with a more group set of attitudes, among violinists too, it is in fact imperative to test additionally musical social skills, for instance through Quartet Sight-Reading, in the last round. This procedure would test both sight-reading ability and competence in adaptation to the group, which are precisely the abilities required in the everyday working life of an orchestra member. If the majority of orchestras were to take up such a procedure, musical training could be free from the necessity of preparing students for an audition consisting solely of solo playing, and would consequently be able to provide the students with a training more closely resembling the reality of their future orchestra career.


Ludwig Schmid (Hochschule für Musik Würzburg)

Unterricht an einem musischen Gymnasium — eine expertisetheoretische Studie

Fragestellung: Die vorliegende Studie entstand vor dem Hintergrund der Frage, inwiefern der langjährige Besuch eines musischen Gymnasiums mit den Unterrichtsschwerpunkten Musik und Kunsterziehung Prädiktoren für den späteren Berufserfolg liefert.

Methode: Aus expertisetheoretischer Sicht war besonders die während der Schulzeit akkumulierte Übezeit von Interesse. Die methodische Grundlage war eine retrospektive Befragung von Absolventen (n = 21) aus unterschiedlichen Berufsbereichen (musikprofessionell; musikwissenschaftlich; musikverwandt; musikfremd). In dem zu bearbeitenden Fragebogen sollten die Absolventen vor allem hinsichtlich der Stärken und Schwächen der musikalischen Ausbildung sowie der akkumulierten Übezeit im Alter von 5—20 Jahren Auskunft geben.

Ergebnisse: Als Fazit dieser Studie kann festgehalten werden, daß das untersuchte musische Gymnasium durch das vielfältige musikalische Lernangebot (besonders im Ensemblebereich) und die breitgefächerte Allgemeinbildung eine gute Ausbildungsgrundlage für ein Musikstudium, insbesondere ein Musikstudium im pädagogischen Bereich (z. B. Schulmusik), darstellen kann. Verglichen mit der Studie von Ericsson, Krampe & Tesch-Römer (1993) weisen die befragten Absolventen im musikprofessionellen Bereich eine mittlere summierte Gesamtübezeit auf, die ungefähr derjenigen der "good" und "teachers" entspricht — einige Absolventen können im absoluten Spitzenbereich angesiedelt werden. Jedoch besteht bei den befragten Absolventen eine deutliche Differenz zwischen der Gesamtübezeit und der Übezeit auf dem berufsbildenden Instrument. Auch die anderen Berufsbereiche weisen dieses Phänomen auf. Gründe hierfür könnte in den folgenden aufgelisteten Defiziten zu finden sein.

Die Defizite konzentrieren sich vor allem auf den Instrumentalunterricht (Gruppenunterricht): Geringe Anforderungen; wenig Wahlmöglichkeit der Instrumente; zu wenig qualifizierte Instrumentallehrer; große Gruppen; fehlender Kontakt zur Musikhochschule. Diese Mängel spiegeln sich auch im Übeverhalten wieder.

Bei der Analyse hinsichtlich des Ausbildungsbeginns und der akkumulierten Übezeiten traten zwei wesentliche Mängel in Erscheinung: Zum einen herrscht vor allem im musikprofessionellen Bereich eine deutliche Differenz zwischen dem Beginn des ersten Unterrichts und dem Beginn des berufsbildenden Instrumentes, zum anderen besteht eine deutliche Differenz (bes. im musikprofessionellen Bereich) zwischen der summierten mittleren Gesamtübezeit (alle Instrumente) und der summierten mittleren Übezeit auf dem späteren berufsbildenden Instrument.

Diskussion: Basierend auf Erkenntnissen der Expertiseforschung können folgende Bedingungsfaktoren bezüglich der Verbesserung der Ausbildung angeführt werden:

Vor allem müßte die Struktur des Instrumentalunterrichts grundlegend verbessert werden. Durch mehr Flexibilität sollte es in Zukunft möglich sein, Instrumentalisten und Sängern mit überdurchschnittlichen Fertigkeiten im Rahmen eines Stipendiums mindestens eine volle Unterrichtseinheit (= 45 Minuten) zukommen zu lassen.

Es müßte dringend ein engerer Kontakt zur Musikhochschule hergestellt werden. Die Aufnahmeprüfung als Gaststudent sowie Lehrerwechsel generell stellen wesentliche Motivationsfaktoren dar.

Außer der Vorspielmöglichkeit vor der Klasse oder bei Schulkonzerten sollte regelmäßig an Wettbewerben teilgenommen werden. Sie fordern den Schüler auf, seine Übekräfte für dieses Ereignis zu fokussieren.

Damit ein fundierter Unterricht auf der Basis instruktionaler und lerntheoretischer Forschung stattfinden kann, sollten für den Instrumentalunterricht am musischen Gymnasium Lehrer mit möglichst hohem Expertisegrad eingestellt werden.

 

Ludwig Schmid (Hochschule für Musik Würzburg)

Instructions At A German Musical High School —

A Study In The Theory Of Expert’s Reports

Question: This study arose from the question to what extent a long-term attendance of a High School with its main emphasis on music and arts gives indicators for future professional success.

