DIE LEX AQUILIA ^

Die lex Aquilia war vor allem die Quelle des Schadenersatzrechtes bei Sachbeschädigung und Sachzerstörung im alten Rom.

Nach röm. Überlieferung gilt 286 v. Chr. als Entstehungsjahr der lex Aquilia. Sie soll im Gefolge einer secessio plebis auf Antrag des Volkstribuns Aquilius als Plebiszit erlassen worden sein. Plebiscita wurden wegen ihrer gesetzesgleichen Wirkung oft als leges bezeichnet - und leges wurden stets nach ihren Antragstellern benannt. Neuere Untersuchungen der römischen Wirtschaftsgeschichte stellen indessen ein späteres Entstehungsdatum (zw. 209 und 195 v. Chr.) zu Diskussion.

Die lex Aquilia veränderte das Schadenersatzrecht der 12 Tafeln, die für eine Reihe von Sachbeschädigungen feste Bußsätze vorgesehen hatten (zB 150 As für eine ossis fractura [Knochenbruch] eines Sklaven). Die Verwundung eines Sklaven wurde in dieser Epoche noch nicht als Sachbeschädigung sondern als Körperverletzung gesehen.

Die bis zum Ende der Klassik entstandenen Quellenschicht zur lex Aquilia dient als Hauptgrundlage der späteren kontinentaleuropäischen Rechtsentwicklung zum Schadenersatz.

Gesetzesgrundlage des Schadenersatzrechts waren das 1. und 3. Kapitel der lex Aquilia; von ihnen ist folgender Wortlaut überliefert:

1. Kapitel:

Si quis servum servamve alienum alienamve quadrupedemve pecudem iniuria occiderit, quanti id in eo anno plurimi fuit, tantum aes dare domino damnas esto.

Wenn jemand durch INIURIA OCCIDERE den Tod eines fremden Sklaven oder einer fremden Sklavin oder eines vierfüßigen Herdentieres bewirkt hat, dann soll er verurteilt sein, dem Eigentümer soviel Geld zu geben, wie diese Sache in diesem Jahr am meisten wert gewesen ist.

3. Kapitel:

Si quis alteri damnum faxit (= fecerit), quod usserit fregerit ruperit iniuria, quanti ea res erit in diebus triginta proximis, tantum aes domino dare damnas esto.

Wenn jemand einem anderen durch INIURIA URERE (brennen), INIURIA FRANGERE (brechen) oder INIURIA RUMPERE (reißen, verwunden) einen Schaden zugefügt hat, dann soll er verpflichtet sein, dem Eigentümer soviel Geld zu geben, wie diese Angelegenheit in den nächsten dreißig Tagen wert sein wird.

Das erste Kapitel der lex Aquilia befaßt sich mit dem occidere (Erschlagen) fremder Sklaven und vierfüßiger Herdentiere. Als Sanktion sah die lex die Zahlung einer Buße an den geschädigten Eigentümer vor, und zwar in Höhe des Höchstwertes, den die Sache während des letzten Jahres hatte. Das dritte Kapitel der lex Aquilia schütze alle Vermögensgüter gegen einen fremden Eingriff in Form von urere (Brennen), frangere (Brechen) oder rumpere (Verstümmeln, Verwunden). Hier wurde die Buße bei Zerstörung der Sache nach dem Höchstwert der Sache, bzw bei Beschädigungen, die nicht zum Untergang führten, nach der maximalen Wertminderung innerhalb von 30 Tagen berechnet.

Verlust von Ladegut (T Ü)

Si ex plostro lapis ceciderit et quid ruperit vel fregerit, Aquliliae actione plostrarium teneri placet, si male composuit lapides et ideo lapsi sunt.

Sachverhalt:

Der Fuhrmann F transportiert Steine auf einem Lastwagen.Ein Stein fällt hinunter, da F die Steine schlecht gelagert hat und zerbricht eine Sache des X.

Rechtsfrage:

Welche Ansprüche kann X gegen den F geltend machen?

