I-12: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 24. Februar 2011, 15:48 Uhr

Wie es dazu kam, dass ein von Mensch und Tier getretener Schädel aufgelesen wurde, worauf er wundersame Zeichen kundtat und gegenwärtigen Lohn erteilte
SNKBT 30: 25-26, Bohner 1934: 81-82, Nakamura 1997: 123-124

Dōtō 道登, ein buddhistischer Gelehrter[1] aus [dem koreanischen Reich] Goguryeo[2], war Mönch (shamon 沙門) im Gangō-Tempel 元興寺.

In [der Provinz] Yamashiro 山背 verließ er das Haus der Ema,[3] um im zweiten Jahr der Taika 大化-Periode, [einem Jahr des] Feuerpferds (丙午), die Uji-Brücke (宇治) zu errichten (營).[4] Unterwegs (entdeckte er) in einem Tal der Nara-Berge einen Schädel, der von Menschen und Tieren getreten wurde. Der Dharma-Lehrer (法師) bedauerte dies und befahl seinem Gefolgsmann (從者) Maro 萬侶, [den Schädel] auf einen Baum zu legen.

Im zwölften Monat desselben Jahres, am letzten Abend [des Jahres] (晦), kam ein Mann zum Tempeltor und sprach: „Ich möchte Maro treffen, den Gefolgsmann des ehrwürdigen (大德) Dōtō.“ Maro kam heraus, um ihn zu treffen. Der Mann sprach zu ihm: „Als ich des Ehrwürdigen Mitleid erhielt, erlangte ich des Friedens Glück. Doch bin ich nicht im Stande, Euch Dankbarkeit zu erweisen (報恩), außer heute Abend.“

Daraufhin ging er mit Maro zu seinem Haus, dessen Läden geschlossen waren, und begab sich ins Innere des Hauses. Dort gab es Speis und Trank in großer Menge.[5] Er nahm davon den Anteil der für ihn bestimmten Opferspeisen (饌)[6] und aß sie zusammen mit Maro. Gegen Ende der Nacht [hörten sie] die Stimme eines Mannes und er sagte zu Maro: „Der Bruder, der mich tötete, ist auf den Weg hierher. Mach rasch, dass du fortkommst.“[7] Verwundert befragte ihn Maro. Er antwortete: „Einst war ich zusammen mit meinem Bruder auf einer Handelsreise. Nachdem ich etwa 40 kin[8] Silber erworben hatte, tötete mich mein Bruder aus Eifersucht und beanspruchte das Silber für sich. Von da an, über viele Jahre hinweg, traten alle vorbeikommenden Menschen und Tiere meinen Kopf. Weil der Ehrwürdige Erbarmen mit mir hatte und befahl, mich vom Leid zu erlösen, vergaß ich nicht auf deine Wohltat (恩). Heute Abend habe ich sie [mit Dank] vergolten (報).“[9]

Da kamen die Mutter [des Verstorbenen] und ihr ältester Sohn ins Haus, um die Seelengeister (moromoro no mitama 諸靈) zu ehren, entdeckten Maro und fragten erschrocken, was er hier zu suchen hätte. Daraufhin berichtete Maro über das zuvor Geschehene. Die Mutter beschuldigte den ältesten Sohn: „Ah! Mein liebstes Kind wurde von dir ermordet! Es waren doch keine Räuber.“ Maro aber dankte sie, indem sie ihm noch mehr zu essen und zu trinken gab. Maro kam zurück und berichtete die Angelegenheit seinem Meister.

Ja, wenn sich sogar das Gebein eines Toten auf diese Weise erkenntlich zeigt, wie viel mehr dann ein Lebender! Wie könnte man Dankbarkeit (恩) je vergessen!