Method: From the point of view of theory from experts’ reports, the main interest lay in the accumulated amount of practice during the period at school. Methodologically, the study bases on a retrospective questioning of former students (n = 21) from different professional fields (professional musical, musicological, related to music, outside music). On the questionnaire these former students were to give information about the strengths and the weaknesses of their musical instruction, as well as on the accumulated time of practice from the age of 5 to 20.

Results: The outcome of the study shows that the investigated High School is able to deliver a good basis for studying music, particularly in the educational sector (e. g. music and school), because of its varied musical options (especially in regard to music ensembles) and its wide general education. Compared to Ericsson Krampe & Tesch-Römer’s study (1993) the people questioned in the professional field of music manifest an average total time of practice when summed up which corresponds to the time of the "good" and the "teachers" — some lie in the top area. However, there is a clear difference among the former students between the total time of practice and the time of practice on their professional instrument. The other professional fields show up the same phenomenon too. Reasons for this might be found in the following deficiencies.

The shortcomings focus particularly on instrumental lessons (in groups): there are low requirements, little opportunity of choice concerning the instruments, not enough qualified instrumental teachers, large groups and a lack of contact to the college of music. These deficiencies are also reflected in the way students practice. Analysing the beginning of the education and the accumulated times of practice, major shortcomings became apparent. Firstly, especially in the professional field of music there is a clear difference between the beginning of the first lessons and the beginning of the instrument which is now professionally played. Secondly, there is an obvious difference (particularly in the professional field of music) between the average total time of practice (summed up) on all instruments and the average time of practice (also summed up) on the instrument which will be played professionally in the future.

Discussion: Basing on the findings of the expert’s report research, we can list the following factors for the improvement of musical education:

Particularly the structure of instrumental lessons should be fundamentally improved. With more flexibility, instrumentalists and singers showing abilities above average should be given the opportunity of having at least one lesson (= 45 minutes) through to a scholarship.

There should be a closer contact to the college of music. The entrance examination as a guest student as well as new teachers in general provide substantial improvement of motivation.

Apart from the opportunity of playing in front of their classes or at school concerts students should regularly participate in competitions. They make the student focus his power of practice on this event.

In order to provide demanding and sound lessons based on instructional research and on psychology of learning, those teachers for the instrumental instructions at music grammar schools should be employed who are highly able to judge the students’ abilities.

 

Reference

Ericsson, K. A.; Krampe, R. T. & Tesch-Römer, C. (1993). The role of deliberate practice in the acquisition of expert performance. Psychological Review 100, 363—406.


Christoph Louven (Fachhochschule Magdeburg)

Auditive Gestaltbildung — Untersuchung der Schemagenerierung im Gehörbildungsunterricht mit Hilfe von Scienceware

 

Musikalische Lernprozesse können als fortlaufender Prozeß der Modifikation, des Ausbaus und der Neugenerierung spezifisch musikalischer kognitiver Schemata beschrieben werden (Louven 1998). Die experimentelle Erfassung derartiger Lernprozesse ist schwierig, erfordert dies doch eine möglichst lückenlose Erfassung der individuellen Vorgehensweise der Probanden. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn auf die ökologisch valide Ausgestaltung der Lernumgebung Wert gelegt wird und es sich um langfristig angelegte, kleinschrittige Lernprozesse handelt.

Das vorzustellende Projekt untersucht die Initiierung, Beobachtung und Modellierung musikalischer Lernprozesse am Beispiel typischer Aufgabenbereiche aus dem Feld der musikalischen Gehörbildung. Schematheoretisch betrachtet setzten derartige Lernprozesse die Modifikation der Variablenstruktur vorhandener musikalischer Stil- und Strukturschemata, den Neuaufbau entsprechender Schemata sowie die Vernetzung mit relevanten Schemata anderer Wissens- und Erfahrungsbereiche voraus. Mit Hilfe einer noch zu entwickelnden Software soll den Probanden eine nach den individuellen Vorerfahrungen frei gestaltbare und nach dem Lernverhalten sich anpassende Lernumgebung zur Verfügung gestellt werden. In Materialauswahl, Lerntempo, Zielrichtung und Lernstrategie vollkommen selbstbestimmt tritt der Lernende hierbei auf verschiedenen Ebenen ordnend, gruppierend und Beziehungen knüpfend dem Pool des vom Programm angebotenen musikalischen Materials des unterschiedlichsten Komplexitätsgrades (Intervalle, Akkorde, Akkordfolgen, Melodien, Rhythmen, längere Musikstücke etc.) entgegen. Zugleich protokolliert das Programm die gewählten Lernstrategien und schafft so die Basis für die Diagnose und theoretische Anbindung der beobachteten Lernprozesse. Um eine hohe ökologische Validität der Untersuchung und eine breite Streuung der Probanden zu gewährleisten, soll die Software auf der Basis einer Scienceware-Lizenzvereinbarung allgemein im Internet zur Verfügung gestellt werden.