Erörterung:

In Betracht kommt bei diesem Fall eine Haftung aus dem 3.Kapitel der lex Aquilia. Die Haftung nach der lex Aquilia wird prinzipiell in 4 Etappen geprüft:

  1. Tatbestandsmäßigkeit
  2. Als erstes ist zu prüfen, ob eine vom 1. oder vom 3. Kapitel erfaßte Schädigung vorliegt:

    Die Haftung aus dem 3. Kapitel der lex Aquilia setzt ein urere, frangere oder rumpere voraus:

    Zur Tatbestandsmäßigkeit gehört auch die Prüfung der Kausalität (condicio sine qua non - notwendige Bedingung). Darunter versteht man die Verursachung des Schadens durch das Verhalten des Schädigers. Gefragt wird zuerst, ob das Verhalten des Schädigers condicio sine qua non der Schädigung gewesen ist. (Die Prüfung läuft über einen Gegentest: denkt man sich das in Frage stehende Handeln weg und entfällt der Schadenserfolg, so ist das Handeln kausal für den Schaden)

    In unserem Fall ist das Handeln - das Schlecht-Lagern der Steine - kausal für den Schaden/den Erfolg (zerbrechen der Sache des X).

  3. Rechtswidrigkeit
  4. (Iniuria im objektiven Sinn)

    Rechtswidrig verhält sich, wer gegen Rechtsnormen verstößt (Kurzformel: Die Tatbestandsmäßigkeit indiziert die Rechtswidrigkeit).

    Die Rechtswidrigkeit des Eingriffs kann aber durch Rechtsfertigungsgründe wie Notwehr oder Notstand ausgeschlossen werden. Weitere Unrechtsausschließungsgründe waren etwa die Ermächtigung der Rechtsordnung zur Tötung des fur manifestus (der auf frischer Tat ergriffene Dieb wurde mit einer Tracht Prügel bedacht und dem bestohlenen zur Tötung oder Arbeitsleistung zugesprochen) oder die Einwilligung des Verletzten (volenti non fit iniuria).

    In unserem Fall kommen keine Rechtfertigungsgründe oder Unrechtsausschließungsgründe in Betracht.

    Ergo: Tatbestandsmäßigkeit indiziert die Rechtswidrigkeit

  5. Verschulden
  6. (Iniuria im subjektiven Sinn)

    Den Schädiger trifft Verschulden, wenn ihm sein rechtswidriges Verhalten vorwerfbar ist. Vorwerfbarkeit setzt voraus, daß der Schädiger die Möglichkeit hat, den Schaden durch eine andere Verhaltensweise zu verhindern.

    Man unterscheidet zwei Verschuldensgrade:

    In unserem Fall hat der Fuhrmann die plichtgemäße Sorgfalt (DILIGENTIA) außer Acht gelassen.

    Dabei wird das Verhalten des Täters - Fuhrmann - mit dem Verhalten eines diligens pater familias (Inbegrifff eines korrekt handelnden, anständigen Römers) gemessen

    Bei der Verschuldensfrage muß weiters geprüft werden, ob ein Schuldausschließungsgrund vorliegt (Unzurechnungsfähigkeit, Handeln auf Befehl eines Gewalthabers). Ist ein Schuldausschließungsgrund gegeben, so haftet der Schädiger nicht.

    In unserem Fall kein Schuldausschließungsgrund, daher haftet der Fuhrmann.

  7. Höhe des Anspruches
  8. Der Geschädigte ist grundsätzlich so zu stellen, als ob ihm kein Nachteil zugefügt worden und kein Vorteil entgangen wäre. Ersetzt wird der konkrete Vermögensschaden (damnum emergens); weiters gibt es Ersatz für den konkret nachweisbar entgangenen Gewinn (lucrum cessans).

    Kein Ersatz wird jedoch für die ideellen Schäden (Schmerzensgeld, Wert der besonderen Vorliebe) geleistet.

    In unserem Fall hat der Fuhrmann F dem X die zerbrochene Sache zu ersetzen.

