Vorlesungs­verzeichnis

Masterseminar NdL: Architekturdiskurse in der Literatur zwischen den Weltkriegen

100231 SE 2022S

Ansicht in u:find »

Moodle

Vortragende:

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Inhalt
Literatur und Architektur können als analoge, ästhetisch und methodisch verschränkte Wissensordnungen verstanden werden. Architektonische Konstruktionen sind Dispositive im Sinne Foucaults: Sie lenken die Wahrnehmung, steuern die Handlungen und das Verhalten ihrer Betrachter und Benutzer und prägen ihre Erinnerungen wie ihre Vorstellungskraft. In der Zeit der klassischen oder zweiten Moderne, mit der sich unser Seminar beschäftigt, werden allerdings traditionelle Funktionen der Architektur in literarischen Texten in Frage gestellt. Die Bedeutungen etablierter architektonischer Symbolkomplexe (u.a. Haus, Zimmer, Stadt, Schloss, Labyrinth, Turm, Brücke, Tür, Fenster, Balkon) werden unterminiert. Architektur kann ihre stabilisierende Aufgabe als handlungsstrukturierende Instanz im Sinn eines identitätsstiftenden Organisationsprinzips und Ordnungssystems nicht mehr erfüllen. Besonders die im architektonischen Ensemble der modernen Großstädte sich manifestierenden dynamischen Lebenswelten, die durch Reizüberflutung, Anonymität, Verelendung, Kriminalität, aber auch durch die Zerstreuungen der Massenkultur, ihre medial erzeugten Phantasmen wie ihre vielfältigen Freiheitsversprechen gekennzeichnet sind, spornen die literarische Einbildungskraft und Reflexionsfähigkeit an.

Ziele

Anhand ausgewählter erzählender und essayistischer, fiktionaler und faktualer Texte aus der Zwischenkriegszeit (von Benjamin, Döblin, Kafka, Keun, Kracauer, Musil, Roth, von Harbou u.a.) wollen wir im Seminar folgende Fragen diskutieren:
- Wie strukturieren umbaute Räume die Handlung bzw. Argumentation der Texte?
- Welche metaphorischen Funktionen haben architektonische Motive?
- Inwiefern wird Architektur selbst zum Akteur?
- Wie spiegeln sich Figuren, ihre Persönlichkeit, ihre Lebenshaltung in Architektur?
- Welche Rolle kommt der Architektur und ihrer Semiotik bei der sozialen Verortung der Figuren zu?
- In welcher Form kann Architektur als ‚umbaute Zeit‘ Erinnerung und Gedächtnis speichern?
- Welche Angstvisionen und Sehnsuchtspotentiale entfalten literarisch dargestellte Architekturen?

Primärtexte

1. Franz Kafka: Das Schloss (1922/1926)
2. Franz Kafka: Der Bau (1923-24/1928)
3. Thea von Harbou: Metropolis (1926)
4. Siegfried Kracauer: Straßen in Berlin und anderswo (1925-1933)
5. Robert Musil: Die Amsel (1928/1936)
6. Joseph Roth: Hotel Savoy (1929)
7. Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz (1929)
8. Irmgard Keun: Das kunstseidene Mädchen (1932)
9. Walter Benjamin: Städtebilder: Neapel (1925), Moskau (1927), Marseille (1929)
10. Walter Benjamin: Berliner Kindheit um 1900 (1932-1938)

Methode

Das Seminar soll – sofern möglich – ausschließlich im Präsenzunterricht abgehalten werden.
1-2 Referent*innen erarbeiten für die einzelnen Sitzungen elektronisch zu verschickende Thesenpapiere und vier Leitfragen. Die Referent*innen halten Impulsreferate, die insgesamt nicht länger als 30 Minuten dauern sollen. Aufteilung des Plenums in vier Gruppen, die jeweils eine Frage diskutieren (20 Min.). Vorstellung der Diskussionsergebnisse der Gruppen, Plenumsdiskussion. Impulse sollen in die schriftliche Seminararbeit einfließen. Ziele: Textnähe, Aktivierung der Studierenden.

 

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

- Abhaltung eines Impulsreferats inkl. PPP; im Anschluss Diskussionsleitung
- Erstellung eines Handouts und von 4 Leitfragen für die Diskussion
- Teilnahme an den Diskussionen in allen Einheiten
- Seminararbeit im Umfang von mindestens 25 Seiten Haupttext, Abgabe bis spätesten 15. 9. 2022 in gedruckter und elektronischer Form.
Schriftliche Beiträge aller Lehrveranstaltungstypen der SPL 10 können einer automatischen Plagiatsprüfung unterzogen werden; dazu zählen insbesondere Arbeiten der Pro-, Bachelor- und Masterseminarstufe, aber auch Lehrveranstaltungsprüfungen (z.B. Vorlesungsprüfung) und Teilprüfungen (z.B. Zwischentest, 'Hausübungen').