 

 

Christoph Louven (Fachhochschule Magdeburg)

How Mental Pictures Of Music Are Formed — Studying The Use Of Patterns In Aural Training With The Help Of Scienceware

Musical learning processes can be described as a continuous process of changing, extending, and developing specifically musical cognitive patterns (Louven 1998). Studying these learning processes in experiments is not easy because the individual method of learning of each tested person has to be described without leaving bigger gaps - if possible without leaving any gaps at all. This has to be done especially if great importance is attached to an ecologically valid organisation of the learning environment, and if the learning processes cover a long period as only small steps are taken at a time.

The project I want to present allows study into how a musical learning process is initiated, how it can be observed, and how patterns are formed. In the project typical tasks are used, taken from the field of musical aural training. According to the theory of patterns, these kinds of learning processes are based on the structural modification of already existing patterns of musical style and structure; on the development of new patterns and on establishing links to relevant patterns from other fields of knowledge and experience. A software program that still has to be developed should help to provide the tested persons with a learning environment in which they can organise themselves and adjust to their individual experience and method of learning. The program will provide the learners with musical material offering various levels of difficulty, such as intervals, chords, sequences of chords, melodies, rhythms, longer pieces of music, and so on. Choosing their material, learning speed, objectives, and learning strategies themselves, the learners working with the program have the opportunity of categorising and grouping the musical material and linking it together. While running, the program will also record the chosen learning strategies and so provide the basis for analysing the observed learning processes and explaining them theoretically. In order to guarantee a high ecological validity as well as a large number of test persons using different learning strategies, the program should be based on a Scienceware license agreement and made available for everybody on the internet.

 

Literature

Louven, Chr. (1998). Die Konstruktion von Musik. Theoretische und experimentelle Studien zu den Prinzipien der musikalischen Kognition, Frankfurt: Lang.


Claudia Spahn, Horst Hildebrandt & Karin Seidenglanz (Universitätsklinikum Freiburg)

Wirksamkeit präventiver Maßnahmen zur Vermeidung musikerspezifischer Gesundheitsprobleme im Musikstudium

Ziel und Fragestellung: Ziel der vorliegenden Studie war es, die Wirksamkeit eines Lehrangebotes zur Prävention von Spiel- und Gesundheitsproblemen bei Musikstudenten an der Musikhochschule Zürich zu untersuchen. Es wurden die Hypothesen aufgestellt, daß sich das Lehrangebot (1) auf die psychische und körperliche Gesundheit der Musikstudenten und (2) auf ihr Zurechtkommen mit den Anforderungen der Arbeit im Studium positiv auswirkt. Weiterhin wurde erfaßt, wie die Teilnehmergruppe die Inhalte des untersuchten Lehrangebotes annahm.

Methodik: Die Untersuchung wurde als Interventionsstudie mit Prä-Post-Vergleichsmessung durchgeführt. Um Zeiteffekte zu kontrollieren, wurde eine nach Alter, Geschlecht, Studiengang, Semesterzahl und Instrument parallelisierte Wartegruppe (Kontrollgruppe) zeitgleich untersucht. Die Interventionsgruppe erhielt während des gesamten Semesters wöchentlich ein Lehrangebot im Fach "Musikphysiologie und Musikermedizin", welches aus einer Doppelstunde Vorlesung und praktischen Übungen zu musikerrelevanten Themen der Gesundheitsvorsorge bestand. Die Studenten der Interventionsgruppe (n = 22) und der Kontrollgruppe (n = 22) wurden in der ersten Semesterwoche, d. h. zu Beginn des Lehrangebotes, und in der letzten Semesterwoche, d. h. nach Abschluß des Lehrangebotes, mittels Fragebogeninstrumenten befragt. An standardisierten Meßinstrumenten wurden die Kieler Änderungssensitive Symptomliste (KASSL, Zielke 1979), die Frankfurter Körperkonzeptskalen (FKKS, Deusinger 1998) und die Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS, Herrmann et al. 1995) eingesetzt. Zudem wurden folgende, auf die spezifische Situation der Musikstudenten zugeschnittene, selbst entwickelte Fragebögen verwendet: Epidemiologischer Fragebogen für Musiker (EPI-Fragebogen, Spahn 1998), Fragebogen zum Zurechtkommen mit der Arbeit als Musiker (HIL-Skala, Hildebrandt 1999), Evaluationsfragebogen zur Akzeptanz des Lehrangebotes (Hildebrandt 1999).

Ergebnisse: Im Prä-Post-Vergleich nahmen die Beschwerden beim Musizieren (EPI-Fragebogen), die allgemeine Symptombelastung sowie die Verstimmungsstörungen (KASSL) und das Angstniveau (HADS) ab, die Gesundheit und das körperliche Befinden (FKKS) sowie das Zurechtkommen mit der Arbeit als Musiker (HIL-Skala) verbesserten sich. Die Hypothesen konnten somit bestätigt werden. Die Inhalte des Lehrangebotes wurden von den Teilnehmern positiv angenommen und beurteilt (Evaluationsfragebogen).