  1. 學生 Nach B/N/I ein koreanischer Mönch; nach G ein japanischer, der in Korea studierte. Nach N, jemand der auf einer staatlichen Universität buddhistische Schriften oder chinesische Klassiker studierte.
  2. 高麗 (jap. Kōrai, I: Koma) steht verkürzt für Goguryeo 高句麗
  3. 惠滿 B, N: Ema, I: Eman („wohl ein Mönch“);
  4. Nach G segnete er die Brücke; nach B/I baute er sie gerade; nach N nur dasselbe Jahr, in dem er sie gebaut hatte
  5. Es gibt hier Unterschiede zwischen B/N: Bei B bereitet der Mann/oder der Verstorbene die Speise vor, bei N ist die Speise bereits fertiggestellt als sie im Hause antreffen.
  6. Nach Nihon Kokugo Daijiten Synonym für soneamono 供え物 (Opfergabe). Bei B und N generell Speise, bei G Opferspeise.
  7. I: hayaku sare; N: „Go away quickly“; B: „Ich muss jetzt gehen.“
  8. Ein kin 斤 = etwa 500g
  9. Zu ergänzen wäre wohl: „Daraufhin verschwand er.“ Als die beiden kommen, ist er wohl schon weg, wird aber nicht erwähnt. Vielleicht möchte der Autor aber auch andeuten, dass nur Maro den Geist sehen kann. In der Version im Konjaku monogatari-shū ist dies und anderes (nach B) eindeutiger und ausführlicher.


Hintergrund

  • Zeit: vielleicht 646, später: letzter Tag des Jahres
  • Ort: Naraberge 奈良山; Haus des Ermordeten nahe dem (alten) Gangō-ji 元興寺 (Asuka)
  • Personen: Mönch Dōtō 道登, sein Gefolgsmann Maro 萬侶, Geist des Verstorbenen sowie Mutter und älterer Bruder des Verstorbenen

Ursache und Wirkung

Mann rettet Schädel vorm Zertrampeln durch Tier und Mensch, Geist des Verstorbenen zeigt sich der guten Tat erkenntlich und übt Vergeltung aus.

Anmerkungen

Herkunft des Dōtō

Nach B bezieht sich Yamashiro und Haus der/des Ema(n) auf den Ausgangspunkt von Dōtōs Reise; außerdem weist B darauf hin, dass in einer späteren Parallelgeschichte im Konjaku monogatarishū jemand aus Uji gemeint ist, bei dem Dōtō wohnte; nach G die japanische Familie des Mönchs; N übersetzt ebenso, merkt aber an, dass dies nicht eindeutig so sei. Diese Stelle kommt beinahe wörtlich in der Inschrift vor, und meint dort offenbar die Herkunft Dōtōs. Wenn dem So wäre, ist aber wiederum die erste Angabe, Gelehrter aus Korea (Koma), schwer zu erklären, es denn, dies bezieht sich auf die Herkunft der Familie. Offenbar ist allerdings keine Familie dieses Namens bekannt. Dagegen taucht der Name in der Biographie des Mönchs Dōshō auf, und zwar als dessen chinesischer Lehrer (Wikipedia (ja.), 23.2.2011).

Brückenbau

Die Hintergrundgeschichte von Dōtō und der Brücke ist auch auf einer Stein-Inschrift überliefert, die sich früher wohl bei der erwähnten Uji-Brücke befand, und aus der Kyōkai einige Abschnitte z.T. wörtlich übernahm (allerdings hauptsächlich Biographisches, was vermutlich anderswo genauso zu finden war). Obwohl die Inschrift ausdrücklich auf Ursache (Dōtō errichtet die Brücke) und Wirkung (er erreicht „das andere Ufer“) bezogen ist und sich daher für Kyōkais Geschichten geradezu anbietet, geht er nach den einleitenden Worten nicht mehr näher darauf ein und konzentriert die Geschichte stattdessen ganz auf Dōtōs Gefolgsmann und den Geist des Ermordeten.