Ulpianus libro octavo decimo ad edictum:

Die vergiftete Sklavin

Item si obstetrix medicamentum dederit et inde mulier perierit, Labeo distinguit, ut, si quidem suis manibus supposuit, videatur occidisse; sin vero dedit, ut sibi mulier offerret, in factum actionem dandam. Quae sententia vera est; magis enim causam mortis praestitit quam occidit.

Wenn eine Hebamme einer Frau ein Medikament gegeben hat und diese infolgedessen gestorben ist, so unterscheidet Labeo, daß dies als occidere anzusehen sei, wenn die Hebamme das Medikament eigenhändig eingeflößt habe. Wenn sie es jedoch der Frau gegeben habe, damit diese es selbst einnehme, so sei eine actio in factum gegeben. Diese Ansicht ist richtig. Sie hat nämlich eher eine Todesursache gesetzt als getötet.

Sachverhalt:

Eine Hebamme hat einer Frau (Sklavin) ein Medikament gegeben, die Frau ist daraufhin gestorben.

Rechtsfrage:

Kann der Eigentümer der Sklavin die Hebamme mit der actio legis Aquiliae klagen?

Erklärung:

Labeo differenziert den Sachverhalt:

Ulpian schließt sich der Auffassung Labeos an.

Begründung:

Nach dem des 1. Kapitel der lex Aquilia haftet der Täter für iniuria occidere einer fremden Sklavin dem Eigentümer für den Höchstwert des vergangenen Jahres.

  1. Occidere wird von den römischen Juristen in diesem Zusammenhang restriktiv ausgelegt. Sie verstehen darunter nicht wie der allgemeine Sprachgebrauch jedes Töten, sondern nur Tötung durch unmittelbare körperliche Einwirkung des Täters auf das Opfer. Manche Juristen scheinen außer der direkten Einwirkung auch Gewaltanwendung zu fordern. Labeo begnügt sich mit eigenhändigem Eingeben des Giftes, gewaltsamen Einflößen ist für die Qualifikation der Handlung als occidere nicht erforderlich.
  2. Schon in der republikanischen Jurisprudenz gewährt der Prätor actiones in factum gegen den Täter, der den Tod des Sklaven nur mittelbar herbeigeführt hat, etwa wenn jemand ein Pferd zum Scheuen bringt und dieses den Reiter abwirft. Celsus generalisiert solche Verhaltensweisen als mortis causam praestare, d.h. Setzen einer Todesursache anders als durch occidere. Ulpian zieht diese Formel als Begründung der Entscheidung Labeos für den Fall heran, daß die von der Hebamme behandelte Frau das von dieser bereitgestellte Gift selbst einnimmt.

  3. Voraussetzung der Haftung ist in beiden Fällen iniuria, d.h. ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten der Hebamme. Rechtswidrigkeit ist bei Tötung einer fremden Sklavin ohne weiteres anzunehmen, sofern kein spezieller Rechtfertigungsgrund (Notwehr, Notstand,...) vorliegt.
  4. Verschulden liegt vor, wenn die Hebamme entweder in Tötungsabsicht (dolus) oder Fahrlässig gehandelt hat. Fahrlässigkeit (culpa) ist die Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt. Diese wird nach einem objektiven Maßstab (typische Kenntnis eines Arztes, einer Hebamme,...) beurteilt. Die Hebamme wird also auch, wenn sie irrtümlich Gift statt eines Medikamentes gegeben hat, wegen fahrlässiger Tötung haften. Allfällige Schuldausschließungsgründe werden vom Text nicht nahegelegt.

  5. Mit der actio in factum wird der Kläger (Eigentümer) ebenso wie mit der actio legis Aquiliae den Höchstwert der Sklavin im vergangenen Jahr erhalten. Darüber hinaus sprechen die Juristen dem Kläger den Ersatz bestimmter Folgeschäden zu, vielleicht sogar letztlich das gesamte Interesse, d.h. die Vermögensdifferenz, die durch die Tat beim Kläger aufgetreten ist.

Referat von Anna Theresa Peterka (e-mail).