Diskussion: Präventionsprogramme im Musikstudium wurden auf ihre Wirksamkeit bisher nicht wissenschaftlich untersucht, so daß die vorliegende Studie hierzu erste Ansätze liefert. Entsprechend der Intention der Lehrveranstaltung zeigte sich eine Wirkung sowohl im körperlichen als auch im psychischen Bereich. Dies weist auf den engen somatopsychischen Zusammenhang im Erleben der Musikstudenten hin. Das methodische Konzept des Lehrangebotes mit einer starken Verknüpfung von Prävention und Musikpädagogik wird durch die Untersuchungsergebnisse positiv bestätigt. Ein ähnliches methodisches Vorgehen wird auch von anderen Autoren aus ihren Erfahrungen in der Anwendung als erfolgreich beschrieben (Spaulding 1995, Zaza 1994).

Zusammenfassung: Die vorliegende Studie konnte die Wirksamkeit eines präventiven Lehrangebotes für Musikstudenten zeigen und schafft damit eine wissenschaftliche Grundlage für die Relevanz präventiver Maßnahmen im Musikstudium. In weiteren Studien sollte durch katamnestische Erhebungen die Langzeitwirkung der gefundenen Effekte gesichert werden.

 

Claudia Spahn, Horst Hildebrandt & Karin Seidenglanz (Universitätsklinikum Freiburg)

Effectiveness Of Prophylactic Measures During Musical Studies For The Prevention Of Health Problems Typical Among Musicians

Objective: The goal of the present study was the investigation of the effectiveness of a course offered to students at the Zurich Conservatory for the prevention of playing and health problems. It was hypothesised that the course offered would have a positive effect (1) on the psychic and physical health of the music students, and (2) on their ability to cope with the requirements for their work during their studies. The extent to which the participant group accepted the contents of the course investigated was also ascertained.

Methods: The investigation was carried out as an intervention study with comparative pre- and post-measurements. To control the time effects, a control group parallelised according to age, sex, course of study, the number of semesters spent at the Conservatory, and instrument was examined simultaneously. Throughout the semester, the test group was offered a weekly course in "Music Physiology and Performing Arts Medicine", consisting of a double hour combining lectures and practical exercises connected with prophylactic themes relevant to musicians. The students belonging to the test group (n = 22) and the control group (n = 22) were asked to fill in questionnaire instruments during the first week of the semester, i. e., at the beginning of the course, and during the last week of the semester, that is, after the end of the course. The standardised measuring instruments employed were the Kieler Änderungssensitive Symptomliste (KASSL, Zielke 1979), the Frankfurter Körperkonzeptskalen (FKKS, Deusinger 1998), and the Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS, Herrmann et al. 1995). In addition, we used the following original questionnaires tailored to the specific situation of the music students: Epidemiological Questionnaire for Musicians (EPI Questionnaire, Spahn 1998), Questionnaire on Ability to cope with Work as a Musician (HIL-Scale, Hildebrandt 1999), Evaluation Questionnaire on Course Acceptance (Hildebrandt 1999).

Results: In pre-post comparison, symptoms while making music (EPI Questionnaire), general symptom frequency, emotional disturbances (KASSL), and anxiety level (HADS) decreased; health and physical well-being (FKKS) as well as ability to cope with work as a musician (HIL-Scale) were improved. The hypotheses were thus confirmed. The contents of the course were positively received and evaluated by the participants (Evaluation Questionnaire).

Discussion: Prophylactic programs in the framework of musical studies had not yet been scientifically investigated, so that the present study provides a first approach in this area. In accordance with the intention of the course, both physical and psychological effects were demonstrated. This suggests close somatopsychological connections in the subjective experience of music students. The results of the investigation confirm the methodological concept of a course strongly combining prophylaxis and musical pedagogy. Similar methodological procedures have been described as successful by other authors with analogous practical experience (Spaulding 1995, Zaza 1994).

Summary: The present study was able to demonstrate the effectiveness of the offer of a prophylactic course for music students, thus providing a scientific basis for the relevance of prophylactic measures during musical studies. Follow-up studies employing catamnestic measurements ought to establish the long-term duration of the effects ascertained.

 

Literature

Spaulding, C. (1995). Gesundheitsvorsorge im Ausbildungsprogramm von Berufsmusikern. In: Ch. Wagner (Ed.) Medizinische Probleme bei Instrumentalisten: Ursachen und Prävention (pp. 261—270). Laaber: Laaber.

Zaza, C. (1994). Research-based prevention for musicians. Med. Probl. Perf. Art. 13, 160—166.


Daniel Müllensiefen (Universität Hamburg)

Gedächtnisleitungen bei Hintergrundmusik: Zur alltäglichen Relevanz von Irrelevant Speech Effect und Context-dependent Memory

Die vorliegende Studie nähert sich der Frage, wie die physikalische Struktur von Hintergrundmusik gleichzeitige Gedächtnistätigkeiten beeinflußt, aus einer explizit kognitiven Perspektive. Dazu werden zwei in der Gedächtnispsychologie experimentell wie theoretisch gut dokumentierte Ansätze verwendet, innerhalb derer bereits Musik als experimenteller Stimulus eingesetzt wurde.