Karma

Der Titel erwähnt nur den Dank des Toten, der Schluss hingegen den Dank der Toten und Lebenden, wie es auch in der Geschichte vorkommt: Zuerst wird er vom Geist des Toten verköstigt, weil er dessen Schädel einen Dienst erwiesen hat. Daraufhin ein weiteres Mal von der Mutter, weil er ihr vom Schicksal ihres Sohnes erzählte.

Parallelerzählung

III-27 ist eine Variante dieser Geschichte: jemand findet gegen Ende des zwölften Monats einen Schädel, hilft ihm (er entfernt Bambussprossen aus seinen Augenhöhlen und gibt ihm 餉 zu essen), worauf ihm dieser später als Lebender erscheint, ihm die Umstände seines Todes schildert (vom Onkel ermordet) und ihn für den letzten Tag dieses Monats (晦) in sein Haus einlädt, da er sich nur an diesem einen Abend bedanken kann. Dort wird der Mann zuerst vom Geist des Verstorbenen verköstigt (mit 饌) und, nachdem die Familienangehörigen angekommen sind und er ihnen die Geschichte erzählt hat, auch von diesen (mit 飲食).

Totengedenken

Das Fest, an dem der Verstorbenen gedacht wird (in beiden Geschichten kommt die Familie, um deren Seelen zu verehren: 為拜諸靈) und diese wiederkehren können (wobei in III-27 zumindest der Schädel auch kurz vorher schon lebendig erscheint), fand damals offenbar am letzten Tag (晦) des zwölften Monats statt, also zu Jahresende, und nicht wie heute zu Obon im Sommer. Jedenfalls ein Fest, für das man sich auch privat vorbereitete: In III-27 ist der Mann unterwegs, um für das Fest einzukaufen (為買正月物). Ob das Fest zu Neujahr und das zum Totengedenken ein Fest waren oder zwei verschiedene zum selben Zeitpunkt?

Die Einführung des Buddhismus brachte nicht nur neue Bräuche und Zeremonien mit sich, sondern ließ die bereits existierende schintoistischen Bräuche und Rituale mit der buddhistischen Tradition verschmelzen, indem sie diesen neue Bedeutung zuschrieb. Ein gutes Beispiel wäre Ōharae 大祓, ein Ritual, das ursprünglich zum Purifizieren der religiösen Verunreinigungen kegare 穢れ diente. Eine weitere Veränderung erfolgte in der Wahrnehmung von den Verstorbenen, die früher als einer der Gründe für kegare 穢れ, religiöse Verunreinigung, verstanden wurde. Mit der Einführung von Buddhismus gewannen auch die Verstorbenen eine neue Bedeutung – sie wurden nur nicht ausschließlich die Quellen der Verunreinigung kegare 穢れ, sondern auch zu Objekten der Verehrung. Die Verehrung von Verstorbenen oder, besser gesagt, Rettung ihrer Überreste, die als Träger der Seelen funktionieren, wird in dieser Geschichte (sowie in der Geschichte III-27) als gute Tat verstanden and es erfolgt die karmische Vergeltung. (Nakamura 1997:46,47)

In den beiden Erzählungen, I-12 und III-27, gilt der Schädel als Träger der Seele des Verstorbenen. Es übereinstimmt mit der damaligen Überzeugung, dass die Knochen auch nach dem das Fleisch verfault und der Leichnam verbrannt wird, Träger der Seele des Verstorbenen bleiben. Aus diesem Grund wurden die Überreste der Knochen auch nach der Kremation der Leiche vergraben. Bei dem Vergleich von wunderbaren Erzählungen über die Seelen der Verstorbenen mit den Erzählungen von dem buddhistischen Geist oder dem dharma-Wesen erfährt man interessante Parallele. Ähnlich wie die Knochen die Träger der Seele des Verstorbenen sind, verkörpern die heilige Schriften und Skulpturen den Buddha. (Nakamura 1997:83,89)

Spätere Versionen

Materialien


Artikel erstellt von Patrick Suchy 18:20, 8. Okt. 2010 (CEST).