 

Literatur

• Gaston Bachelard: Poetik des Raumes. Aus dem Französischen von Kurt Leonhard. Frankfurt/M. 1987.
• Sabina Becker: Urbanität und Moderne. Studien zur Großstadtwahrnehmung in der deutschen Literatur 1900-1930. St. Ingbert 1993.
• Andreas Beyer, Ralf Simon, Martino Stierli (Hg.): Zwischen Architektur und literarischer Imagination. München: Fink 2013.
• Michael Bienert: Die eingebildete Metropole. Berlin im Feuilleton der Weimarer Republik. Stuttgart 1992.
• Heinz Brüggemann: Architekturen des Augenblicks. Raum-Bilder und Bild-Räume einer urbanen Moderne in Literatur, Kunst und Architektur des 20. Jahrhunderts. Hannover 2002 (= Kultur und Gesellschaft. Hg. von Heinz Brüggemann und Wolfgang Lenk; Bd. 4).
• Michel Foucault: Andere Räume. In: ders.: Botschaften der Macht. Der Foucault Reader Diskurs und Medien. Hg. Von Jan Engelmann. Stuttgart 1999, S. 145-157.
• Anja Gerigk: Architektur liest Literatur. Intermediale Diachronien vom 19. ins 20. Jahrhundert. Würzburg 2014.
• Achim Hahn: Architekturtheorie. Konstanz 2008.
• Karin Harrasser, Roland Innerhofer (Hg.): Bauformen der Imagination. Ausschnitte einer Kulturgeschichte der architektonischen Phantasie. Wien 2006.
• Susanne Hauser, Christa Kamleithner, Roland Meyer (Hg.): Architekturwissen. Grundlagentexte aus den Kulturwissenschaften. Bd. 1: Zur Ästhetik des sozialen Raumes. Bielefeld 2011.
• Roland Innerhofer: Architektur aus Sprache. Korrespondenzen zwischen Literatur und Baukunst 1890-1930. Berlin 2019.
• Robert Krause, Evi Zemanek (Hg.): Text-Architekturen. Die Baukunst der Literatur. Berlin, Boston: de Gruyter 2014 (= linguae & litterae 38).
• Juri M. Lotman: Die Struktur literarischer Texte. München 1972.
• Ákos Moravánszky (Hg.): Architekturtheorie im 20. Jahrhundert. Eine kritische Anthologie. Unter Mitarbeit von Katalin M. Gyöngy. Wien, New York 2003.
• Winfried Nerdinger (Hg.): Architektur wie sie im Buche steht. Fiktive Bauten und Städte in der Literatur. Salzburg 2006.
• Irene Nierhaus: Arch [hoch] 6. Raum, Geschlecht, Architektur. Wien 1999.
• Jörg Sader, Anette Wörner (Hg.): Überschreitungen. Dialoge zwischen Literatur- und Theaterwissenschaft, Architektur und Bildender Kunst. Festschrift für Leonhard M. Fiedler zum 60. Geburtstag. Würzburg 2002.
• Klaus R. Scherpe (Hg.): Die Unwirklichkeit der Städte. Großstadtdarstellungen zwischen Moderne und Postmoderne. Reinbek bei Hamburg 1988.
• Detlev Schöttker: Architektur als Literatur. Zu Geschichte und Theorie eines ästhetischen Dispositivs. In: Urs Meyer, Roberto Simanowski, Christoph Zeller (Hg.): Transmedialität. Zur Ästhetik paraliterarischer Verfahren. Göttingen 2006, S. 131-151.
• David Spurr: Architecture and Modern Literature. Ann Arbor 2012.
• Christian W. Thomsen: LiterArchitektur. Wechselwirkungen zwischen Architektur, Literatur und Kunst im 20. Jahrhundert. Köln 1989.

 

Prüfungsstoff

Prüfungsimmanente Lehrveranstaltung

 

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

Prüfungsimmanente Lehrveranstaltungen aus dem Angebot der SPL10 sind grundsätzlich anwesenheitspflichtig.

- Aktive Teilnahme an sämtlichen Sitzungen durch Fragen und Diskussionsbeiträge

- Handout: effizient und konzise aufbereitete Informationen, klare Struktur, Auswahl markanter, aussagekräftiger Zitate

- Leitfragen: Relevante, offene Fragen, Bevorzugung kontroverser Fragestellungen

- Umsichtige Diskussionsleitung, die Impulse setzt, ohne die Diskussion rigide zu steuern.

Beurteilungskriterien für die Seminararbeiten:

Forschungsstand
- Reflektierte Kenntnis des Forschungsstands
- Angemessenheit der Auswahl der zitierten Literatur
- Wissenschaftlichkeit der Quellen (Lexika, Monographien, Aufsätze etc.)
- Konsistente Einbettung in den aktuellen Forschungsstand

Theorie und Methode
- Präzisierung von Fragestellung(en), Ziel(en) und/oder Hypothese(n)
- Klarheit und Nachvollziehbarkeit der Formulierung und Begriffsverwendung
- Erklärung und Begründung des methodischen Vorgehens
- Gegenstandsangemessenheit des methodischen oder theoretischen Paradigmas
- Methodische und theoretische Problembewusstheit

Struktur und Aufbau
- Plausibilität der Gesamtstruktur der Arbeit
- Stimmigkeit der jeweiligen Abschnitte in sich
- Logische Abstimmung und Balance der Abschnitte untereinander (Textkohärenz und -kohäsion)
- Plausible Rahmung durch Einleitung und Schluss

Umfang der Abschlussarbeiten: Seminararbeiten 25 Seiten Haupttext

Modul V Masterseminar mit Zusatzleistung aus dem Master Deutsche Philologie (12 ECTS): Für die Aufwertung des Seminars um 6 ECTS muss eine verpflichtende schriftliche Mehrleistung (10 Seiten Haupttext) erbracht werden, d.h. es muss eine Seminararbeit im Umfang von 35 Seiten Haupttext verfasst werden.