Der eine dieser Ansätze ist der sogenannte "Irrelevant Speech Effect" (ISE), ein Interferenzeffekt, der zuerst im Rahmen von Alan Baddeleys Modell des Arbeitsgedächtnisses (bzw. des Moduls der phonologischen Schleife innerhalb dieses Modells) beschrieben wurde. Der ISE bezeichnet in erster Linie eine Beeinträchtigung bei kurzfristigen Behaltensleistungen durch gleichzeitig dargebotene Sprache im Hintergrund. In den letzten zehn Jahren sind darüber hinaus eine Reihe von Experimenten durchgeführt worden, die musikalische Stimuli und auch "echte" Musik als Hintergrundreiz verwendeten. Bei echter Musik scheint die Artikulation der Musik, d. h. deren deutliche zeitlich-spektrale Segmentierung, das entscheidende Kriterium für ihre beeinträchtigende Wirkung auf das Gedächtnis zu sein (das sogenannte changing-state Kriterium von Dylan Jones).

Der zweite kognitive Ansatz ist das sogenannte "Context-dependent Memory" (CDM). Das CDM beschreibt generell das Phänomen, daß Gedächtnisinhalte besser erinnert werden, wenn externer oder interner Kontext der Versuchspersonen beim Lernen und Erinnern übereinstimmen. Auch innerhalb dieses Paradigmas haben einige Studien in den letzten zehn Jahren zeigen können, daß Musik als Kontext Erinnerungsleistungen beeinflussen kann. Die entscheidende Variable scheint hierbei das Tempo der Hintergrundmusik zu sein.

Die zentrale Anliegen diese Experiments ist nicht nur, die beiden genannten Effekte zu reproduzieren, sondern diese in einem einzigen Design zu erzeugen, das als Feldexperiment einer alltäglichen Lernsituation sehr viel näher kommt als die typischen psychologischen Laborexperimente.

Teilnehmer des Versuchs waren 279 Gymnasialschüler, denen verschiedene manipulierte Versionen eines Klavierpräludiums von J. S. Bach im Hintergrund zum Hören gegeben wurden, während sie in einer Lern- und einer Wiedergabephase einfache deutsche Wörter sich einprägen bzw. wiedergeben mußten.

Die unabhängigen Variablen des Experiments stellten Parameter der physikalischen Struktur der Hintergrundmusik dar und zwar gemäß der oben beschriebenen Theorien die Artikulation und das Tempo. Die abhängige Variable war die Anzahl der richtig erinnerten Wörter.

Zur Auswertung wurden die Daten ein- und zweifaktoriellen ANOVAs sowie mit verschiedenen, über einen Fragebogen erhobenen Kontrollvariablen auch einer multiplen Regressionsanalyse unterworfen.

Beeinträchtigungen beim Einsatz der stark segmentierten Version der Hintergrundmusik sowie bei der Nichtübereinstimmung der beiden Versionen in Lern- und Testphase wurden erwartet.

Im Ergebnis zeigten sich jedoch nur äußerst geringe Unterschiede zwischen allen Versuchsgruppen, die zum größten Teil nicht signifikant waren und zudem den Hypothesen entgegen standen. Die detaillierteren statistischen Analysen ließen dagegen Hinweise auf den Einfluß von musikalischen Präferenzen und den Einsatz von Mnemotechniken erkennen.

Eine Interpretation der Ergebnisse legt den Schluß nahe, daß sowohl ISE wie CDM in alltäglichen Lernsituationen nur einen geringen Einfluß auf Gedächtnisleistungen haben bzw. von anderen Faktoren (musikalische Präferenzen, Mnemotechniken etc.) überdeckt werden.

 

 

Daniel Müllensiefen (Universität Hamburg)

Exploring The Effects Of Background Music On Memory: On The Role Of Irrelevant Speech Effect And Context-dependent Memory

This study approaches from a cognitive perspective the question of how the physical structure of background music affects ongoing memory processes. Thus, two theoretically and empirically well-developed concepts from the psychology of memory are employed. Over the last few years, music proved to be a useful background stimulus in these two approaches.

One of the concepts is the so-called "Irrelevant Speech Effect" (ISE), an effect of interference that has been described first within the working memory model of Alan Baddeley. The ISE is first of all characterised as an impairment in short-term memory tasks, due to simultaneous background speech. But in the last ten years, a handful of experiments have been conducted that used musical stimuli and even "real" music as background material. With real music, the articulation of the music (that is to say, its degree of spectro-temporal segmentation) seems to be the decisive factor for its detrimental impact on memory. This factor was named the "changing-state" feature by the Dylan Jones.

The second cognitive approach used for this study is the so-called "context-dependent memory" (CDM). Generally speaking, the term CDM describes the phenomenon that memory contents are remembered better if external and/or internal contexts for learning and retrieval match. Also within the realm of this paradigm, in the last ten years some studies showed that music as context can affect retrieval performance. The critical variable with music appears to be musical tempo.

The primary aim of this study is not only to produce the aforementioned effects, but also to detect them within a single experimental design that is much closer to an everyday learning situation than the usual psychological laboratory experiment.

279 German school children participated in the experiment. Differently manipulated versions of a piano praeludium by J. S. Bach were played in the background while subjects were told first to commit simple German words to memory and later to retrieve them.

Independent variables in this experiment were the parameters of the physical structure of the music. According to the above mentioned theories, these parameters were musical articulation and tempo. The number of correctly remembered words was measured as dependent variable.

One- and two-way ANOVAs were conducted on the data along with a multiple regression analysis that took some additional variables into account, which were controlled over a questionnaire. Impairments of memory performance due to the employment of the clearly segmented version of the music and due to the mismatch of context in learning- and retrieval phase were expected.

Contradicting these expectations, only very small differences were found between the results of the different experimental groups. Furthermore, the few significant results turned out to be inconsistent with the hypothesis.

Detailed statistical analysis indicated that musical preferences and the employment of mnemonic strategies might have served as influential factors in the experiment.

These results lead to the conclusion that ISE as well as CDM are of relatively little importance for memory performance in everyday learning situations and that they may be overridden by others factors like musical preferences, the use of memory.


Holger Hodeige, Jens Kramer & Claudia Bullerjahn (Universität Hildesheim)

Der Einfluß der Persönlichkeitsstruktur auf Rezeption und Akzeptanz von komplexer Avantgardemusik

Eine experimentelle Studie an Studentinnen und Studenten der Universität Hildesheim

Ziel der Studie: In dem von Berlyne (1971; 1974) formulierten Ansatz der Neuen Experimentellen Ästhetik wird angenommen, daß sogenannte "kollative Variablen" wie Komplexität oder Neuheit eine zentrale Rolle in der ästhetischen Urteilsbildung spielen. Von diesem Ansatz aus untersuchten Niketta (1986; 1991) oder North & Hargreaves (1996; 1997) die Zusammenhänge zwischen dem Erregungspotential von Musik unterschiedlicher Komplexität und der jeweiligen Präferenz der Rezipienten. In der hier vorgestellten Studie sollte der Frage nachgegangen werden, ob bei der Urteilsbildung über komplexe Musik aus dem Bereich der (ehemaligen) künstlerischen Avantgarde neben dem momentanen Erregungszustand auch Persönlichkeitsmerkmale, insbesondere die Merkmale Offenheit und Dogmatismus eine wichtige Rolle spielen. Ebenso sollte hinterfragt werden, inwieweit die eigene musikalische Sozialisation und das Vorhandensein kreativer Interessen die Toleranz oder das Interesse für solche schwer zugänglichen musikalischen Idiome beeinflussen.

Methode: 51 weiblichen und 26 männlichen Testpersonen, alle Studierende der Universität Hildesheim in unterschiedlichen Fachrichtungen, wurde ein erster Fragebogen vorgelegt, der neben generellen Informationen zu Person, musikalischer Sozialisation und künstlerischen Interessen die Merkmale "Offenheit" und "Dogmatismus" abfragte. Nach Ausfüllen dieses ersten Fragebogens wurden den Testpersonen fünf Musikbeispiele unterschiedlicher Komplexität von je 1’:30’’ Dauer aus dem Bereich Free Jazz bzw. dem Grenzbereich zwischen Free Jazz und europäischer Avantgardemusik vorgespielt. Die Ausschnitte wurden so gewählt, daß sie jeweils typisch waren für den Komplexitätsgrad, den sie repräsentierten. Um Gewöhnungseffekte zu vermeiden, wurden sie nicht nach Grad der Komplexität geordnet und in rotierter Reihenfolge wiedergegeben. Den Testpersonen lag während des Hörens ein zweiter Fragebogen vor, auf dem sie ihre Eindrücke hinsichtlich musikalischer Charakteristika und persönlicher Einschätzung auf 9 bipolaren Bewertungsskalen notierten.

Ergebnisse: Die Bewertung der Musikbeispiele korrelierte negativ mit der Dogmatismusskala; ebenso korrelierte die Bewertung positiv mit der Offenheitsskala. In beiden Fällen rückte der Korrelationskoeffizient r allerdings nur in die Nähe einer statistischen Signifikanz. Statistische Signifikanzen ergaben sich bei der Korrelation der Bewertung mit der Offenheitsskala für die Vpn mit niedrigerem Offenheitswert (Beispiel 1, niedriger Komplexitätsgrad: r = 0,726 / p = 0,01; Beispiel 3, mittlerer Komplexitätsgrad: r = 0,582 / p = 0,05; Beispiel 5, höchster Komplexitätsgrad: keine Signifikanz mehr, aber r = 0,335); die Korrelation der Skalen für künstlerische Interessen und persönliche Bewertung zeigte Signifikanzen für Beispiel 1 (r = 0,302 / p = 0,01) und Beispiel 4 (r = 0,263 / p = 0,05). Musikalische Vorbildung und eigenes Instrumentalspiel korrelierte nicht signifikant mit der Bewertung der Beispiele; eine Tendenz war nicht feststellbar. Alle Korrelationen wurden nach Spearman gerechnet.

Diskussion: Tendenziell scheint auch die Persönlichkeitsstruktur der Rezipienten bestimmend zu sein für die ästhetische Urteilsbildung. Personen, die in dogmatischen Kategorien denken und wenig kreative Interessen haben, begegnen unvertrauter Musik uninteressiert bis ablehnend, wohingegen eher offene Personen mit kreativen Interessen versuchen, ein adäquates Urteil abzugeben. Die Signifikanzen für die Vpn mit niedrigem Offenheitswert lassen sich eventuell als Nebeneffekt der Testsituation interpretieren. Die Resultate legen die Frage nahe, inwieweit dogmatisch denkende Testpersonen die vertrauten Strukturen innerhalb der von ihnen bevorzugten Musik (überwiegend aus dem Rock/Popbereich) zur Bestätigung ihres dogmatischen Musikbegriffes benötigen.

 

Holger Hodeige, Jens Kramer & Claudia Bullerjahn (Universität Hildesheim)

Personality Traits And Their Influence On The Perception And Liking For Complex Avant-Garde Music

An Experimental Study With Students Of The University Of Hildesheim

 

Aim of the study: According to Berlyne’s theory of the ‘New Experimental Aesthetics’ (1971; 1974), the ‘collative variables’, i. e. complexity or newness, are very important for the aesthetical valuation. Based on this assumption Niketta (1986; 1991) or North & Hargreaves (1996; 1997) studied the coherence between the arousal potential of music of different complexity levels and the preferences of the audience. The study under consideration focuses on the question, whether personality traits, especially ‘open-mindedness’ and ‘dogmatism’, have an important influence on the perception of (former) avant-garde music. A second topic of the study was to see how far the listener’s musical experience and interest in creative activities are important for perception or "liking" of these demanding musical styles.

Method: 51 female and 26 male students of the University of Hildesheim were presented with a first questionnaire, which contained a personality test focusing on the personality traits ‘open-mindedness’ and ‘dogmatism’, besides asking for general information about i. e. age and sex, musical experience, musical preferences and personal interests. After the subjects had completed this questionnaire, five Free Jazz or avant-garde music samples were played to them. The samples were of 1’:30’’ length each and typical for the complexity level they represented. To avoid order effects, the samples were presented in five different orders. The subjects were asked to give their ratings concerning musical characteristics and liking on a second questionnaire consisting of nine bipolar rating scales.

Results: The ratings for the liking of the samples showed a negative correlation to the dogmatism-scale. On the other hand, there was a positive correlation between the ratings and the open-mindedness-scale, but the coefficient for both correlations came only near a statistic significance. However, the correlation of the ratings for liking with the open-mindedness-scale for the subjects with a low open-mindedness-score showed a significance (sample 1, low complexity level: r = 0.726 / p = 0.01; sample 3, middle complexity level: r = 0.582 / p = 0.05; sample 5, high complexity level: no significance, r = 0.335). The correlation of the scale for artistic interests and the rating-scale for liking showed a significance for sample 1 (r = 0,302 / p = 0.01) and sample 4 (r = 0.263 / p = 0.05). The correlation of the scales for musical training and experience with the rating scales did not show any significance; a tendency towards a significance was not observed. All correlations were computed after Spearman.

Discussion: The personality traits of the subjects seemed at least partly to be important for their aesthetical judgement. Subjects who tended to think more dogmatically and who had low interest in creative activities gave a more negative rating for this unfamiliar kind of music than the subjects who tended to be more open-minded and had a pronounced interest in creative activities. The significant values for the subjects with a low open-mindedness-score may be interpreted by side-effects of the test-situation. Following these results it could be asked how far subjects with a tendency towards dogmatism need the familiar musical structures of the preferred rock or pop music for maintaining their dogmatic understanding of music.

 

References

Berlyne, D. E. (1971). Aesthetics and psychobiology. New York: Appleton-Century-Crofts.

Berlyne, D. E. (Ed.) (1974). Studies in the new experimental aesthetics: steps towards an objective psychology of aesthetic appreciation. New York: Halsted Press.

Niketta, R. (1986). Selbstaufmerksamkeit und Erleben von Rockmusik unterschiedlicher Komplexität. In. K.-E. Behne, G. Kleinen & H. de la Motte-Haber (Eds.) Musikpsychologie. Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie. Vol. 3 • 1986 (pp. 153—175). Wilhelmshaven: Florian Noetzel Verlag..

Niketta, R. (1991). Was ist prototypische Rockmusik? Zum Zusammenhang zwischen Prototypikalität, Komplexität und ästhetischem Urteil. In. K.-E. Behne, G. Kleinen & H. de la Motte-Haber (Eds.) Musikpsychologie. Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie. Vol. 7 • 1990 (pp. 35—60). Wilhelmshaven: Florian Noetzel Verlag.

North, A. C. & Hargreaves, D. J. (1996). Responses to music in a dining area. Journal of Applied Social Psychology 26, 491—501.

North, A. C. & Hargreaves, D. J. (1997). Experimental aesthetics and everyday music listening. In: D. J. Hargreaves & A. C. North (Eds.) The Social Psychology of Music (pp. 84—103). Oxford, New York & Tokyo: Oxford University Press.


Holger Schramm & Peter Vorderer (Hochschule für Musik und Theater Hannover)

Dimensionen selektiver Musikrezeption

Das DFG-Projekt "Musikselektion: Explorative und experimentelle Untersuchungen situativer und individueller Einflüsse auf die Auswahl von Musik" (Projektbeginn: 1. Mai 2000) hat zum Ziel, in einer Reihe von aufeinander aufbauenden Studien relevante Faktoren in Musikselektionsprozessen qualitativ und quantitativ zu untersuchen. Es werden dabei sowohl situative, soziale und personenspezifische Komponenten wie auch Merkmale der Musik unter Berücksichtigung des jeweiligen Musikgenres betrachtet.

Das Primärziel der ersten Studienphase liegt in der qualitativen Erforschung und Beschreibung von wesentlichen Dimensionen der Musikselektion und ihrer Vernetzung. Die Schwierigkeit bei der Erforschung von Musikselektionsprozessen besteht darin, daß sie den Befragten unter Umständen nicht unmittelbar und vollständig bewußt sind. Aus diesem Grund wurde auf die Methode des problemzentrierten Leitfaden-Interviews zurückgegriffen, bei dem der Forscher zwar mit einem theoretischen Konzept ins Feld geht, wobei aber die Dominanz der Konzeptgenerierung durch die Interviewten erhalten bleibt. Deduktion (theoretisch) und Induktion (empirisch) gehen somit Hand in Hand (vgl. Lamnek 1995, S. 78).

Grundlage für die Interviews war ein Leitfaden mit den Dimensionen "Musikgeschmack/Musikpräferenz", "Musikalische Fähigkeiten und Aktivitäten", "Musiksozialisation", "Bedeutung von Musik", "Musik und Lebensstil/Musik und Image", "Musikrezeption/Musikhörer-Typ", "Erwartungen an/Wirkungen von Musik", "Musikrezeption/-selektion und individuelle Situationen" und "Musikrezeption/-selektion und soziale Situationen". Soziodemographische Merkmale und die generelle Nutzung und Beschaffung von Musik wurden mittels eines standardisierten Kurzfragebogens am Ende des Interviews ermittelt.

Die Stichprobe bestand aus 20 Personen ab 18 Jahren. Es wurde darauf geachtet, daß die Stichprobe bezüglich der Einflußgrößen "Alter", "formale Bildung" und "Geschlecht" eine angemessene Streuung aufweist. Als zusätzliches Auswahlkriterium wurde die "Bedeutung von Musik" für die Personen herangezogen, um möglichst verschiedene Musikhörer- bzw. Musikselektionstypen zu erfassen.

Über diesen Weg wurde eine recht heterogene Stichprobe rekrutiert. Die 20 Interviews wurden von vier Interviewern durchgeführt, per Aufnahmegerät mitgeschnitten und dauerten im Durchschnitt ca. 50 Minuten.

Die Interviews wurden transkribiert und mit ATLAS.ti, einer Software für die Bearbeitung, Visualisierung und Analyse von qualitativen Daten, weiterverarbeitet und ausgewertet. Der Vortrag wird die Methode (Datenerhebung und Datenverarbeitung) und die Ergebnisse dieser ersten Studienphase zum Gegenstand haben. Dabei werden Einzelfälle beschrieben, Typen konstruiert und die Vernetzung der verschiedenen Selektionsdimensionen, die dem Leitfaden zugrunde lagen und die sich auf Basis der Auswertung als relevant herausstellten, dargestellt.

 

Holger Schramm & Peter Vorderer (Hochschule für Musik und Theater Hannover)

Dimensions Of Selective Music Reception

The DFG-project "Music selection: Explorative and experimental studies of situational and individual effects on choosing music" (start on May 1st) includes qualitative and quantitative studies of factors which are relevant for music selection processes. The study deals with situational, social, and personal components, as well as with characteristics of different music genres.

The focus of the first study phase was to explore and describe the main dimensions of music selection and their connection in a qualitative way. Researching music selection processes presents difficulties because people are usually not even aware of them. Therefore qualitative semi-structured interviews were used in this study. The interviews were based on the researcher’s theoretical background, while allowing the generation of new ideas and concepts from the answers given by the interviewees, thereby combining (theoretical) deduction with (empirical) induction (cp. Lamnek, 1995, p. 78).

The interviews were based on a guiding, semi-structured questionnaire including the dimensions "music taste, music preference", "musical skills and activities", "music socialisation", "importance of music", "music and lifestyle/music and image", "music reception/type of music listener", "expectations on/effects of music", "music reception/selection and individual situations", and "music reception/selection and social situations". A short questionnaire at the end of the qualitative interview contained questions on sociodemographics, and the general use and availability of music.

The sample consisted of 20 persons, aged 18 years and older. To explore the different types of music listeners, care was taken to select a wide variety of people with regard to gender, age, education, and their relationship to music. So the sample was fairly heterogeneous, offering adequate variance of music reception and selection types.

A total of 20 interviews were completed and recorded by four interviewers, with an average duration of 50 minutes. The transcribed interviews were edited and analysed with ATLAS.ti, a software for editing, visualising, and analysing qualitative data.

The presentation will convey methods of gathering, editing, and analysing data together with the results of this first study. Descriptions of individual cases, construction of music reception and selection types, and the connection between different dimensions of music selection - revealed as relevant - will be presented.

 

References

Lamnek, S. (1995). Qualitative Sozialforschung. Band 2: Methoden und Techniken (3., corrected edition). Weinheim: Beltz & Psychologie Verlags Union.